Filme können Leben verändern. „Lara Croft: Tomb Raider“ ist so einer. Nein, nicht dass Simon Wests erfolgreiche, aber inhaltlich enttäuschende Videospiel-Adaption einen bleibenden Eindruck in der Filmgeschichte hinterlassen hat, aber für Hauptdarstellerin Angelina Jolie hat sich bei den Dreharbeiten in Kambodscha viel getan. Nachdem sie das Elend erlebt hatte, adoptierte sie einen kambodschanischen Jungen, den kleinen Maddox. Den Film zum Privatschicksal gibt es mittlerweile auch. Martin Campbells Drama „Jenseits aller Grenzen“ thematisiert den weltweiten Kampf gegen den Hunger. Das ist ausgesprochen gut gemeint und adäquat photographiert, aber die übergestülpte Love Story will so gar nicht mit dem Rest zusammenpassen.
Die naive Amerikanerin Sarah Jordan (Angelina Jolie) lebt 1984 als reiche und verwöhnte Frau in London. Ihr Leben wird völlig auf den Kopf gestellt als sie bei einem Benefiz-Ball zufällig dem ebenso gutaussehenden wie idealistischen Dr. Nick Callahan (Clive Owen) begegnet, der sich humanitären Hilfsaktionen in vom Krieg zerrütteten Ländern verschrieben hat. Sarah ist von seiner flammenden Rede, die er zugunsten von hilfsbedürftigen Kindern in Afrika hält, schwer beeindruckt. Mehr noch: Sie fühlt sich zu Nick und seinem Anliegen so stark hingezogen, dass sie ihr bequemes Leben in London hinter sich lässt und es gegen die grausame Realität in Afrika, Kambodscha und Tschetschenien eintauscht. Sie ist felsenfest entschlossen, an der Seite von Nick zu arbeiten und die neue Leidenschaft am Leben auszukosten, die Nick in ihr wieder entfacht hat.
Mit „GoldenEye“ verhalf Martin Campbell James Bond wieder auf die Sprünge, auch „Die Maske des Zorro“ schlug an der Kinokasse ein. Den Trend nach unten startete der Neuseeländer mit dem packenden, aber albernen Bergsteiger-Actioner „Vertical Limit“, der jedoch nicht einmal als Flop zu bezeichnen ist. Bei seinem neuesten Film, dem schwer menschelnden Drama „Jenseits aller Grenzen“, fällt die Kategorisierung leichter. Produktionkosten von 35 Millionen Dollar stehen Einnahmen von 4,5 Millionen Dollar an der US-Kinokasse gegenüber. Dabei war das Projekt, das Campbell von Oliver Stone geerbt hat, am Reißbrett doch wie gemalt für einen soliden Hit. Angelina Jolie gilt seit ihrem Oscargewinn mit „Durchgeknallt“ als große Nummer in Hollywood, obwohl sie als Leading Lady faktisch nur einen Hit („Lara Croft: Tomb Raider“) landen konnte. Dagegen steht eine Flopserie, die mit „Jenseits aller Grenzen“ nach „Original Sin“, „Leben oder so ähnlich“ und „Lara Croft Tomb Raider – Die Wiege des Lebens“ bereits Nummer vier erreicht, was die kommerzielle Zugkraft von Angelina Jolie ernsthaft in Frage stellt.
Mit „Jenseits aller Grenzen“ wollte Regisseur Campbell viel – zu viel bei genauerer Betrachtung. Der Film personalisiert das anonyme Leiden auf dieser Welt und gibt ihm ein Gesicht. Ein ehrenvoller Ansatz, der aber dann wieder verpufft, wenn Campbell ein schwer ausgemergeltes, hungerndes Baby sichtbar digital nachbearbeiten lässt, um diesen Effekt zu erzielen. Das ist einfach nur ärgerlich, weil es so künstlich wirkt. Ein weiteres Anliegen des Films ist es, dem weltweiten Publikum ein Gewissen für die Not in dieser Welt zu verpassen. Wenigstens kneift Campbell hier nicht und präsentiert einige erstaunlich beklemmende Bilder, die aber spätestens mit der Entwicklung der lauwarmen Love Story wieder an Wirkung verlieren. Drehbuch-Neuling Caspian Tredwell-Owen bekommt die beiden Story-Fäden einfach nicht vernünftig zusammengesponnen. Die Geschichte des naiven reichen Weibchens, das sich zur Weltverbesserin aufschwingt und mit ihrem Geld uneigennützige Hilfe anbietet, will so gar nicht mit der aufgesetzten, klassischen Love Story harmonieren. Die Naivität der Amerikanerin Sarah, die im englischen Exil ihr Dasein fristet, ist dem Film überhaupt nicht vorzuwerfen. Ein Funken Glaubwürdigkeit entspringt dieser Charakterisierung schon. Doch der durchaus vorhandene gesellschaftskritische Ansatz verträgt sich mit der Liebesgeschichte eben nicht. Campbell fährt in diesem Storyteil zu viel Kitsch auf, der sich dem sozialen Anliegen des Films entgegenstellt.
Schauspielerisch ist an „Jenseits aller Grenzen“ nicht viel zu mäkeln. Jolie, die für „Lara Croft Tomb Raider – Die Wiege des Lebens“ zu unrecht für eine Goldene Himbeere nominiert wurde, liefert eine grundsolide Leistung ab. Die schon angesprochene Naivität vermittelt sie glaubhaft und auch die Wandlung zur Philanthropin ist ihr einigermaßen abzunehmen, zumal sie diese Einstellung auch privat teilt. Nach Abschluss der Dreharbeiten wurde sie zur „UN-Botschafterin für Flüchtling“ ernannt. Ihr Leinwandpartner Clive Owen („King Arthur“, „Die Bourne Identität“, „Gosford Park“) macht ebenfalls eine passable Figur. Der britische Beau bringt seine Besessenheit ordentlich rüber. Der Rest der Besetzung kann sich nicht entscheidend nach vorn spielen, da alles auf die beiden Hauptdarsteller abgestimmt ist.
Im Großen und Ganzen hinterlässt „Jenseits aller Grenzen“ einen zwiespältigen Eindruck. Der humanitäre Teil kann durchaus in Ansätzen überzeugen, aber insgesamt bleibt der Film in seiner Konsequenz ein bisschen blutleer. Das ist bedauerlich, weil es im Grunde alle Beteiligten nur gut gemeint hatten. Doch das ist manchmal nicht genug, um ein überzeugendes Drama auf die Leinwand zu bringen. Wenigstens rettet sich „Jenseits aller Grenzen“ mit Mühe und Not ins Mittelmaß. Das ist weniger als vor Drehbeginn erhofft, aber mehr als nach dem katastrophalen US-Einspielergebnis erwartet...