Auf den Spuren von Fincher und Nolan!
Von Lars-Christian DanielsNach dem überzeugenden „Tatort: Goldbach“ und dem etwas schwächeren „Tatort: Sonnenwende“ stand der SWR bei der Produktion seiner dritten „Tatort“-Folge aus dem Schwarzwald zunächst vor einem erheblichen Problem: Hauptdarsteller Hans-Jochen Wagner („Die Blumen von gestern“) hatte sich eine hartnäckige Virusinfektion zugezogen und fiel für die kompletten Dreharbeiten aus. Notgedrungen verpflichtete der Sender kurzerhand Ersatz: Carlo Ljubek („Das Leben danach“) schlüpft in Stefan Schallers „Tatort: Damian“ einmalig in die Rolle als Hauptkommissar Luka Weber, ehe der mittlerweile genesene Wagner im vierten Schwarzwald-„Tatort“ wieder in seiner gewohnten Rolle an der Seite von Eva Löbau („Einsamkeit und Sex und Mitleid“) zurückkehrt. Ljubeks kurzes Intermezzo entpuppt sich als Volltreffer: Abgesehen davon, dass sich der Schauspieler bei seinem Gastspiel nahtlos ins Figurenensemble einfügt, ist der dritte „Tatort“ aus dem südwestlichsten Teil Deutschlands eine herausragend gespielte und clever verschachtelte Kreuzung aus Krimi und Psychodrama, die dem Zuschauer allerdings einiges an Aufmerksamkeit abverlangt.
Weil sich Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) beim Skifahren das Bein gebrochen hat, stellt Kommissariatsleiterin Cornelia Harms (Steffi Kühnert) der Freiburger Hauptkommissarin Franziska Tobler (Eva Löbau) einen neuen Kollegen zur Seite: Gemeinsam mit Luka Weber (Carlo Ljubek) sucht Tobler den Mörder einer 17-jährigen Schülerin und ihres Tennislehrers, die beim Sex in einem Waldstück von einem Unbekannten erschossen wurden. Den Mord verbindet etwas mit einem Fall, der schon viele Jahre zurückliegt und der bis heute nicht aufgeklärt wurde: Damals wurde eine junge Frau getötet, die der 17-Jährigen auffallend ähnlich sah. Obwohl Tobler und Weber überarbeitet sind und an die Grenzen ihrer Belastbarkeit geraten, müssen sie noch einen weiteren Todesfall aufklären: In einer niedergebrannten Waldhütte werden die sterblichen Überreste eines Mannes gefunden. Und dann taucht auch noch der verwirrte Jurastudent Damian Rombach (Thomas Prenn) auf dem Revier auf, der nachts von einer Streife im Wald aufgelesen wurde: Er droht am Leistungsdruck an der Universität zu zerbrechen und leidet unter schlimmen Angstzuständen…
Regisseur und Drehbuchautor Stefan Schaller („5 Jahre Leben“), dem der „Tatort: Damian“ bei der Premiere auf dem Festival des Deutschen Films in Ludwigshafen eine Nominierung für den Medienkulturpreis bescherte, knüpft mit seiner zweiten Arbeit für die Krimireihe nahtlos an die Klasse seiner ersten Arbeit an. 2010 schrieb Schaller nämlich bereits das starke Drehbuch zum beklemmenden Saarbrücker „Tatort: Hilflos“, zu dem sich eine auffällige Parallele ergibt: Damals wie heute stand ein psychisch labiler junger Mann – 2010 der von seinen Mitschülern gemobbte Einzelgänger Tobias (Sergej Moya), hier der titelgebende Student Damian – im Zentrum seiner Geschichte, die sich über weite Strecken weniger wie ein Krimi, als vielmehr wie ein famos gespieltes Psychogramm anfühlt. Denn was Jungschauspieler Thomas Prenn („Der namenlose Tag“) hier bei seiner ersten großen TV-Hauptrolle abliefert, ist schlichtweg grandios: Seine mitreißende Performance als von Angstzuständen getriebener und am Erfolgsdruck zerbrechendes Landsmannschaftsmitglied ist allein schon das Einschalten wert. Sein Damian ist der Dreh- und Angelpunkt des Films, denn wir werden auch hinter dem Rücken der Kommissare Zeuge seines Privatlebens.
Die anderen Figuren können da schwerlich mithalten, was sich insbesondere an der überzeichneten Polizeiberaterin Meike Richter (unterfordert: Nora von Waldstätten, „Personal Shopper“) zeigt: Richter wirkt als alberner Sidekick im 1075. „Tatort“ von Beginn an deplatziert und bringt die Geschichte keinen einzigen Schritt voran. Deutlich stimmiger wird der selbsternannte Frauenheld Peter Trelkovsky (köstlich: Johann von Bülow, „Rufmord“), der in Wahrheit nur bei einer Prostituierten ein- und ausgeht, in die komplexe Handlung integriert: Trelkovsky sorgt mit seinem kindlichen Verhalten, der leicht durchschaubaren Prahlerei und der pragmatischen Lösung eines Hundeproblems für die lautesten Lacher in einem Film, der sich ansonsten nur im Hinblick auf die Müdigkeit der Kommissare ein paar humorvolle Momente gönnt. Etwas altbacken wirkt hingegen – gerade in Zeiten, in denen Diversität und vielfältige Geschlechterbilder in der Mitte der Gesellschaft ankommen – die fast voyeuristische Inszenierung von Trelkovskys Vorliebe für Frauenunterwäsche, und auch die unerschütterliche Zuneigung von Damians Freundin Mia (Lena Klenke, „Das schweigende Klassenzimmer“) wirkt etwas weniger glaubwürdig, als es der Geschichte gut tut.
Was den „Tatort: Damian“ dennoch zu einem der besten TV-Krimis des Jahres 2018 macht, ist das raffinierte Arrangement der verschiedenen Erzählebenen und die Installation eines finalen Knalleffekts, der dem Zuschauer den Boden unter den Füßen wegzieht (und der im Folgenden angedeutet wird): Im Fahrwasser eines frühen Werks von Christopher Nolan und einem mittlerweile fest zur Popkultur zählenden Psychothrillers von David Fincher führt Stefan Schaller, der das fabelhafte Drehbuch gemeinsam mit Lars Hubrich („Tschick“) schrieb, sein Publikum geduldig an der Nase herum und lässt dann eine verblüffende Schlusspointe folgen, wie man sie im „Tatort“ nur selten zu sehen bekommt. Seine ganze Klasse entfaltet Schallers zweiter Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Erfolgsreihe vor allem nach der zweiten Sichtung, bei der einem die Hinweise auf die späteren Wendungen erst ins Auge stechen: Das Chaos in Damians Kopf und an den Wänden seines Studienzimmers spiegelt sich im Chaos auf den Schreibtischen der Ermittler – und auch der eine oder andere Stammzuschauer dürfte nach dem Abspann noch ein paar Minuten brauchen, um seine Gedanken neu zu sortieren und das Gesehene in all seiner Komplexität zu verarbeiten.
Fazit: Stefan Schallers „Tatort: Damian“ ist eine erzählerisch herausragende Kreuzung aus klassischem Krimi und mitreißendem Psychodrama – und zugleich eine der stärksten „Tatort“-Folgen des Jahres.