Ganz anders als erwartet
Von Christoph PetersenEs ist erstaunlich, welche Auswirkung ein Titel mitunter auf die Wahrnehmung eines Films haben kann - und der neue „Wrong Turn“, der dem Hinterwäldler-Horror-Franchise nach dem Original von 2003 sowie fünf Direct-to-DVD-Sequels einen kompletten Neustart verpasst, ist dafür ein besonders krasses Beispiel: Würde der Film nämlich irgendeinen anderen Titel tragen, wäre man schnell bei dem Urteil, dass hier offensichtlich jemand an provozierend-zeitgeistige Filme wie „Get Out“ oder „Midsommar“ anzuknöpfen versucht, aber den genannten Vorbildern einfach nicht das Wasser reichen kann.
Aber der Film trägt nun mal den Titel „Wrong Turn – The Foundation“ – und so möchte man „The Domestics“-Regisseur Mike P. Nelson und dem zurückgekehrten Original-Autor Alan B. McElroy („The Marine“) zugleich dazu gratulieren, dass sie mit dem Reboot nicht nur einen völlig unerwarteten, sondern auch einen erstaunlich ambitionierten Weg für das Franchise einschlagen, selbst wenn dann am Ende nicht jede Idee zündet.
Der Wandertrip wird für Jen (Charlotte Vega) und ihre Freunde schnell zum blutigen Albtraum...
Der New Yorker Bauunternehmer Scott (Matthew Modine) sucht nach seiner Tochter Jen, die sich schon seit Wochen nicht mehr gemeldet hat. Ihr letztes Lebenszeichen stammt aus einem kleinen Dorf am Fuße eines Berges, von wo aus sie mit fünf Freunden zu einer Wandertour auf dem Appalachian Trail aufbrechen wollte. Egel ob von den Gästen im örtlichen Pub oder von der Wirtin in der Pension, in der seine Tochter damals abgestiegen ist – von überall schlägt Scott nur Schweigen entgegen. Offenbar wollen die Einheimischen nicht, dass er der Sache weiter auf den Grund geht.
Parallel dazu sehen wir, wie Jen (Charlotte Vega) sechs Wochen zuvor mit ihrem Freund Darius (Adain Bradley) sowie zwei weiteren befreundeten Paaren zu der Bergwanderung aufbricht. Allerdings endet der Trip schnell in der Katastrophe: Ein den Abhang herunterrollender Baumstamm zerquetscht Gary (Vardaan Arora) – und offenbar ist auch sonst das ganze Waldgebiet um sie herum voll von tödlichen Fallen…
In „Wrong Turn“ von 2003 bekommt es eine Gruppe junger Menschen, die den Highway verlässt, um eine vermeintliche Abkürzung durch den Wald zu nehmen, mit einem durch generationenübergreifenden Inzest degenerierten Kannibalen-Clan zu tun. Viel geradliniger geht’s nicht mehr – und das war auch in den fünf Sequels, in denen speziell drei Mitglieder der Menschenfresser-Familie immer mehr in den Fokus rückten, nicht groß anders. Und ganz ehrlich: Wir haben erwartet, dass das auch im Reboot genauso weitergeht – never change a winning formula, gerade wenn das Skript diesmal wieder von „Wrong Turn“-Erfinder Alan B. McElroy persönlich stammt.
Aber Pustekuchen! Wenn sich gleich von Beginn an fast jeder Dialog um die aktuelle Spaltung Amerikas dreht, wobei die „Hillbillys“ ebenso abschätzig auf die „Hipster“ herabblicken wie andersherum, glaubt man noch, dass die bekannte „Wrong Turn“-Formel hier einfach nur mit ein wenig Zeitgeist angereichert wird. Wobei streckenweise sogar der Eindruck entsteht, der Film würde sich allzu platt an den politischen Zeitgeist anbiedern. Aber zum Glück steckt mehr dahinter – weshalb man „Wrong Turn – The Foundation“ am Ende eben auch eher in eine Gruppe mit gesellschaftskritischen Horrorfilmen wie „Get Out“ oder „Antebellum“ als mit den eigenen Vorgängern gehört.
Im Wald lauert das Böse! Oder vielleicht doch nicht?
Aber schon lange bevor der entsprechende Twist kommt, hagelt es bereits die für die Reihe obligatorischen Gewaltspitzen: Nachdem der erste Teil damals noch eine FSK-Freigabe ab 16 Jahren erhalten hat, gerieten die Video-Fortsetzungen zum Teil derart obszön blutig, dass die Teile 2 – 5 in der ungeschnittenen Fassung in Deutschland mindestens indiziert, teilweise sogar direkt beschlagnahmt wurden. „Wrong Turn – The Foundation“ reiht sich mit seiner verdienten FSK-18-Freigabe nun irgendwo in der Mitte ein:
Dass Regisseur Mike P. Nelson offensichtlich nicht bereit ist, bei den angenehm-handgemachten Gore-Effekten irgendwelche Kompromisse zugunsten des Jugendschutzes einzugehen, macht er jedenfalls bereits mit dem ersten von einem gewaltigen Baumstamm zertrümmerten Schädel deutlich. In „Wrong Turn – The Foundation“ steht aber nicht die längst ins völlig Absurde abdriftenden Blutorgien mancher Vorgänger im Vordergrund – stattdessen ist es Gewalt, die wirklich wehtut, etwa wenn einer der Teenager in seiner Panik völlig ausrastet und mit gefühlt Dutzenden Asthieben den Kopf seines Gegenübers zu undefinierbarem Brei schlägt. Der reihentypische Over-the-Top-Moment kommt dann erst in der – leider ihre Bösartigkeit nicht konsequent durchhaltenden – Schlussviertelstunde dazu.
Achtung: Die nächsten Absätze bis zum Fazit beinhalten Details zum Plot, die zwar auch schon in der offiziellen Inhaltsangabe sowie im Trailer offenbart werden, von denen wir euch aber trotzdem empfehlen würden, sie sich vor dem Schauen des Films möglichst nicht zu spoilern.
Die Uni-Absolvent*innen machen den Wander-Trip auch, um „sich selbst zu finden“. Gerade Jen, die Kunstgeschichte und Tanz studiert hat, will sich nicht so einfach damit abfinden, dass sie jetzt trotzdem einfach einen Job im Bauunternehmen ihres Vaters annehmen soll. Sie alle träumen irgendwie von einer besseren Welt – und dann stoßen sie ausgerechnet im irgendwo im Nirgendwo auf die titelgebende „Foundation“, eine Gruppe von Familien, die sich bereits kurz vor Beginn des Amerikanischen Bürgerkriegs in die Wälder zurückgezogen hat, um dort eine utopische Gemeinschaft zu gründen, die dann später, wenn die USA erst einmal untergegangen sind, den Grundstein für eine neue Gesellschaft bilden soll.
Das ist im Kern ein superspannendes Konzept: Im Wald hausen nicht länger die inzestgeschädigten Menschenfresser-Monster – stattdessen tut sich dort plötzlich eine alternative Gesellschaft auf, die genau nach den Idealen lebt, von denen die junge Wandergesellschaft in den Szenen zuvor noch geträumt hat. Was für eine Tragik auch, dass ihnen diese „vermeintlich“ perfekte Gemeinschaft dennoch verschlossen bleibt, weil Adam in seiner Panik eines der Mitglieder im Angst- und Blutrausch getötet hat. In diesem Plot steckt einfach so viel an wirklich grandiosen Ideen, Konflikten und Möglichkeiten …
… aber dann macht „Wrong Turn – The Foundation“ eben doch erschreckend wenig draus. Die aufregende Ambivalenz, wer hier eigentlich wirklich die Guten und wer die Bösen sind, hält stattdessen kaum fünf Minuten lang an – und dann sind die Mitglieder der Foundation doch wieder nicht mehr als die Monster, vor denen es irgendwie zu fliehen gilt. Das ist echt schade. Die Verantwortlichen wagen im immerhin siebten Teil der Reihe viel mehr, als wir es bei einem „Wrong Turn“-Reboot jemals für möglich gehalten hätten – zugleich wäre aber mit all diesen großen Ideen und Konzepten auch noch viel mehr drin gewesen.
Fazit: Wer der Meinung ist, dass in einem Film jedes Element möglichst perfekt funktionieren sollte und die Macher ihre Ambitionen notfalls eben auch einfach ein wenig zurückschrauben sollten, der ist hier ziemlich sicher an der falschen Adresse. Wer sich hingegen darüber freuen kann, wenn Horror-Macher auch mal etwas Neues, womöglich sogar übertrieben Ehrgeiziges ausprobieren, selbst wenn dann nicht alles stimmig zusammenkommt, der sollte bei „Wrong Turn – The Foundation“ einen Blick riskieren.