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    Knives Out - Mord ist Familiensache
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Knives Out - Mord ist Familiensache

    Some Next Level Agatha Christie Shit!

    Von Christoph Petersen

    Nachdem Agatha-Christie-Verfilmungen in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich nur noch im britischen Fernsehen wirklich populär waren, haben sie mit „Mord im Orient-Express“ und dem für 2020 angekündigten „Tod auf dem Nil“ inzwischen ihre Kinotauglichkeit zurückerlangt. Allerdings setzt Regisseur und Hauptdarsteller Kenneth Branagh dabei ganz bewusst nicht auf eine Modernisierung der Poirot-Fälle, sondern betont im Gegenteil etwa durch die Ausstattung und die Kostüme sogar noch das Altmodische der Krimi-Vorlage.

    Ganz anders Rian Johnson, der nach seinem Mega-Blockbuster „Star Wars 8“ nun zu seinen Anfängen, als er mit „Brick“ einen der originellsten, kühnsten und aufregendsten Meta-Noirs überhaupt ablieferte, zurückkehrt. Nur dass er bei „Knives Out - Mord ist Familiensache“ eben merklich mehr Budget und vor allem sehr viel mehr Superstars zur Verfügung hat: „Knives Out“ ist zugleich ein clever-doppelbödiger Agatha-Christie-Meta-Film und eine grandios-garstige Gesellschaftssatire – und macht dabei so viel diebischen Spaß wie kaum ein anderer Film in diesem Kinojahr!

    "Knives Out" hat gleich eine ganze Wagenladung Verdächtige zu bieten!

    Inzwischen ist es eine Woche her, dass der krimischreibende Familienpatriarch Harlan Thrombey (Christopher Plummer) am Abend seines 85. Geburtstages in seinem herrschaftlichen Anwesen Selbstmord begangen hat. Während die hinterbliebenen Familienmitglieder der Eröffnung des Testaments entgegenfiebern, hat der von einem unbekannten Auftraggeber auf den Fall angesetzte weltberühmte Privatdetektiv Benoit Blanc (Daniel Craig) noch ein paar offene Fragen, die er gerne klären würde.

    Gemeinsam mit den offiziell mit dem Todesfall betrauten Ermittlern Elliott (LaKeith Stanfield) und Wagner (Noah Segan) befragt er alle an jenem Abend anwesenden Geburtstagsgäste noch einmal. Dabei stellt sich schon bald heraus, dass scheinbar keiner der Zeugen wirklich hundertprozentig die Wahrheit gesagt hat. Und trotzdem kann eigentlich niemand von ihnen der Täter sein, denn daran, dass Harlan in seinem Zimmer zum Tatzeitpunkt allein gewesen ist und sich dementsprechend nur selbst die Kehle durchgeschnitten haben kann, besteht weiterhin eigentlich nicht der geringste Zweifel...

    Achtung: Diese Kritik enthält zwar keine Plot-Spoiler, geht aber auf den ungewöhnlichen Aufbau von „Knives Out“ ein. Wer also gar nichts wissen will, liest ab dieser Stelle besser erst nach dem Kinobesuch weiter!

    Zu Beginn werden die einzelnen Familienmitglieder ganz traditionell zu sich, ihrer Verbindung zum Toten und den Abläufen bei der Geburtstagsfeier befragt. So weit, so klassisch! Nur dass Rian Johnson auch schon in diesen Szenen jede Menge Hinweise darauf einstreut, dass „Knives Out“ vermutlich eben doch kein ganz so herkömmlicher Krimi ist – und damit meinen wir nicht nur den an den Eisernen Thron aus „Game Of Thrones“ erinnernden Messer-Stuhl, den sich Harlan Thrombey als weltberühmter Kriminalautor anfertigen ließ und der nun hinter den Verdächtigen türmt. Hier ist offenbar jeder bereit, dem anderen ansatzlos ein Messer in den Rücken zu rammen.

    Man achte auf den Eisernen Thron der etwas anderen Art im Hintergrund.

    Dabei entwickelt sich, auch wenn die Zeugen einzeln befragt werden, schnell eine atemberaubende Dynamik zwischen den ineinander geschnittenen Aussagen – wenn etwa Walt Thrombley (Michael Shannon) seinen ständig am Smartphone hängenden Sohn Jacob (Jaeden Martell) über den grünen Klee lobt, woraufhin der Teenager in schneller Abfolge von den anderen Befragten als onanierender Alt-Right-Nazi geoutet wird. Zudem sind die Antworten nicht nur rasiermesserscharf formuliert, sie sind auch vollgestopft mit entlarvenden Details, die man leicht überhört, aber die so viel über die Figuren aussagen:

    So kennt die weltmännische Unternehmerin Linda Drysdale (Jamie Lee Curtis) den Detektive Benoit Blanc aus einem Porträt im New Yorker, während die Lifestyle-Beraterin Joni Thrombley (Toni Collette) durch einen Tweet von dem Porträt im New Yorker von ihm erfahren hat. Die Rollen der meisten beteiligten Hollywoodstars sind übrigens sehr viel kleiner, als man im Vorfeld oder nach dem Trailer vielleicht vermuten würde. Aber sie alle genießen sichtlich jede einzelne Zeile, die sie beitragen dürfen – und das ist bei dieser Präzision und Schärfe der Dialoge auch absolut kein Wunder!

    Doch nicht Agatha Christie?

    Aber um noch mal auf Jacobs Smartphone zurückzukommen: „Knives Out“ spielt nicht nur in einem altehrwürdig eingerichteten Herrenhaus, es gibt auch eine quietschende Treppe, geheime Fenster und eine Testamentsverlesung im Salon – bei so vielen klassischen Agatha-Christie-Zutaten reißt es einen fast schon aus dem Film, wenn dann plötzlich jemand sein Handy zückt oder etwas von Instagram erzählt. Aber der Schein trügt: „Knives Out“ mag mit seinen edlen Bildern altmodisch aussehen, aber er ist in Wahrheit hochaktuell.

    Grausam: Der Patriarch hat sich mit einem Messer selbst die Kehle durchgeschnitten!

    Schon nach etwa 45 Minuten scheint es so, als sei der Fall bereits gelöst (zumindest für den Zuschauer, der zu diesem Zeitpunkt sehr viel mehr weiß als die Ermittler) – und damit tritt zugleich auch ein erstaunlicher Genrewechsel ein: Über weite Strecken ist „Knives Out“ nämlich gar nicht das erwartete Whodunit-Mörderratespiel, sondern eine rabenschwarze Thriller-Satire, die noch mehr als an Agatha Christie & Co. an den diesjährigen Cannes-Gewinner und weltweiten Überraschungshit „Parasite“ von Bong Joon-ho erinnert. Eine harsche Gesellschaftsabrechnung, bei der heuchlerische Linke ihr Fett genauso wegbekommen wie stammtischplaudernde Konservative – mit einer gnadenlos-befriedigenden Schlusseinstellung.

    Doch Agatha Christie!

    Dass der Zuschauer wie gesagt mehr weiß als die Ermittler, hat übrigens damit zu tun, dass wir bei den Lügen der Zeugen in Rückblenden direkt sehen, was an dem Abend wirklich geschehen ist (und diese Momente sind so inszeniert, dass wir auch sofort wissen, dass wir uns auf diese Rückschauen verlassen dürfen, weil sie quasi die inneren Gedanken der Befragten abbilden). Nur ist doch gerade das in der Regel der größte Trumpf von Kriminalautoren: Sie halten Informationen zurück, die der Detektiv dann am Ende in der Bibliothek vor allen Verdächtigen ausbreiten und den Täter so überführen kann. Das wirkt dann oft cleverer, als es tatsächlich ist – aber genau das ist eben auch der Trick dabei.

    Johnson macht es sich selbst also zehn Mal schwerer als nötig, indem er uns immer sofort zeigt, wie es wirklich war – und trotzdem gelingt es ihm, am Ende mit einer Auflösung zu überraschen, die noch einmal alles vollkommen auf den Kopf stellt. Für „Knives Out“ gelten eben andere Regeln – weshalb die eigentliche Hauptfigur des Films, die auch mit Abstand am meisten Leinwandzeit bekommt, in dieser Kritik bis zu dieser Stelle nicht ein einziges Mal auch nur erwähnt wurde.

    Fazit: Zu gleichen Teilen böse, brillant, bissig und saumäßig unterhaltsam!

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