Mein Vater, der Serienmörder
Von Oliver KubeOb Doku, Thriller, True Crime, Biopic oder Horror – die Anzahl von Leinwandwerken, die sich mit Serienkillern beschäftigen, nähert sich stark der Sättigungsgrenze. Trotzdem kommen laufend neue Filme mit diesem Sujet hinzu. Die meisten davon hätte es nicht unbedingt geben müssen, weil sie der Thematik nichts Neues hinzuzufügen haben. „The Clovehitch Killer“ zählt allerdings zu den löblichen Ausnahmen. Inszeniert wurde das von „Spider-Man: Homecoming“-Co-Autor Christopher D. Ford verfasste Drehbuch von Regisseur Duncan Skiles (Kamera und Schnitt bei der Dokumentation „Our Time“). Skiles und seine Melange aus Thriller sowie Coming-of-Age-Drama punkten mit authentischen Bildern und einem ungewöhnlichen Ermittler-Duo samt origineller Perspektive auf eine rätselhafte Reihe von Bluttaten.
Tyler Burnside (Charlie Plummer) ist 16 Jahre alt. Er wohnt mit seinen Eltern Don (Dylan McDermott) und Cindy (Samantha Mathis) in einer Kleinstadt im Mittleren Westen der USA. Der ganze Landstrich ist noch immer wie traumatisiert von den Taten des bis heute nicht gefassten Clovehitch-Killers, der vor zehn Jahren eine Reihe junger Frauen auf bestialische Weise getötet hat, bis er plötzlich mit dem Morden aufhörte. Eines Tages findet Tyler im Pickup-Truck seines Vaters zufällig ein älteres, pornografisch anmutendes Foto einer jungen Frau. Neugierig schnüffelt er daraufhin in Dads Hobby-Schuppen herum. Zunächst stößt er dabei auf ein paar Sado-Maso-Magazine, was im streng religiösen Umfeld der Burnsides an sich schon schockierend wäre. Doch dann fällt dem Jungen ein Blaupausen-Plan des familiären Häuschens in die Hände, auf dem ihm bisher unbekannte Kellerräume eingezeichnet sind. Tyler weiß nicht, was er tun und an wen er sich wenden soll. In seiner Verzweiflung bittet er eine Mitschülerin, die von der kompletten Gemeinde geschnittene Außenseiterin Kassi (Madisen Beaty), um Hilfe...
Tyler verdächtigt seinen Vater, ein Serienmörder zu sein.
Seinen Durchbruch feierte Charlie Plummer mit Ridley Scotts „Alles Geld der Welt“, in dem er Milliardärsenkel und Entführungsopfer John Paul Getty III verkörperte. Obwohl „The Clovehitch Killer“ nur kurz zuvor gedreht wurde, wirkt Plummer hier noch um einiges jugendlicher. Dafür hat er aber einen deutlich vielschichtigeren Part. Der junge Tyler ist die Identifikationsfigur für den Zuschauer. Wie das Publikum fragt auch er sich, ob der von Dylan McDermott („Olympus Has Fallen - Die Welt in Gefahr“) mit genüsslicher Ambiguität gespielte, sympathisch und fürsorglich wirkende Vater tatsächlich der gefürchtete Mörder sein könnte. Als diese Frage dann nach gut der Hälfte der Laufzeit geklärt zu sein scheint, ist es hochspannend zu beobachten, wie sich das Vater-Sohn-Verhältnis ändert.
Fords Drehbuch ist von Dennis Rader inspiriert, dem realen, sogenannten BTK-Killer. Der von kruden S/M-Praktiken besessene Rader lebte in der Stadt Wichita, die er von 1974 bis 1991 mit brutalen Frauenmorden terrorisierte. Rader war wie der fiktive Don Burnside Pfadfinder-Ausbilder und ebenfalls aktiv in der lokalen Kirchengemeinde, bevor sein halbwüchsiger Sohn eines Tages über von ihm angefertigte Bondage-Fotos stolperte. Die Parallelen sind also frappierend. Trotzdem weist „The Clovehitch Killer“ genügend eigenständige Ideen auf. Abgesehen vom ebenso überraschenden wie stimmigen Finale der Handlung ist das vor allem der hinzuerfundenen Figur Kassi zu verdanken.
Madisen Beaty debütierte bereits als Kind in „Der seltsame Fall des Benjamin Button“. Am bekanntesten ist sie bisher allerdings als TV-Darstellerin mit wiederkehrenden Rollen in Familien-Serien wie „The Fosters“ oder „Here And Now“ sowie als Charles-Manson-Anhängerin in „Aquarius“. Beaty verkörpert das von ihren Mitschülern als promiskuitiv verachtete Mädchen mit überzeugendem Selbstbewusstsein und Mut zur Vulnerabilität. So nimmt man ihr jederzeit ab, dass Kassi neben der willkommenen Flucht vor der provinziellen Langeweile noch ein weiteres, lange selbst Tyler nicht offenbartes Motiv hegt, sich auf die Jagd nach dem Killer begeben zu wollen.
In den geheimen Kellerräumen stinkt's gewaltig.
Das ungleiche Schülergespann ist ein faszinierendes „Ermittler“-Duo. Nicht nur weil sie sich bei ihren verständlicherweise vor Freunden und Familie geheim gehaltenen Untersuchungen allein auf ihre Intelligenz und ihren Wagemut verlassen müssen. Das Verhältnis zwischen den sich zunächst alles andere als nahestehenden Teenagern weist zudem eine spannende Dynamik auf. Immer wieder wechselt die Dominanz in ihrer Beziehung, weil beide, je nach Situation, sowohl stark als auch verletzlich sein können.
Viel zum Funktionieren der Geschichte trägt auch die authentische Atmosphäre der Settings bei. Regisseur Duncan Skiles bringt geschickt seine Erfahrungen als Doku-Filmer ein. So lässt er das spießige Familienleben der Burnsides, ihre Kirchenbesuche, einen Jagdausflug und schließlich die erstaunlich intensiven, dabei niemals übertrieben reißerisch ins Bild gesetzten Action-Sequenzen absolut glaubhaft und realistisch aussehen. Das Ergebnis ist ein Serienkiller-Streifen, der mehr Anlass zum Nachdenken gibt und garantiert länger im Gedächtnis bleibt als die meisten deutlich aufwändiger, spektakulärer oder vor allem blutiger ins Bild gesetzten Genre-Vertreter.
Fazit: Ein erfrischend anderer Serienkiller-Film, der mehr mit Authentizität und schauspielerischen Leistungen als mit plumpen Schockmomenten überzeugt.