Eine spannende Story wird sehr kitschig umgesetzt
Gleich vorweg: In der Einleitung werde ich ein paar Dinge über den Film vorwegnehmen, die allerdings aufgrund der autobiografischen Natur des Ganzen nicht sehr überraschend sein dürften. Doch wirklich vorwegnehmen tue ich (in meinen Augen) nichts.
Die Geschichte um Jonathan Larson ist sicherlich sehr interessant: Er wollte die Welt mit seinen Musicals verändern, aber es wurde ihm nicht leicht gemacht und leider lebte er nicht lange aufgrund einer tödlichen Krankheit. Ein Film über ihn klingt wirklich nach einer wunderbaren Idee, denn so kann man dieser interessanten Persönlichkeit deutlich mehr Aufmerksamkeit geben. Auch die Idee das Ganze als Musical zu verpacken, passt wirklich hervorragend… immerhin kann man so den Soundtrack auch prima verkaufen.
Die Idee wurde dann 2021 auch umgesetzt mit Andrew Garfield in der Hauptrolle, exklusiv für Netflix und dem Titel „Tick, Tick… Boom!“. Neben guten Kritiken konnte der Film auch zwei Nominierungen bei den Oscars abgreifen (darunter die Trophäe als bester Hauptdarsteller für Garfield), aber keine gewinnen. Alles klang sehr vielversprechend, aber das Endergebnis hat mich leider doch etwas kalt zurückgelassen, auch wenn vieles sehr gut gemacht ist.
Die Handlung spielt 1990 in New York: Jonathan Larson ist Komponist und möchte sein Musical „Superbia“ herausbringen. An dem Projekt arbeitet er bereits seit acht Jahren, steckt viel Herzblut in das Ganze, findet aber nur begrenzt die Mittel dafür. Denn so was ist kostspielig, besonders Jonathans Vision ist nicht leicht umsetzbar. Doch immer wieder findet er Motivationsschübe, wie etwa nachdem Stephen Sondheim (der Komponist von „Sweeney Todd“ und „In the Woods“) ihm sagt, dass er wirklich tolle Musik komponiert. In dem Arbeitsprozess leiden wie so oft natürlich Freunde und Partner und Jonathans Leben wird immer schwieriger zu handeln…
Was ich an „Tick, Tick… Boom!“ mag, ist die harte Realität, mit der Jonathan (und natürlich auch viele andere Künstler) konfrontiert wird. Viele dieser Biopics lassen das Ganze sehr einfach aussehen oder wirken, aber die freie Künstlerszene ist hart, egal ob in New York oder auch in Deutschland.
Sehr positiv ist natürlich Andrew Garfield zu erwähnen, der Jonathan wirklich toll spielt. Der restliche Cast ist auch gut, aber Garfield sticht deutlich heraus. Vor allem kann er auch toll singen, wie der Rest seiner Kollegen auch. Stellenweise spielt er auch Klavier, wobei das meiste ein Double übernahm. Unwillkürlich kamen mir beim Schauen Erinnerungen an „Rocketman“ (Biopic von Elton John) hoch. „Tick, Tick… Boom!“ entfaltet aber seinen ganz eigenen Flair.
Kommen wir zur Musik, denn die ist das Herz des Films. Und der Soundtrack hat wirklich Schmiss und viele starke Songs. Der rockige Sound der meisten Hits gefällt mir ebenfalls, andere Titel hingegen sind sehr gewohnte, wenn auch solide Musical-Kost. Optisch ist der Film ebenfalls schick gemacht, genau wie der effektive Schnitt (hier gab´s die zweite Oscar-Nominierung).
Doch trotz alledem hat mich „Tick, Tick… Boom!“ irgendwie kalt gelassen, mich nicht berührt. Denn obwohl der Film mit einer gewissen Realität umgeht, driftet er immer wieder in eine extrem kitschige Richtung. Das funktioniert manchmal ganz gut, andere Male jedoch nervt es eher. Ja, es ist gut gemacht, wenn Garfield einen emotionalen Song über seinen Freund singt und dabei an einem verlassenen Flügel spielt. Und sicherlich ist auch genau das die Intention gewesen. Doch für mich wirkt es nicht selten nach klassischem Oscar-Bait (ein Moment, der ganz klar für die Academy gemacht ist, um verbesserte Chancen auf eine Auszeichnung zu bekommen). Große Tränen, große Emotionen, alles ist supertraurig, aber gerade das bewirkt bei mir eher eine Gefühlsimplosion. Und das ist schade, weil der Film und auch Garfield eine tolle Energie haben. Regisseur Lin-Manuel Miranda kommt zwar aus der Musical-Szene (hat auch selbst viel Musik komponiert und als Schauspieler gearbeitet), aber das Feingefühl für ein bewegendes Drehbuch fehlt ihm irgendwie…Feingefühl ist ein gutes Wort, den das hätte dem Ganzen glaube ich gut getan.
Ich persönlich bin zudem auch kein großer Fan typischer „In your Face“-Musicals. Damit meine ich Musicals, die ganz stolz zeigen wollen, wie toll sie und ihre Songs sind, wie toll und perfekt alle singen können. Alles wird mit viel Energie und Spaß gemacht, aber irgendwie schwingt bei mir immer eine Art narzisstische Sehnsucht mit, die das Alles beim Anschauen etwas anstrengend macht. Da mag ich eher „zurückhaltende“ Musicals wie „Sweeney Todd“ oder auch „La La Land“, wo es in erster Linie um eine Geschichte geht, nicht um die Songs.
Dieses Phänomen gibt es natürlich auch bei reinen Schauspiel-Filmen, aber Musicals sind dafür irgendwie prädestiniert.
Fazit: „Tick, Tick… Boom!“ ist sicherlich ein gut gemachter Film, der viele Menschen bestimmt berühren, inspirieren oder zum Nachdenken anregen wird. Mich hat das Ganze jedoch nicht so erreicht. Dennoch erkenne ich die technische Aufmachung an und mag auch viele der Songs.