Mein Konto
    Get Lucky - Sex verändert alles
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,0
    schlecht
    Get Lucky - Sex verändert alles

    Die ödeste Nebensache der Welt

    Von Björn Becher

    Über Sex kann man nur auf Englisch singen“, jault Dirk von Lowtzow im gleichnamigen Klassiker seiner Band Tocotronic, um dann mit der nächsten Songzeile direkt auch noch die Begründung „denn allzu leicht könnt’s im Deutschen peinlich klingen!“ hinterherzuliefern. Eine Feststellung, die sich wohl ziemlich gut auch auf das deutsche Kino übertragen ließe, wo die Zeiten freizügiger Sex-Komödien und Mega-Besucherhits wie „Schulmädchen-Report“ und Co. lange her sind und selbst gelungenere Teenie-Filme wie „Doktorspiele“ oft seltsam verklemmt wirken. Dieses Problem hat „Get Lucky – Sex verändert alles“ von Ziska Riemann („Electric Girl“) glücklicherweise nicht. Besser macht diese eigentlich begrüßenswerte Offenheit die ansonsten sterbenslangweilige, völlig unrunde Geschichte aber leider auch nicht.

    Die fünf Freunde Mehmet (Jascha Baum), Hannah (Luissa Cara Hansen), Aaron (Bjarne Meisel), David (Benny Opoku-Arthur) und Julia (Emma-Katharina Suthe) verbringen die Sommerferien auf der Jungferninsel bei Tante Ellen (Palina Rojinski). Mit dabei ist auch die jüngere Emma (Lilly Terzic), die ziemlich genervt von den übrigen Teenagern ist. Denn bei diesen dreht sich alles immer nur um Sex. Mehmet und Hannah haben zwar schon welchen, doch so richtig befriedigend ist er für sie nicht. Aaron hält sich derweil für den größten Stecher und will die halbe Insel flachlegen. David verliebt sich direkt in Surflehrer Noah (Richard Kreutz), was wiederum seine beste Freundin Julia auf den Plan ruft. Die will nämlich nicht akzeptieren, dass David schwul ist und übersieht dabei ganz, dass der ebenfalls ziemlich attraktive Eisverkäufer Mats (Moritz Jahn) ihr Avancen macht…

    Wichtiger Tipp: Die Kondome nicht vergessen!

    2012 erschien das viel diskutierte Aufklärungsbuch „Make Love“ von Ann-Marlene Henning, das sich vor allem an Jugendliche richtet. Daraus entstand ein Jahr später ein ebenfalls viel beachtetes TV-Format, das nach Anfängen in den Dritten Programmen 2015 sogar vom ZDF ins Hauptprogramm übernommen wurde und in dem Henning – auch mit Hilfe expliziter Szenen – anderen Personen dabei hilft, ihr Sexualleben zu verbessern. Dabei klärt sie ganz ohne erhobenen Zeigefinger oder falsche Scham auf. Eigentlich eine hervorragende Grundlage für einen Film, der sich dem Sujet ebenfalls mit einer unverstellten Offenheit nähert. Und zumindest Spurenelemente sind davon auch in „Get Lucky“ auszumachen: Die von Moderatorin Palina Rojinski verkörperte Figur der hilfsbereiten Ellen basiert auf der Autorin (die selbst einen kleinen Cameo-Auftritt hat) und es gibt kurze Einschübe, in denen sie die Jugendlichen mit ihren aus dem Internet gewonnen, ziemlich absurden Sexvorstellungen konfrontiert. Aber auch diese wenigen im Ansatz gelungenen Momente werden dann sofort meist wieder vom vorherrschenden flachen Humor erdrückt.

    „Get Lucky“ soll witzig sein, ist es aber nie. Ganz gut illustriert das etwa ein eher absurder Cameo von Benno Fürmann („Die vierte Gewalt“). Sein Auftritt als Vater, der so ganz anders ist, als es man es sich nach den vorherigen Erzählungen der Teenager vorgestellt hat, mag für einen kurzen Moment überraschend wirken. Aber dann wird der im Grund spannende Widerspruch zwischen der tatsächlich dort stehenden Figur und dem zuvor im Kopf des Zuschauers entstandenen Bild doch nur für einen platten Spruch genutzt. Sowieso werden viele der Ideen und mitunter auch ganze Szenen die meiste Zeit über ohne erkennbaren roten Faden aneinandergereiht.

    Jede Figur lässt sich mit einem einzelnen Wort umschreiben

    Das ist neben dem fehlenden Witz das allergrößte Problem von „Get Lucky“: Durch das völlig ziellose Mäandern zwischen den jugendlichen Protagonisten fehlt nämlich nicht nur eine klare Linie, es entsteht auch zu keinem von ihnen eine emotionale Bindung. So geht den sechs Hauptfiguren jegliches Profil ab, welches über die ihnen aufgedrückten Schablone (selbstbewusst, unsicher, Macho, schwul) hinausgeht. Wir würden fast drauf wetten: Nach dem Kinobesuch dürfte es kaum einen Zuschauer geben, der die Namen von allen sechs Hauptfiguren aufsagen kann, weil sie einem einfach auch so egal bleiben.

    Dass die Geschichten der sechs Hauptfiguren schon bald weitgehend ohne Berührungspunkte nebeneinander ablaufen, verstärkt das Problem fehlender Identifikation noch – vor allem ist es aber schlecht umgesetzt, weil die Szenenwechseln herbeiführenden Schnitte oft willkürlich gesetzt wirken. Wie sehr solche handwerklichen Schwächen gerade eine Parallelerzählung aushebeln können, wird in „Get Lucky“ besonders deutlich. Es ist wohl nicht zu viel verraten, dass gen Ende die fünf Protagonisten jeweils ihre eigenen amouröse Abenteuer erleben. Aber der Weg dorthin fesselt den Zuschauer nie, ganz im Gegenteil werden einzelne Figuren zwischendurch so lange „vergessen“, dass man sich bei ihrem erneuten Auftauchen denkt: „Ach, stimmt. Die beiden sind ja auch gerade gemeinsam zugange.“

    Mehmet, David und Aaron haben noch viel über Sex zu lernen.

    Allgemein wundert es, wie sonderbar immer wieder der Moment des Schnitts gesetzt ist. Viele Momente wirken so seltsam abgehackt. Beim Flaschendrehen muss der vorlaute Aaron zum Beispiel so tun, als würde er selbst einen Blow-Job geben, was dem Über-Hetero natürlich mehr schlecht als recht gelingt. Also zeigt ihm die toughe, ihm ohne ersichtlichen Grund den Kopf verdrehende Ineke (Rieke Seja), wie es richtig geht – was dann durch einen Schnitt zu einer komplett anderen Szene unglaublich abrupt abgewürgt wird. Damit wird das ganze komische Potenzial der möglichen Reaktion des durch die Blow-Job-Geste seiner Angebeteten natürlich kräftig aufgeheizten Pseudo-Hengstes Aaron verschenkt.

    Auch an vielen anderen Stellen sorgen konzeptuelle Entscheidungen für Stirnrunzeln. Dass zum Beispiel der gerade angesprochene Aaron plötzlich eine Weile zum Off-Erzähler wird, ergibt null dramaturgischen Sinn, weil es den Fokus der Erzählung grundlos kurzzeitig weg von dem Protagonisten-Sextett auf nur eine Hauptperson verlagert. Zudem hat das sich selbst als Major Shack oder Pornstar Nr. 1 bezeichnende Großmaul ohnehin nix Gehaltvolles oder Lustiges beizutragen – weder in den herkömmlichen Dialogen noch bei seinen Kommentaren aus dem Off.

    Unverklemmt in den Untergang

    Da hilft es auch nichts, dass „Get Lucky“ mit einer natürlichen Unverklemmtheit daherkommt, die doch eigentlich ein Slam Dunk sein sollte. Wenn zwei Personen während des Vorspiels zu streiten anfangen, schimpft sie ihm eben splitterfasernackt hinterher statt sich – wie in vielen (nicht nur deutschen, sondern gerade amerikanischen) Komödien üblich – erst mal (unrealistisch) was überzuwerfen. Aber wenn etwas, was ein Film nicht ist, nämlich in diesem Fall „prüde“, das einzig Positive ist, was sich über ihn sagen lässt, ist das natürlich selten ein gutes Zeichen.

    Fazit: Die Idee ist gut, die Umsetzung eine ziemliche Katastrophe. „Get Lucky“ ist als Teen-Comedy zwar erfrischend unverblümt, aber im selben Moment leider auch erschreckend unlustiges Stückwerk.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top