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    Zero
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Zero

    Shah Rukh Khan erfindet sich weiter neu

    Von Asokan Nirmalarajah

    Shah Rukh Khan war gerade für deutsche Fans lange Zeit DAS Gesicht des Bollywood-Films. Als das Genre des Tanz-und-Gesangs-Films Anfang der 2000er erstmals im deutschen Fernsehen zur besten Sendezeit lief und ausgewählte Filme ihren Weg sogar in die hiesigen Kinos fanden, führte King Khan oder der König von Bollywood, wie der charismatische Leading Man zahlreicher Liebesmelodramen (wie zum Beispiel dem meisterhaften „In guten wie in schweren Tagen“) damals gefeiert wurde, den Siegeszug im nicht-indischen Ausland an. Heute sieht die Situation allerdings etwas anders aus. Der kommerziell erfolgreichste Bollywood-Star in internationalen Gefilden ist aktuell Aamir Khan, der jedes Genre verkaufen kann, ob sentimentalen Sportfilm („Dangal“), schräge Sci-Fi-Satire („PK“) oder bombastisches Piraten-Abenteuer („Thugs Of Hindostan“). In Indien selbst beherrscht hingegen Salman Khan mit Action- und Liebesdramen wie „Sultan“, „Prem Ratan Dhan Payo“ und „Tiger Zinda Hai“ die nationalen Charts. Neben den beiden Khans konnte Shah Rukh seit 2014 keine neuen Rekorde aufstellen, seine letzten zwei Ausflüge ins romantische Genre, „Eine Reise für die Liebe“ und „Dilwale“, blieben sogar hinter den Erwartungen. Die heimische Presse spricht bereits von einem Karriereknick.

    Statt weiter den alten Zeiten und Erfolgen nachzutrauern, entwickelt sich Shah Rukh Khan in dieser Situation lieber weiter und gibt immer häufiger seinem Hang zum Zitatenkino, Genre-Experimenten und Meditationen über seine Rolle als Bollywood-Ikone nach. Dabei kommen selbstreferentielle, eigenwillige Filme heraus, in denen er sich auch physisch stark von seinem Schönling-Image entfernt und so sein Stammpublikum vor den Kopf stößt. Auch sein jüngster Film „Zero“ wird irritieren und polarisieren: Regisseur Aanand Rai hat einen sonderbaren Genre-Bastard aus romantischer Komödie, Liebesmelodram, Bollywood-Satire und Astronautenfilm (!?) inszeniert, der gleichermaßen bezaubert und frustriert.

    Shah Rukh Khan schlüpft diesmal in die Rolle von Bauua Singh, einem streitlustigen Kleinwüchsigen. Der 38 Jahre alte Junggeselle führt ein entspanntes Leben im Hause seiner wohlhabenden Eltern und vertreibt sich seine Zeit mit Streichen in der Nachbarschaft. Seine verzweifelte Suche nach einer Partnerin führt ihn zu einem Heiratsmakler, der ihm ein Bild der Raumfahrt-Wissenschaftlerin Aafiya Bhinder (Anushka Sharma) zeigt. Bauua ist hin und weg von der Frau auf dem Foto, verliert aber das Interesse, als er sie trifft. Sie sitzt im Rollstuhl und leidet an einer cerebralen Bewegungsstörung. Als sie ihn dann aber als nicht Mann genug für sie ablehnt, will er sie schon aus einer gewissen Bockigkeit für sich gewinnen. Und dann ist da auch noch Bauuas ähnlich große Sehnsucht nach dem Kino-Star Babita Kumari (Katrina Kaif), die selbst unter großem Liebeskummer leidet...

    Die höchst seltsame Dreiecksgeschichte um den kratzbürstigen Kleinwüchsigen, der körperlich behinderten Wissenschaftlerin und dem traurigen Filmstar entfaltet sich über eine dreistündige Laufzeit hinweg, die sich wohl am ehesten als durchwachsen beschreiben lässt. Aber trotz eines leichten Hängers im zweiten Drittel - ausgerechnet der Abschnitt, in dem Kassenkonkurrent und Kumpel Salman Khan einen Gastauftritt absolviert - unterhält „Zero“ konstant prächtig. Das liegt in erster Linie an der temporeichen, lebendigen Inszenierung von Aanand Rai, der mit charmanten Filmen wie „Tanu Weds Manu“ bereits ein leichtes Händchen für komplizierte Dreiecksgeschichten bewiesen hat. Und an der unbändigen Spielfreude von Shah Rukh Khan, der hier wie zuvor in dem ähnlich ambitionierten Thriller „Fan“ in einer physisch ungewohnten Rolle zur Hochform aufläuft. Wenn er in der atemberaubend schön choreographierten Sequenz zum besten Song („Mere Naam Tu“) des melodisch gelungenen Films alle Register des Charmeurs zieht, der seine Herzdame gewinnen will, wird man daran erinnert, was für eine cineastische Urgewalt doch noch immer in dem Mann steckt.

    Was weniger gut funktioniert, ist das Drehbuch, das den Film durch zwei große Wendungen in drei verschiedene Sektionen zergliedert, die für sich jeweils als einzelne Filme aus unterschiedlichen Genres funktionieren, aber zusammengenommen eine unausgegorene Mischung ergeben. Im ersten Drittel, der wie eine unkonventionelle RomCom anmutet, tut sich Anushka Sharma schwer damit, eine glaubwürdige Vorstellung als körperlich behindertes Genie zu geben. Im zweiten Drittel, das sich als Bollywood-Satire versteht, in dem fast alle früheren Leading Ladies von Shah Rukh Khan einen Gastauftritt absolvieren, führt zum dramaturgischen Stillstand, zeigt dafür aber Katrina Kaif in einer ungewöhnlich komplexen Rolle. Im dritten und gelungensten Drittel lässt der Film endgültig jegliche Glaubwürdigkeit hinter sich und schickt sein zentrales Paar buchstäblich in die Schwerelosigkeit. Das ist so albern wie faszinierend. Als Zuschauer bleibt man aber immer auf Distanz zu den Figuren, die trotz dem Charme der Darsteller nie nachvollziehbar genug in ihren Handlungen sind, als dass ihre Schicksale einem wirklich zu Herzen gehen würden.

    Fazit: „Zero“ ist eine bizarre Wundertüte, die sich Fans des Bolllywood-Kinos und von Shah Rukh Khan nicht entgehen lassen sollten. Mit großem Experimentierwillen wirft sich der unterschätzte Schauspieler in seine Rolle. Aber der Film lässt ihn zuweilen im Stich und mag als bewegendes Liebesmelodram nicht so recht funktionieren. Mal bezaubernd, mal irritierend, ist die wilde Genre-Mixtur aber ein Erlebnis für sich.

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