Das erste Mal mit einem "Müsli"
Von Thomas LassonczykDie Grünen sind inzwischen hinter CDU/CSU die mit Abstand klar zweitstärkste politische Kraft der Nation, im Rahmen der Fridays-for-Future-Demonstrationen gehen Woche für Woche europaweit Hundertausende Schüler für die Bewältigung der Klimakrise auf die Straße. Das zeugt von einem begrüßenswerten ökologischen Bewusstsein der Jugend, zugleich gab es solche Bestrebungen natürlich immer schon mal wieder, seit der französische Philosophen Jean-Jacques Rousseau bereits im 18. Jahrhundert die Devise „Zurück zur Natur!“ ausgerufen hat. „Petting statt Pershing“, der Regie-Erstling von Petra Lüschow, die bisher vor allem als Drehbuchautorin für Kino („Tannöd“) und Fernsehen („Tatort: Schmutziger Donnerstag“) in Erscheinung getreten ist, spielt nun ebenfalls vor dem Hintergrund einer solchen gesellschaftlichen Bewegung: Mit einer Mischung aus Nostalgie-Drama, Coming-of-Age-Geschichte und satirischer Komödie entführt uns Lüschow in das Jahr 1983, also in eine Epoche, in der man schon einmal mit Jutesack statt Plastikbeuteln zum Einkaufen ging, mit „Atomkraft? Nein danke“-Aufklebern seiner linken Gesinnung Ausdruck verlieh und nach der legendären John-Lennon-Devise „Make Love, Not War“ zu leben versuchte.
Das geht auch Ursula (Anna Hornstein) nicht anders. Sie ist 17, bebrillt, etwas pummelig und auch die selbstgestrickten Wollkleider tragen nicht unbedingt zu ihrer Attraktivität bei. Doch diese mangelnde Anziehungskraft macht sie mit einem erstaunlichen Selbstbewusstsein, großer Intelligenz (sie zitiert mit Vorliebe Albert Camus) und scharfer Zunge wieder wett. Ursula findet ihre spießigen Eltern doof, kann mit den Konzepten von Pazifismus oder offener Beziehungen viel anfangen und will – ganz im Sinne des Filmtitels – vor allem eines, nämlich endlich ihre Unschuld verlieren. Da kommt ihr der neue Lehrer Grimm (Florian Stetter) gerade recht. Der ist ein völlig in sich ruhender „Müsli“, der stricken kann und Ursula wie ein regelrechter Heilsbringer erscheint, während er Frieden, Liebe und Harmonie propagiert. Doch anstatt auf Ursulas schmachtvollen Blicke zu reagieren, legt der Lehrer lieber erst mal alle anderen Frauen des Dorfes flach, inklusive ihrer Mutter (Christina Große). Das kann Ursula natürlich nicht einfach auf sich sitzen lassen und so holt sie nach der Lektüre von „Wie vergewaltige ich einen Mann“ zum rachelüsternen Rundumschlag aus …
Kriegsbemalung vor dem Lehrer-Kidnapping!
„Petting statt Pershing“ zeichnet ein vor allem in den Details präzises Bild der 1980er Jahre. Das spiegelt sich auf allen Ebenen wider, ob in der Ausstattung (inklusive einem blauen Audi 100 Coupé), den Kostümen oder in der Auswahl der Musiktitel. Allerdings will Petra Lüschow in ihrem Film offenbar alles unterbringen, was damals irgendwie relevant war, von Bettina Wegners Kultsong „Sind so kleine Hände“ bis hin zur damaligen Premium-TV-Unterhaltung „Donnerlippchen“. Das alles ist zwar schön anzusehen, treibt aber in seiner Beliebigkeit und vor allem in seiner schieren Fülle die Handlung nicht voran. Das betrifft auch die Hauptfigur. Anna Hornstein meistert ihre erste Kinorolle gut, doch das Drehbuch gesteht ihr praktisch keine Entwicklung zu. Dafür sorgt Hornstein zumindest für den Humor, vor allem, wenn andere sich über sie lustig machen. Es ist allerdings ein beißender, bitter-böser, ja gehässiger Humor, bei dem man sich förmlich ertappt fühlt, wenn man darüber lacht. Etwa in der Szene, in der der von ihren Mitschülerin als Obelix bezeichneten Ursula der enorm dimensionierte Büstenhalter geklaut wird. Danach spielt dann ein Dutzend pubertierender Jungs mit ihr und dem delikaten Wäschestück Tratzball.
Darüber hinaus besteht allerdings auch der Humor wieder zum Großteil aus eingestreuten Achtziger-Eigenheiten (Kenner des damaligen Primetime-Fernsehprograms kommen besonders auf ihre Kosten) und kommt zudem oft eher schwerfällig daher. Auch mal inszenatorisch darüber hinausgehende Szenen gibt es hingegen selten, das auffälligste und lustigste Beispiel ist da noch eine in schwarz-weiß gehaltene Sequenz, in der sich Ursula als Yoko Ono ins Bett und an die Seite des bereits erwähnten Ex-Beatle John Lennon träumt, der für sie extra sein legendäres „Imagine“ anstimmt. Derlei Elemente machen „Petting statt Pershing“ zumindest zwischenzeitig zu einer netten Momentaufnahme, die vor allem für „Ah genau, so was das damals“-Momente taugt. Zur gehaltvollen Politsatire oder zum einfühlsamen Initiationsfilm taugt das trotz der rebellischen Hauptfigur selbst ein wenig träge Werk jedoch nicht.
Fazit: Detailverliebtes Nostalgie-Drama um ein 17-jähriges Mauerblümchen, das seine Unschuld verlieren will. Die teils schwarzhumorige, teils satirische, insgesamt etwas hüftsteife Coming-of-Age-Story leidet allerdings darunter, dass der Hauptcharakter nicht als Identifikationsfigur taugt und zudem keine Entwicklung durchmacht.