Dem MCU steht ein Weltkrieg ins Haus
Von Christoph PetersenJeder Fan der MCU-Blockbuster erinnert sich mit Sicherheit noch an das Finale von „Avengers 3: Infinity War“, als Phase-3-Oberbösewicht Thanos mit seinen ringbestückten Fingern schnipste. Aber was einige vielleicht inzwischen wieder vergessen haben: An den US-Kinokassen war „Avengers 3“ 2018 trotz des Mega-Cliffhangers nur der zweiterfolgreichste Marvel-Film des Jahres: „Black Panther“ avancierte nämlich zu einer der größten Überraschungen der Box-Office-Geschichte und spielte am Ende mehr als 700 Millionen Dollar allein in Nordamerika ein („Avengers 3“ brachte es dagegen „nur“ auf 678 Millionen). Das erste Solo-Abenteuer von Chadwick Boseman war also gerade in den USA nicht weniger als ein popkultureller Urknall …
… und dennoch beginnt „Black Panther 2: Wakanda Forever“ nach dem überraschenden Krebstod des Hauptdarstellers nun mit einer flüsternden Stimme aus dem Nichts. Selbst während des typischen Marvel-Vorspanns, in dem das Studio sonst voller Selbstbewusstsein mit all seinen Heldinnen und Helden angibt, ertönt diesmal nicht die pathetische MCU-Fanfare, sondern nur ein leiser entfernter Windhauch, als würde man aus der Ferne vernehmen, wie T‘Challa zu seinen Vorfahren in den Himmel auffährt. Natürlich knallt es später in einigen Sequenzen auch noch ganz gewaltig – und trotzdem ist das „Black Panther“-Sequel erstaunlich wenig auf das übliche Comic-Spektakel, sondern stattdessen auf große Performances, große Schauwerte und vor allem große Ideen ausgerichtet. Dabei kreist „Wakanda Forever“ um Themen, die – sicherlich so nicht geplant – gerade im Jahr 2022 schmerzhaft-aktuell anmuten.
Nach dem Tod von König T'Challa wittert die Welt eine Chance, das mächtige Wakanda in die Knie zu zwingen – aber Königin Ramonda (Angela Bassett) weiß sich zu wehren.
Ein Jahr nach dem Tod von König T'Challa alias Black Panther sieht die Weltgemeinschaft ihre Chance gekommen, der vermeintlich geschwächten Großmacht Wakanda endlich Zugeständnisse bei der Lieferung des mächtigen Minerals Vibranium abzuringen. Aber Königin Ramonda (Angela Bassett) bleibt standhaft – und weist die übrigen Staatsoberhäupter vor der UN in ihre Schranken. Zur selben Zeit haben die USA mithilfe der erst 19 Jahre alten MIT-Studentin Riri Williams (Dominique Thorne) ein Gerät zum Aufspüren von Vibranium entwickelt. Allerdings wird das mit Wissenschaftler*innen und Navy-Seals bemannte Forschungsschiff von einer unbekannten Macht attackiert – und da die komplette Besatzung ihr Leben verliert, tappen die Geheimdienste im Dunkeln.
Die US-Sicherheitsbehörden glauben trotzdem, dass Wakanda hinter dem Angriff steckt und so seine Vibranium-Vormachtstellung sichern will. In Wahrheit aber haben der Unterwasser-Prinz Namor (Tenoch Huerta) und seine auf Walen reitende Wassermänner-Armee den Angriff ausgeführt. Die Hauptstadt ihrer seit Jahrhunderten unentdeckt am Meeresboden existierenden Nation Talokan befindet sich direkt über einem zweiten Vibranium-Vorkommen – und so setzen sie alles daran, Riri davon abzuhalten, noch eine zweite solche Maschine zu konstruieren. Und weil seine Leute auf dem Land nicht viel ausrichten können, droht Namor Wakanda mit einem zerstörerischen Krieg, wenn T'Challas Schwester Shuri (Letitia Wright) ihm die US-Studentin nicht ausliefert…
Wenn man „Vibranium“ durch „Atomwaffen“ ersetzt, dann ist „Black Panther 2“ mitunter ein regelrecht ungemütliches Sehvergnügen: Ryan Coogler und sein Co-Autor Joe Robert Cole treffen die nahezu unausweichlichen Dilemmata der Macht mit einer solchen Präzision, dass einem Angst und Bange werden könnte. Weder Wakanda noch Talokan wollen einen Krieg, zumindest nicht miteinander – und trotzdem lassen die jeweiligen Sicherheitsinteressen die beiden an sich friedlichen Nationen so gut wie zwangsläufig kollidieren. Weder Ramonda noch Namor sind auf klassische Weise „böse“ – und gerade deshalb geht der womöglich nationenauslöschende Konflikt so sehr unter die Haut. Die Zwangsläufigkeit des Ganzen ist schlichtweg pervers – und damit eben auch gänsehauterregend nah an der Realität.
Die USA wollen die Chance zwar nutzen, um selbst an Vibranium zu gelangen – aber am Ende sind die Aktionen der US-Regierung kaum der Rede wert. Es ist eine konsequente Fortsetzung der Ermächtigungsphantasie des Vorgängers, dass es diesmal eine afrikanische und eine aus der Inka-Tradition hervorgegangene Nation sind, die die Geschicke der Welt am Ende in ihren Händen halten. Mit seinen Knöchel-Flügeln sieht der Unterwasser-Prinz dabei nur im ersten Moment ein wenig lächerlich aus. Denn es dauert nicht lange, bis sich der von seinem Volk wie ein Gott verehrte Namor – auch dank der vielschichtigen Performance von Tenoch Huerta („The Forever Purge“) – als kraftvoller Neuzugang entpuppt, der sicherlich die Zukunft des gesamten MCU noch eine ganze Zeit lang maßgeblich mitbestimmen wird.
Prinz Namor (Tenoch Huerta) ist nicht nur für „Black Panther 2: Wakanda Forever“, sondern für das gesamte MCU ein großer Gewinn.
Apropos starke Performances: Neben der geopolitischen Dimension ist „Black Panther 2“ – nach dem Tod des Hauptdarstellers und damit auch des Titelhelden wenig überraschend – auch ein sehr persönlicher Film geworden, der konsequent mit Trauer, Wut und Rachedurst ringt. Am Ende wird es – wie bei den meisten Comic-Verfilmungen – wohl nur ein Award-Hype bleiben, aber dass sowohl Letitia Wright (als Hauptdarstellerin) und Angela Bassett (als Nebendarstellerin) für eine Oscar-Nominierung gehandelt werden, ergibt durchaus Sinn. Beide haben emotionale Gänsehaut-Momente, die im Gegensatz zu „Thor 4“, der in seinem Kern ebenfalls eine tragische Trauergeschichte war, nicht sofort wieder für einen Gag geopfert werden. „Black Panther 2“ ist – nicht nur in dieser Hinsicht – ein für das MCU erstaunlich erwachsener Film.
Trotzdem bleibt dabei auch Platz für feinen Humor, wenn etwa Okoye (Danai Gurira), die Anführerin der Black-Panther-Leibwache Dora Milaje, das ehrwürdige MIT mit dem Niveau einer durchschnittlichen Dorfschule in Wakanda gleichsetzt. Auch in Sachen Schauwerte kann es „Black Panther 2“ spielend mit jedem anderen MCU-Beitrag aufnehmen: Nicht nur sehen wir mehr vom farbenfroh-gewaltigen Wakanda (schon der erste Kameraflug über die nebelverhangenen Wälder ist schlicht atemberaubend schön), wir tauchen auch mit hinab in die gewaltige Unterwasserstadt von Namor, wobei „Wakanda Forever“ tricktechnisch doch noch mal auf einem anderen Niveau als etwa „Aquaman“ unterwegs ist. (Allerdings dürfte es nur ein paar Wochen dauern, bis die Unterwasser-Krone direkt wieder an einen kleinen Film namens „Avatar 2“ weitergereicht werden muss.)
Trotz seiner ausufernden Laufzeit von 162 Minuten verwendet „Black Panther 2“ allerdings anders als sein Vorgänger, in dem Ryan Coogler noch als Action-Regisseur den klassischen 007-Vibe ins Comic-Genre überführte, erstaunlich wenig Zeit auf Verfolgungsjagden, Kämpfe & Co. Aber wenn es dann zur Sache geht, dann wird’s auch bildgewaltig – wobei Coogler vor allem eine diebische Freude daran zu haben scheint, die Unterwasser-Krieger dabei zu zeigen, wie sie sich von ihren Walen mitten hinein in die Schlachten katapultieren lassen – und tatsächlich ist ein Orca, der seinen Reiter mit dem Schlag seiner Schwanzflosse an Bord eines riesigen Schiffes befördert, ein Anblick, an dem man sich kaum sattsehen kann…
Fazit: Ryan Coogler fiel nach dem überraschenden Krebstod seines Stars Chadwick Boseman eine vermeintlich unlösbare Aufgabe zu. Trotzdem hat er aus dem bildgewaltigen „Black Panther 2: Wakanda Forever“ nicht nur den bisher wohl erwachsensten, sondern auch einen der stärkeren Beiträge des MCU geformt.