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    Tatort: Tollwut
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Tatort: Tollwut
    Von Lars-Christian Daniels

    Im April 2017 hielten fast neun Millionen Fernsehzuschauer für einen Moment den Atem an: Kurz bevor sich im starken Dortmunder „Tatort: Sturm“ ein Islamist mit einer Bombe in die Luft sprengte und mit diesem Terrorakt für einen der spektakulärsten Schlussakkorde in der fast 50-jährigen Geschichte der Krimireihe sorgte, wurde Oberkommissar Daniel Kossik (Stefan Konarske) bei der Jagd auf den Attentäter lebensgefährlich verletzt. Würde der junge Ermittler den vieldiskutierten „Tatort“, der wegen des Terroranschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt mit viermonatiger Verspätung ausgestrahlt wurde, wohl überleben? Angesichts des Ausstiegs von Schauspieler Stefan Konarske („Der junge Karl Marx“) schien das zweifelhaft, doch der WDR belehrt uns in Dror Zahavis „Tatort: Tollwut“ eines Besseren: Kossik lebt! Was freilich nicht heißt, dass wir die Figur noch einmal zu Gesicht bekämen: Der junge Kommissar ist zum LKA gewechselt und kommt nur noch in Dialogen seiner alten Kollegen vor. Dafür lernen wir seinen Nachfolger kennen – und es gibt ein Wiedersehen mit zwei anderen Figuren, die in Zahavis spannendem Knast-Krimi ihren Teil dazu beitragen, dass Dortmund seinen Status als eine der momentan stärksten „Tatort“-Städte zementiert.

    In der Dortmunder JVA kommt ein Häftling qualvoll zu Tode: Michael Strecker hat sich mit dem Tollwutvirus infiziert und verstirbt direkt vor den Augen von Gefängnisarzt Jonas Zander (Thomas Arnold), der früher als Rechtsmediziner für die Kripo tätig war. Zander bittet seine ehemaligen Kollegen Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt) und Nora Dalay (Aylin Tezel) um Hilfe und eröffnet den Kommissaren, dass er sich angesteckt und nur noch wenige Tage zu leben hat. Bei einer Messerstecherei waren sowohl Strecker als auch Zander verletzt worden – und die Tollwut-Erreger wurden zuvor offenbar in einem Labor entwendet und irgendwie ins Gefängnis geschmuggelt. Kurz darauf stirbt auch noch der Zellengenosse des Häftlings Nico Rattay (Rick Okon): Die Leiche weist ebenfalls Symptome der Tollwut auf. Bei ihren Ermittlungen im Knast treffen die Dortmunder Ermittler auf einen alten Bekannten: Der perfide Serienmörder Markus Graf (Florian Bartholomäi), der Fabers Frau und Tochter auf dem Gewissen hat, wurde in die Haftanstalt verlegt und bittet seinen alten Widersacher direkt um ein Gespräch. Angeblich hat er wichtige Informationen, die zur Aufklärung des Tollwut-Falls beitragen. Doch für die fordert er eine Gegenleistung...

    Für seine tolle Performance im „Tatort: Auf ewig Dein“ erhielt Florian Bartholomäi („Deutschland 83“), der momentan den Rekord für die meisten Auftritte als Mörder im „Tatort“ hält, 2014 viel Lob – sein charismatischer Auftritt als Serienkiller Markus Graf, der selbst den egozentrischen Soziopathen Faber aus der Reserve zu locken vermochte, war eine große Stärke des dramatischen, aber auch überfrachteten Krimis. Im „Tatort: Tollwut“ erzählt der Dortmunder Stammautor Jürgen Werner („Zivilcourage“) erneut eine komplexe Geschichte, doch klammert er private Störfeuer diesmal aus: Sieht man von Bönischs „Mitleidsfick“ mit dem todgeweihten Zander ab, konzentriert sich das Geschehen auf die Ermittlungen hinter Gittern und die gewohnt emotional geführten Streitgespräche im Präsidium. Bevor Kossiks desiginierter Nachfolger im bereits abgedrehten „Tatort: Tod und Spiele“ seinen Dienst antritt (wer es wird, könnt ihr unter diesem Text nachlesen – aber Achtung: Spoiler!), füllt Dalay das personelle Vakuum beim Dauerzoff mit Faber aus: Während ihr Chef um Wiedergutmachung für seine jüngsten Eskapaden bemüht ist, geht die junge Oberkommissarin in bester Kossik-Manier auf Konfrontationskurs und spielt sogar mit dem Gedanken, das Team zu verlassen.

    Wer geglaubt hatte, in Dortmund würde nun etwas Ruhe einkehren, ist also schief gewickelt, zumal Faber doppelt gefordert wird: Graf ist sein Kryptonit und auch bei der zweiten Begegnung scheint der gewiefte Mörder dank seines Wissensvorsprungs gegenüber dem Ermittler stets am längeren Hebel zu sitzen. Ganz einleuchten will die Sonderbehandlung, die der charismatische Psychopath in der JVA genießt, allerdings nicht: Als vergleichsweise schmächtiger Insasse ohne einflussreiche Kontakte sollte er hinter dem Rücken der Wächter ein leichtes Opfer für seine wenig zimperlichen Knastbrüder sein – stattdessen lassen diese ihn aber in Ruhe und Fabers Erzfeind darf in einer geräumigen Einzelzelle sein Faible für Kunst ausleben, dessen Resultate er dem Kommissar zukommen lässt. Diese Hannibal-Lecter-Anleihen wirken etwas überzeichnet, doch fällt das angesichts des hohen Unterhaltungswerts nicht allzu schwer ins Gewicht: Der großartige Twist auf der Zielgeraden des Films, der in direktem Zusammenhang mit Grafs Malerei steht, entschädigt für so manche Unstimmigkeit und läutet ein Finale ein, über das nach dem Abspann ganz sicher gesprochen werden wird (wenngleich es nicht ganz so schockiert wie das im eingangs erwähnten „Tatort: Sturm“).

    Regisseur Dror Zahavi („Das Jerusalem-Syndrom“) zeigt trotz der auffälligen Dialoglastigkeit seines Films nicht zum ersten Mal, dass er etwas von spannenden Knast-Krimis versteht: Schon 2014 schockte er mit seinem erst um 22 Uhr ausgestrahlten „Tatort: Franziska“ ein Millionenpublikum, als er die beliebte Kölner Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) hinter Gittern brutal mit einem Kabelbinder erdrosseln ließ. Auch der 1046. „Tatort“ ist nichts für schwache Nerven: Die wilden Krampfanfälle und verzweifelten Schreie der bedauernswerten Tollwut-Opfer könnten auch gut aus einem Horrorfilm stammen – die Bedrohung und Überlegenheit, die Graf bei den Begegnungen mit Faber ausstrahlt, sind da schon deutlich subtilerer Natur. Dennoch oder gerade deswegen entfaltet dieses Mann-gegen-Mann-Duell eine große Faszination – und wir können uns ziemlich sicher sein, dass wir den brutalen Serienmörder nicht zum letzten Mal gesehen haben. Hier ergibt sich eine auffällige Parallele zum Kieler „Tatort“-Kollegen Klaus Borowski (Axel Milberg), dessen mitreißende (und nach wie vor nicht beendete) Dauerfehde mit seinem Widersacher Kai Korthals (Lars Eidinger) allerdings noch eine ganze Ecke spektakulärer ausfiel.

    Fazit: Dror Zahavis „Tatort: Tollwut“ ist ein spannender Knast-Krimi aus Dortmund, dessen großartige Auflösung die kleinen Schönheitsfehler im Drehbuch mehr als wettmacht.

    SPOILER!

    Der Nachfolger von Stefan Konarske im „Tatort“ aus Dortmund wird nach übereinstimmenden Medienberichten Rick Okon, der in dieser Folge (noch) als Undercover-Ermittler Jan Pawlak (Deckname: Nico Rattay) im Knast zu sehen ist. „Um den Zuschauerinnen und Zuschauern nicht die Spannung zu nehmen“, wollte sich der WDR dazu aber noch nicht offiziell äußern. Dass Pawlak kein „echter“ Häftling ist, klärt sich im Film erst spät.

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