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    Das Leben danach
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Das Leben danach
    Von Lars-Christian Daniels

    Seit dem 24. Juli 2010 ist nicht nur die deutsche Technoszene, sondern auch die Stadt Duisburg nicht mehr dieselbe: Bei der 19. und zugleich letzten Loveparade kamen an diesem Tag bei einer Massenpanik am Fuße der Hauptrampe vor dem Tunnel der Karl-Lehr-Straße 21 Menschen zu Tode. Weit mehr als 500 Besucher wurden zudem schwer verletzt oder traumatisiert. In den Monaten danach folgten Schuldzuweisungen von Veranstalter, Polizei, Gutachtern, Sicherheitsfirmen und Oberbürgermeister Adolf Sauerland, der 2012 nach einem Bürgerentscheid seinen Hut nehmen musste. Die juristische Aufarbeitung des Unglücks ist bis heute nicht abgeschlossen, erst im Dezember 2017 soll der Prozess beginnen. Den unmittelbaren Folgen der Katastrophe widmet sich nun auch Filmemacherin Nicole Weegmann („Ein Teil von uns“) in ihrem überzeugenden TV-Drama „Das Leben danach“ – ihr geht es aber nicht um einen Beitrag zur Aufarbeitung der Schuldfrage, sondern um eine fiktive Antwort auf die Frage, was eine solch traumatische Erfahrung wohl mit dem Seelenleben eines jungen Menschen anstellen kann, der im Duisburger „Tunnel“ noch einmal mit dem Schrecken davongekommen ist.

    Duisburg, 24. Juli 2010: Antonia Schneider (Jella Haase) ist einer von Tausenden begeisterten Technofans, die auf der Loveparade ausgelassen feiern wollen. Doch sie gerät direkt in den Tunnel, vor dessen Eingang 13 Frauen und acht Männer zu Tode gequetscht werden. Sieben Jahre später ist „Toni“ noch immer schwer traumatisiert und unfähig, ein normales Leben zu führen: Die ständigen Panikattacken machen der 24-Jährigen einen geregelten Job unmöglich. Auch ihre Stiefmutter Kati (Christina Große) und ihr Vater Thomas (Martin Brambach) sind mit ihren Kräften langsam aber sicher am Ende. Als Antonia ihre regelmäßig auftretende Zerstörungswut eines Nachts an der Gedenkstätte für die Loveparade-Opfer auslässt, kommt dort zufällig Taxifahrer Sascha Reinhardt (Carlo Ljubek) vorbei: Er fährt die aufgelöste junge Frau nach Hause und erzählt ihr, dass er 2010 ebenfalls im Tunnel war. An dieser Geschichte kommen Antonia allerdings Zweifel: Sascha scheint bei dem Unglück vielmehr eine ganz andere Rolle gespielt zu haben und wird daher zum Ziel ihrer unbändigen destruktiven Energie, die auch vor seinem 14-jährigen Sohn Jasper (Jeremias Meyer) nicht Halt macht...

    Als NRW-Sender war es uns wichtig, dieses Trauma zum Thema zu machen und über einen ungewöhnlichen fiktionalen Ansatz neu in den Fokus zu rücken“, schreibt der WDR im Presseheft zu „Das Leben danach“ – und trifft damit einen wunden Punkt, denn in der medialen Berichterstattung und der öffentlichen Schlammschlacht zwischen Beschuldigten, Angehörigen, Überlebenden und der Stadt ging ein wichtiger Aspekt oft unter: Mindestens sechs Überlebende nahmen sich in den Jahren nach der Katastrophe wegen psychischer Nachwirkungen das Leben. Viele weitere sind auch heute noch schwer traumatisiert. Wie sehr ein solches Unglück die Psyche eines jungen Menschen verändern kann, mag man als Unbeteiligter nur erahnen, doch Regisseurin Nicole Weegmann, die hier nach „Mobbing“ oder „Ihr könnt euch niemals sicher sein“ erneut ein Drehbuch des eingespielten Autorenduos Eva und Volker A. Zahn verfilmt, gelingt ein beklemmendes und zugleich sehr glaubwürdiges Psychogramm: In der schwer traumatisierten Toni („Ich hab‘ einen an der Klatsche, ich war auf der Loveparade.“) dürften sich nicht wenige Überlebende wiederfinden, die 2010 in die Massenpanik gerieten und nicht mehr das Leben führen können, das sie gern führen würden.

    Mit „Fack Ju Göhte“-Star Jella Haase konnte der WDR eine große deutsche Nachwuchshoffnung für die vielschichtige Hauptrolle gewinnen – und der talentierten Jungschauspielerin gelingt es nach ihren tollen Auftritten in „Kriegerin“, „Looping“ oder „4 Könige“ einmal mehr, sich mit einer starken Performance von ihrem „Chantal“-Image zu emanzipieren. „Die ist kaputt. Die wird einfach nicht mehr.“ – so fällt selbst Kati (Christina Große, „Ich fühl mich Disco“) ein vernichtendes Urteil über ihre verstörte Stieftochter, und auch bei ihrem liebevollen Vater Thomas (Martin Brambach, „Das Leben der Anderen“) reißt der Geduldsfaden irgendwann: Toni lässt ihre traumatischen Erlebnisse gnadenlos an ihren Mitmenschen aus und isoliert sich so immer mehr. Was sich dem Technofan für schreckliche Bilder ins Gedächtnis gebrannt haben, überlassen die Filmemacher der Phantasie des Zuschauers, so dass jede plumpe Effekthascherei ausbleibt: Außer einigen mit wackeliger Handkamera eingefangenen Flashbacks, die durch Schlüsselreize wie die Farbe Pink oder ein heulendes Martinshorn ausgelöst werden, geht es visuell wie verbal nie ins Detail. Dennoch werden die klaustrophobischen Zustände auf der Loveparade (sechs Menschen kamen dort auf einen Quadratmeter) und das, was sie mit Tonis Seelenleben angerichtet haben, in all ihrem Schrecken deutlich: Wer das nächste Mal Paul Kalkbrenners „Sky And Sand“ im Radio hört, hört den Song wohl mit anderen Ohren.

    Dass der verständnisvolle Sascha (Carlo Ljubek, „Luna“) sich so zur hasserfüllten Toni hingezogen fühlt, liegt auch in dessen Vorgeschichte begründet – nicht ganz schlüssig wirkt hingegen Tonis Zuneigung zu ihm, gegen die die junge Frau erfolglos ankämpft. Überhaupt wirkt die Charakterzeichnung im Hinblick auf Sascha im sonst so überzeugenden Drehbuch etwas unrund: Warum der Ex-Mathematiker zum Beispiel jeden Fahrgast in seinem Taxi filmt, bleibt nebulös – anders als die grenzenlose Geduld mit der traumatisierten Überlebenden, die man ihm trotz aller Rückschläge abkauft. Der kitschige Schlussakkord, der dank des mühsam konstruierten Konzert-Szenarios fast an Teenie-Filme á la „High School Musical“ erinnert, raubt dem Drama ebenfalls ein Stück seiner Durchschlagskraft – der kleine Nebenstrang um das Band-Revival von Tonis Vater bringt die Geschichte ohnehin eher vom Kurs ab als voran. Dennoch zählt „Das Leben danach“ zu den sehenswertesten TV-Filmen des Jahres – liegt das stark gespielte Drama doch immer noch weit über dem Durchschnitt dessen, was die ARD am Mittwochabend sonst so an Eigenproduktionen ausstrahlt.

    Fazit: Nicole Weegmanns Loveparade-Drama „Das Leben danach“ ist ein gelungener TV-Film mit einer glänzend aufgelegten Jella Haase und kleineren Schwächen im Hinblick auf Drehbuch und Figuren.

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