Von ihren durchschnittlich sechs bis zwölf Millionen Zuschauern werden die neuen Folgen der deutschen Krimi-Instanz „Tatort“ Woche für Woche meist harsch kritisiert – und zwar weil sie entweder das nach mehr als 1.000 Ausgaben ausgelutschte Whodunit-Prinzip nicht genug variieren oder weil sie es gerade mit dieser Varianz übertreiben. Dabei ist es absolut legitim, einen hanebüchenen Horror-„Tatort“ wie „Fürchte dich“ oder einen mit Zombiefilmanleihen versehenen Öko-„Tatort“ wie „Böser Boden“ für ihre abstrusen Handlungsverläufe zu kritisieren – und in der Folge wurde die Zahl solcher experimentellen „Tatort“-Folgen ja auch gerade erst höchstoffiziell auf zwei pro Jahr reduziert. Aber noch viel schlimmer (und vor allem langweiliger) sind doch die Beiträge, die der obligatorischen Mördersuche mit den immergleichen Ermittlungen und Verhören so gar nichts Eigenes hinzuzufügen haben.
Ein solcher 08/15-Krimi ist nun auch Jan Verheyens „Das letzte Opfer“, der in seinem Produktionsland Belgien sogar ganz regulär in die Kinos gekommen ist. Schon deutlich besser aufgehoben wäre der Serienkiller-Thriller aber im Fernsehen, wo er in Deutschland dank des koproduzierenden ZDF nach seiner Heimkino-Auswertung sicher bald landen wird. Aber auch im Genre der Spätabend-TV-Krimis zählt „Das letzte Opfer“ noch zu den schwächeren Vertretern, weil die Macher im Laufe der unnötig üppigen 127 Minuten nicht nur ein Ermittlerklischee nach dem anderen abfrühstücken, sondern man als Zuschauer noch nicht mal sonderlich krimierfahren sein muss, um bereits nach zehn Minuten auf die Lösung zu kommen.
Als ein Mörder beim Verbuddeln einer Leiche gestört wird, stößt die Polizei im Umfeld des Fundorts gleich noch auf eine Handvoll weiterer kopfloser Frauenkörper. Die belgischen Kriminalpolizisten Eric Vincke (Koen de Bouw) und Freddy Verstuyft (Werner De Smedt) ziehen bei ihren Ermittlungen den erfahrenen Europol-Profiler Anton Mulder (Marcel Hansema) zurate, der ihnen bei der Jagd auf den flüchtigen Killer helfen soll. Von der Sinnhaftigkeit seiner Arbeit ist allerdings nicht jeder im Team überzeugt, wobei vor allem Freddy aber noch ein viel größeres Problem hat: Als er auf die verstörte Psychologin Rina (Sofie Hoflack) trifft, die dem Killer offenbar im letzten Moment entkommen konnte, vergisst er sämtliche Ratschläge seines Umfeldes und lässt sich auf eine stürmische Affäre mit dem Opfer ein. Während Eric gewissenhaft Zeugen befragt und Verdächtige observiert, verliert Freddy nach und nach den eigentlichen Fall völlig aus den Augen. Die Ermittlungen versinken zunehmend im Chaos, bis sich die Ereignisse schließlich überschlagen…
Der Krimiautor Jef Gerraerts schrieb zwischen 1962 und 2002 stolze 52 Romane, die von der Kritik für ihre Realitätsnähe und Gesellschaftskritik gelobt wurden. Zwei davon, nämlich „The Alzheimer Case“ und „Codex K“, wurden unter den Titeln „Totgemacht“ und „Das Recht auf Rache“ bereits für die große Leinwand adaptiert. „Das letzte Opfer“ ist nun der dritte Kino-Auftritt des Ermittlerduos Eric Vincke und Freddy Verstuyft - und auch diesmal beginnt die Geschichte zumindest vielversprechend: Sechs tote Frauen ohne Kopf sieht man schließlich auch in Krimis nicht alle Tage.
Aber Jan Verheyen verpasst es völlig, die Spannung nach dem neugierig machenden Auftakt weiter hochzuhalten. Stattdessen passiert in den grell überbeleuchteten Einstellungen anschließend lange Zeit nichts anderes, als dass die Polizisten von A nach B fahren, vor Ort ihre Befragungen durchführen und sich regelmäßig darüber kabbeln, dass einer die Arbeit an dem Fall wichtiger nimmt als der andere. Da wird die vollkommen unverhältnismäßige Laufzeit von mehr als zwei Stunden schnell zur Geduldsprobe.
Viele längst ausgelutschte Zutaten von Primetime-Krimis werden auch in „Das letzte Opfer“ ebenso lieb- wie einfallslos abgehandelt: Da ist zum einen das Cop-Duo, dessen Unterschiede so überdeutlich herausgestellt werden, dass beide Ermittler schnell zu wandelnden Klischees verkommen (und sich zudem jeweils auf ihre eigene Art immer wieder seltendämlich anstellen). Dazu kommt die in der Realität längst abgeschlossene Diskussion über den Sinn von Profiling als Ermittlungsmethode, die völlig überflüssigerweise und ohne eine einzige interessante Idee nebenbei mitläuft – man könnte die Figur des Interpol-Gastes einfach ersatzlos streichen und es würde sich absolut gar nichts an der Story ändern. Wenn dann auch noch einer der Cops eine verbotene Affäre mit einer Zeugin eingeht und diverse spleenige Verdächtige als offensichtliche falsche Fährten präsentiert werden, ist das akzeptable Maß an verwursteten Genretropen endgültig überschritten.
Während Drehbuchautor Carl Joos, der auch schon bei „Das Recht auf Rache“ mit dem Regisseur zusammengearbeitet hat, brav Haken um Haken hinter sämtliche Krimi-Versatzstücke macht, werden die auf der Leinwand gezeigten Ereignisse ohne auch nur einen Hauch von inszenatorischer Finesse mit der Zeit immer beliebiger. Und je mehr sich die Macher darum bemühen, den Zuschauer aufin die Irre zu führen, desto leichter lassen sich die falschen Fährten als ebensolche durchschauen. Dabei wäre die Vorhersehbarkeit an sich womöglich gar nicht mal so schlimm, wäre der mit klaffenden Logiklöchern und hanebüchenen Ermittlungsfehlern gespickte Weg zum immerhin recht rasanten Finale nicht derart konsequent unspektakulär.
Fazit: Die belgische Kino-Produktion „Das letzte Opfer“ mutet eher wie ein überlanger Standard-TV-Krimi an – aber auch als solcher wäre er kaum zu empfehlen.