Der Western ist das wohl uramerikanischste aller Genres. Als dann in den 1960er Jahren erstmals auch außerhalb Hollywoods in größerem Stil Western gedreht wurden, bürgerten sich für die regionalen Spielarten bald etwas abschätzige, aber amüsante kulinarische Bezeichnungen ein. So werden die wegweisenden italienischen Beiträge von Sergio Leone und Co. gerne Spaghetti-Western genannt, die „Winnetou“-Filme aus deutscher Produktion sind Sauerkraut-Western und gelegentlich ist sogar von französischen Camembert-Western die Rede. Nun ließe sich die Reihe mit „Marlina - Die Mörderin in vier Akten“ aus Indonesien um einen neuen Leckerbissen erweitern: den Satay-Western. Immerhin spielen Essen und Kochen in dem Film sogar eine wichtige Rolle. Der spannende feministische Rachedrama-Western von Regisseurin Mouly Surya ist jedenfalls eine echte Seltenheit unter den Produktionen aus dem asiatischen Inselstaat und bietet eine mehr als sehenswerte Alternative zu Action-Reißern wie „The Raid“ und „Headshot“, für die das indonesische Kino der Gegenwart am bekanntesten ist.
Ein bescheidenes Haus in karger Landschaft. Ein Motorrad fährt vor. Der Fahrer Markus (Egi Fedly) fragt die Hausherrin Marlina (Marsha Timothy) nach ihrem Ehemann. Der Gatte habe auswärts zu tun, schwindelt die Witwe. Dem ungebetenen Besucher ist das aber sowieso gleichgültig. Er macht es sich im Haus bequem und behauptet, Marlina habe Schulden bei ihm. Daher müsse er ihr alles Geld, aber auch ihre Kühe, Schweine, Ziegen und Hühner abnehmen. Er kündigt an, dass sechs seiner Freunde nachkommen, um ihm zu helfen und verlangt von Marlina, eine Mahlzeit für ihn und seine Männer zu kochen. Wenn später nach dem Essen noch Zeit ist, dann würden sie alle mit ihr schlafen und sie „zur glücklichsten Frau“ machen. Für die zierliche Marlina scheint es keinen Ausweg zu geben…
Am Ende dieser Synopsis befinden wir uns immer noch im ersten der vier schon im Filmtitel angedeuteten Kapitel, die den Film strukturieren. Diese mit „The Robbery“ überschriebene Eröffnung, in der es um den Überfall von Markus und seiner Bande auf die alleinstehende Marlina geht, ist spannend wie ein Thriller. Gleichzeitig etabliert Regisseurin Mouly Surya hier schon alle wichtigen Themen und Motive, die in den folgenden beiden etwas ruhigeren Kapiteln „The Journey“ und „The Confession“ vertieft werden, bevor sich im mit „The Birth“ überschriebenen Schlussteil ein Kreis schließt und womöglich etwas Neues beginnt. Am Anfang dringt Markus beseelt von der arroganten Selbstgewissheit des „starken Geschlechts“ in das Haus der Witwe ein und erwartet, dass die Frau ihm zu Willen ist. Im Anschluss geht es erst einmal darum, ob und wie sich Marlina der konkreten Übermacht von dann bald sieben Männern erwehren kann. Aber dann erweitert die Regisseurin die stilistische und die inhaltliche Palette und nimmt die (Geschlechter-)Verhältnisse am Beispiel der spärlich bevölkerten indonesischen Insel Sumba ganz grundsätzlich in den Blick.
Das Belagerungsszenario des Beginns lässt mit seinen selbstbewusst ausgehaltenen Cinemascope-Kompositionen, den pointierten Dialogen und einem genüsslich erst mit viel List und dann mit viel Blut zelebrierten doppelten Klimax an diverse Filme von Quentin Tarantino denken (natürlich an seine Western „The Hateful 8“ und „Django Unchained“, aber vor allem auch an „Kill Bill“). Wenn sich Marlina anschließend mit einem gruseligen Beweisstück unterm Arm auf den Weg macht, um das Geschehen der Polizei zu melden, wird sie mit Beharrlichkeit und Entschlossenheit zur Gallionsfigur aller unterdrückten, misshandelten und ausgenutzten Frauen. Aber die männlichen Anmaßungen haben noch lange kein Ende: Das Desinteresse der Polizisten, die sich nur ungern von ihrem Tischtennisspiel ablenken lassen, spricht genauso Bände wie der alte Irrglaube, dass die Spätgeburt eines Babys beweise, dass die Mutter sexuell untreu gewesen ist.
Es ist ein Spießrutenlauf durch ein Macho-Land, den die von Marsha Timothy („The Raid 2“) mit beeindruckender Unerschütterlichkeit verkörperte Protagonistin da absolviert. Die Insel mit ihren trockenen Feldern, den bescheidenen Häusern, den einfachen Schotterwegen und den verkrusteten Strukturen erscheint so widerspenstig wie die wilden Landschaften in amerikanischen Pionierwestern. Den Härten des Ungehobelten setzt Mouly Surya ein kurzes lyrisch inszeniertes Idyll in einem Gasthaus entgegen, wo Marlina auf das Mädchen Topan trifft. Der wichtigste Kontrapunkt ist aber die starke Frauenfreundschaft zwischen der Heldin und der hochschwangeren Novi (Dea Panendra), die am Ende blutige, aber befriedigende Früchte trägt, wenn Surya noch einmal zu der befreienden Wucht des Rachereißers zurückkehrt. Nachdem sie zwischendurch mit geradezu soziologischer Genauigkeit von den Zuständen auf der Insel erzählt hat, zaubert die Regisseurin hier eine ebenso packende wie brillante Coda aus dem Hut.
Fazit: „Marlina - Die Mörderin in vier Akten“ ist als moderner Rachewestern aus Indonesien eine echte Rarität und mit seiner feministisch aufgeladenen Mischung aus packendem Genre-Reißer und sensiblem Arthouse-Kino überaus sehenswert.