In vielen Filmen und Serien über die Zombieapokalypse stehen die Attacken der Untoten im Mittelpunkt und der brutale Überlebenskampf wird möglichst blutig und schockierend in Szene gesetzt. Die australischen Filmemacher Yolanda Ramke und Ben Howling gehen bei ihrem Survival-Thriller „Cargo“ einen anderen Weg: Das Regie-Duo baut seinen eigenen siebenminütigen Kurzfilm gleichen Titels aus dem Jahr 2013 auf Spielfilmlänge aus, hält sich bei Action und Gewalt zurück und verliert nie die (Rest-)Menschlichkeit der Untoten aus den Augen. Selbst ein Zombie kann hier nach wie vor kommunizieren – wenn auch nur durch Botschaften, die er noch als Mensch geschrieben hat. Außerdem richten Ramke und Howling besonderes Augenmerk auf eine Gruppe von Aborigines und deren Kultur. So bekommt der solide, in der Hauptrolle mit Martin Freeman („Der Hobbit“, „Sherlock“) prominent besetzte postapokalyptische Survival-Thriller, sowohl eine humanistische als auch eine aufklärerische Note.
Das australische Outback nach Ausbruch einer Zombie-Epidemie: Andy (Martin Freeman) versucht seine Frau Kay (Susie Porter) und seine einjährige Tochter Rosie zu retten, doch erst wird Kay infiziert und dann auch er selbst. Ihm bleiben 48 Stunden bis zu seiner endgültigen und unumkehrbaren Verwandlung in einen blutrünstigen Untoten, in der Zeit will er unbedingt noch sein Töchterchen in Sicherheit bringen. Für das Aborigine-Mädchen Thoomi (Simone Landers) ist indes klar, dass sein zum Zombie gewordener Vater Daku (David Gulpilil) immer noch eine Seele in sich trägt und schützt ihn daher vor den anderen Angehörigen ihres Stammes. Die Ureinwohner haben die Plage vorausgeahnt und sich fernab der inzwischen untergegangenen Zivilisation in die wilde Landschaft zurückgezogen, nachts brennen sie große Feuer ab und töten die davon angelockten Zombie-Horden mit Speerstichen ins Gehirn. Auf diese Art überlebt die verschworene Gemeinschaft, von der auch Andy auf seiner Odyssee erfährt…
Einen Untoten mit einem Schuss oder Stich ins Gehirn zur Strecke bringen? Vor heranstürmenden Zombie-Massen flüchten oder auch vor einem anderen Menschen, dem ein Leben angesichts der totalen Apokalypse nichts mehr bedeutet und der jegliches moralische Maß verloren hat? Solche Szenen gibt es im Zombie-Genre zuhauf, da bildet auch „Cargo“ keine Ausnahme. Doch hier sind sie nicht die Hauptsache, sondern der dramatische Hintergrund für eine zivilisationskritische und dennoch hoffnungsvolle Erzählung über die Irrwege von Kolonialismus und Kapitalismus sowie liberal-menschliche Alternativen.
Eine zentrale Figur in diesem Szenario ist der Antagonist der Geschichte: Der weiße Australier Vic (Anthony Hayes) ist Rassist durch und durch, er verachtet die Aborigines und schätzt sie ebenso gering wie die Untoten. Gleichzeitig hält der gute Schütze und Überlebenskünstler trotz des Zusammenbruchs der gesamten Infrastruktur an seinen kapitalistischen Zielen fest. Er hortet Vorräte für die Zeit nach der Apokalypse, um das große Geld zu machen, auch wenn er wissen müsste, dass es dazu nie kommen wird, da es keine Kur für die Zombie-Infektion gibt. Der von Profitgier, Ellenbogenmentalität und Hass getriebene Vic steht symbolisch für die jahrhundertelange Unterdrückung der australischen Ureinwohner durch die europäischen Einwanderer. Nun ist es seine Kultur, die von der Auslöschung bedroht wird, während die Aborigenes die Hoffnung auf einen möglichen Neuanfang verkörpern.
Wie in so vielen Horror- und speziell auch in Zombiefilmen werden auch hier über die konkrete Gefahrensituation hinaus übergreifende und ganz grundsätzliche Themen verhandelt. Wenn sich der weiße Ausbeuter frei von moralischen Bedenken gegen die Aborigines wendet und seiner Raffgier frönt (er setzt etwa Thoomi als menschlichen Köder in einen Käfig, um die angelockten Zombies zu erschießen und ihnen dann goldene Uhren und ähnliches abzunehmen), dann liegt der Verweis auf die koloniale Geschichte und die Wunden der Vergangenheit des Kontinents auf der Hand. „Die Welt ist eine Mine, aus der man sich bedienen kann“, erklärt er einmal. Die Aborigines erscheinen dagegen als wahre Gemeinschaft unter Menschen, denen Andy als liberaler und empathischer Weißer mit Sympathie begegnet.
Dass die Hauptfigur hier trotzdem ein weißer Durchschnittstyp ist, steht dem aufklärerischen Anliegen ein bisschen im Wege, denn es wirkt so, als glaubten die Macher, dass das weiße Publikum eine Identifikationsfigur aus der eigenen Kultur braucht. Aber immerhin sorgt Martin Freeman als Andy für das schauspielerische Highlight von „Cargo“. Mit seiner ausdrucksstarken Darstellung bringt der erfahrene Star eine tiefe Emotionalität in die Geschichte. Es ist berührend zu sehen, wie der Todgeweihte mit letzter Kraft darum kämpft, seiner Tochter Rosie und auch Thoomi das Weiterleben zu sichern.
Nur knapp angerissen, bisweilen nur angedeutet, werden in „Cargo“ Action- und Kampfszenen mit Untoten oder auch gegen den bösen Vic. Bisweilen, wie bei der Infektion von Andys Frau Kay auf einem Segelschiff zu Beginn des Films, beißen die Zombies sogar außerhalb des Bildfeldes zu. Oft ist die Gefahr nur undeutlich in der Distanz erkennbar. Echte Schockmomente wie jener, in dem ein verwesendes, gleichsam den Zuschauer anfallendes beißendes Maul die Bildfläche ausfüllt, werden vom Regie-Duo sehr sparsam eingesetzt, das insgesamt eine unauffällig-zurückhaltende Inszenierung bevorzugt. Von Bildern und Szenen der Bedrohung schneiden sie dann auch rasch wieder weg zu ruhigeren, humanen Momenten – und betonen damit ihre positive Botschaft.
Fazit: In ihrem soliden Zombie-Drama kombinieren Yolanda Ramke und Ben Howling zurückhaltend inszenierte Survival-Action mit einem starken Plädoyer für Humanität.