Die Arthouse-Variante von "Avengers: Endgame"
Von Björn BecherDas Endzeit-Drama „Light Of My Life“ beginnt mit einer Fabel, die ein Vater seiner Tochter in einem Zelt erzählt. Laut Regisseur, Autor und Hauptdarsteller Casey Affleck (oscarprämiert für „Manchester By The Sea“) ist die Story über eine alternative Arche Noah eine von vielen Gute-Nacht-Geschichten, die er seiner eigenen Tochter immer wieder vortrug und aus der er ursprünglich eigentlich einen Animationsfilm machen wollte. Aber die Pläne haben sich dann zerschlagen, weshalb er zumindest die Geschichte selbst nun als Einstieg für sein Spielfilmdebüt nutzt, bei dem man von Beginn an zwar eine gewisse Bedrohung verspürt, aber sich noch nicht sicher sein kann, woran das eigentlich liegt. Denn dass wir es hier nicht Vater und Tochter beim gemeinsamen Camping-Wochenende zu tun haben, wird erst nach einigen weiteren Minuten klar, wenn wir auf einmal feststellen: Diese Welt hat die Katastrophe bereits hinter sich! Im Vordergrund steht bei Afflecks zweiter Regiearbeit nach der Mockumentary „I'm Still Here“ aber nicht die (Post-)Apokalypse, sondern eine berührende, wenn auch nicht unproblematische Vater-Tochter-Geschichte...
Ein Mann (Casey Affleck) zieht mit seiner etwa zehn Jahre alten, von ihm einfach nur Rag genannten Tochter (Anna Pniowsky) durch die unwirtliche Landschaft. Die Welt ist fast ausgestorben. Wie man bald erfährt, raffte vor vielen Jahren eine mysteriöse Krankheit fast alle Frauen dahin. Das ist auch der Grund, warum der Vater seine Tochter bei Begegnungen mit anderen Menschen versteckt oder als Jungen ausgibt. Zunächst wird im Wald gecampt, aber als sie ein leerstehendes Haus in der Einöde entdecken, überredet sie ihn, etwas länger dort zu bleiben. Doch auch dieser Ort bietet nur für kurze Zeit Sicherheit und so geht es weiter in der eisigen Kälte des aufziehenden Winters...
Ganz beiläufig etabliert Casey Affleck sein post-pandemisches Szenario, das sich von post-apokalyptischen Welten wie in der Zombie-Serie „The Walking Dead“ oder der Bestselleradaption „The Road“ in einem zentralen Punkt unterscheidet. Denn das soziale Leben läuft in einem gewissen Umfang weiter. In der Stadt, die Vater und Tochter kurz aufsuchen, gehen Leute noch zur Arbeit, es gibt Geschäfte. Es ist mehr eine Welt, wie wir sie uns aktuell sehr gut für „Avengers: Endgame“ vorstellen können. Nur hat hier ein Fingerschnipser nicht eine zufällig ausgewählt Hälfte der Bevölkerung getötet, sondern nahezu alle Frauen. Der Rest muss irgendwie weiterleben – auch wenn die Zukunftsaussichten noch trister sind als nach dem „Infinity War“: Quasi keine Frauen bedeutet schließlich auch kaum Nachwuchs.
Das Setting nutzt Affleck, um eine gewisse Grundspannung zu etablieren. Jede Begegnung mit einer anderen Person ist gefährlich, jederzeit hat der Vater Angst, dass ihm jemand seine Tochter entreißen könnte. Aber solche Konflikte stehen nicht im Vordergrund – was Affleck schon dadurch unterstreicht, dass die von ihm selbst verkörperte Vaterfigur scheinbar keinerlei Waffen trägt und jeder Konfrontation direkt aus dem Weg geht. Ihn interessiert stattdessen vor allem die Beziehung von Vater und Tochter - und hier hat „Light Of My Life“ auch seine stärksten Momente.
Da stöbern Vater und Tochter durch eine verlassene Bibliothek, wo er lauter Erziehungsratgeber überfliegt. Anschließend versucht er ihr mehr als unbeholfen am Küchentisch des Kurzzeit-Heims zu erklären, woher Babys kommen und was die Pubertät ist und welche Veränderungen ihres Körpers auf sie zukommen. Das ist ein ebenso lustiger wie berührender Moment, der eigentlich nur von der starken Szene übertroffen wird, in der er ihr die Geschichte von jenem Tag erzählt, als er ihr Ultraschallbild das erste Mal sah und ihr Geschlecht erfuhr. Aber statt solche Szenen auszuwringen, versteckt Affleck die wahren Abgründe der Situation oft in vermeintlich beiläufigen Bemerkungen. Was antwortet man der Tochter zum Beispiel, wenn sie ganz ernsthaft fragt, warum die tote Mutter (in kurzen Erinnerungsfetzen gespielt von Elisabeth Moss) die „beste Mama aller Zeiten“ war?
Viele dieser Szenen leben auch vom sensationellen Spiel der beiden Hauptdarsteller, wobei Neuentdeckung Anna Pniowsky dem Oscarpreisträger in nichts nachsteht. Sie verkörpert das auch mal rebellische Mädchen, das nicht immer nur ihrem Vater folgen will und dem es auch schwerfällt, zu verstehen, warum sie als Frau in dieser Welt einer besonderen Gefahr ausgesetzt ist, mit einer erfrischenden Natürlichkeit. Aber gerade das Thema rund um die Gefahr für Rag und alle Frauen in einer Welt, in der nur noch Männer leben, hat angesichts der Historie des Filmemachers auch ein gewisses Geschmäckle.
Affleck drehte „Light Of My Life“ während der Kampagne für die Oscarverleihung 2017, in deren Vorfeld auch alte Vorwürfe gegen den Schauspieler wegen ungebührlichem Verhalten gegen Frauen wieder hochkamen. Wenn Autor Affleck sich dann selbst einen längeren Monolog darüber in den Mund legt, dass die Welt erst wieder besser werden kann, wenn es eine „Balance“ zwischen Frauen und Männer gibt, wären solche Aussagen schon in jedem anderen Film und von jedem anderen Schauspieler unglaublich platt. Dass aber ausgerechnet Affleck mit seinem persönlichen Hintergrund erklärt, wie die Männer ohne die Frauen zu Bestien wurden und später auch noch sehr stark angedeutet wird, dass noch lebende Frauen quasi als Gebärsklaven gehalten werden, wirkt wie eine einzige große Verteidigungsrede. Es ist quasi ein ganz langes: „Die meisten Männer sind schon so, aber ich bin nicht so einer!“
Dieser Bezug ist – völlig unabhängig davon, was man von den Vorwürfen gegen den Schauspieler hält und wie man sie einordnet – komplett unnötig, braucht es doch diese ganze Erklärung in einem Film, der sonst so schön beiläufig bleibt, auch gar nicht. Denn gerade die Momente, wenn Vater und Tochter im Bett liegen, er mal nicht besorgt und angespannt ist, sie nicht nach etwas mehr Freiheit drängt, haben eine ganz eigene Schönheit. Das liegt auch an den Bildern von Kameramann Adam Arkapaw (erste Staffel „True Detective“), der uns an den Gefühlen der Figuren teilhaben lässt. Seine Außenaufnahmen dieser nur halb-verlassenen Welt tragen zudem über die ein oder andere Länge hinweg, die es durchaus gibt. Denn weil der Vater jederzeit fluchtbereit ist und bei jeder Gefahr sofort weitergezogen wird, bleiben die wirklich spannenden Konfrontationen nämlich lange Zeit aus.
Fazit: Casey Afflecks „Light Of My Life“ ist ein berührendes, über weite Strecken schon arg ruhiges, aber insgesamt dann trotzdem spannendes Zukunfts-Drama über einen Vater, der für seine Tochter wirklich alles tun würde.
Wir haben „Light Of My Life“ im Rahmen der Berlinale 2019 gesehen, wo er in der Sektion Panorama gezeigt wurde.