Mein Konto
    Unicorn Store
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Unicorn Store

    Ein Film wie ein explodierter Regenbogen

    Von Antje Wessels

    Für ihre fesselnde Performance in „Raum“ gewann Brie Larson 2016 den Oscar als Beste Hauptdarstellerin. Seit Beginn der Promo-Phase zum Superhelden-Blockbuster „Captain Marvel“ ist die gebürtig aus Sacramento stammende Schauspielerin aber auch außerhalb des Programmkino-Dunstkreises in aller Munde – und zwar nicht bloß positiv. Während ihre Darstellung der unbesiegbaren Heroine bei Kritikern und Marvel-Fans überwiegend auf wohlwollendes Feedback stieß, fühlten sich die Trolle von Larsons – provokant formuliertem - Wunsch nach mehr Diversität im Filmjournalismus angegriffen und voteten „Captain Marvel“ auf einschlägigen Online-Filmbewertungsportalen schon lange vor dem eigentlichen Kinostart in Grund und Boden. Rotten Tomatoes hat daraufhin die Möglichkeit, Filme schon vor dem Release zu bewerten, abgeschafft – und dem Box Office hat die Aktion offensichtlich auch nicht geschadet, schließlich hat der Film bereits die magische Eine-Milliarde-Dollar-Marke durchbrochen.

    Trotzdem werden die Internettrolle nicht müde, ihren Unmut über Larsons Äußerungen ins Internet zu tragen. Das sieht man aktuell auch an der IMDb-Wertung ihres Regiedebüts „Unicorn Store“. Schon vor dem länderübergreifenden Netflix-Release am 5. April 2019 stand der Film bei einer miserablen Durchschnittswertung von 3,5 Sternen. Wirft man einen Blick auf die User-Kritiken, die alle dasselbe Vokabular und dieselben Argumente verwenden, ist der Grund dafür aber offenbar nicht der Film, sondern allein Brie Larson. Die spielt ihre Rolle in dieser außergewöhnlichen, angenehm verspielten Coming-of-Age-Geschichte gewohnt souverän, überzeugt aber fast noch mehr mit einer für eine Debütantin unerwartet selbstsicheren Inszenierung.

    Kit (Brie Larson) träumt von einem eigenen Einhorn...

    Kit (Brie Larson) scheint wie vom Pech verfolgt. Nachdem man sie an der Kunsthochschule nicht haben will, flüchtet sie sich zu ihren Eltern (Joan Cusack, Bradley Whitford) in den Keller und verbringt dort den lieben langen Tag mit Fernsehen. Eines Tages wird sie auf die Werbung einer Zeitarbeitsfirma aufmerksam und landet bei einer PR-Agentur, für die sie Staubsauger-Entwürfe zeichnet. Hier muss sie sich gegen die unheimlichen Avancen ihres Chefs Gary (Hamish Linklater) zur Wehr setzen und auch sonst hat sie wenig Spaß. Umso empfänglicher ist sie für die Einladung von „The Store“ – einem Laden, der jedem Kunden das verkauft, wonach er sich am meisten sehnt. Dort trifft sie auf einen gut gelaunten Verkäufer (Samuel L. Jackson), der ihr ein Einhorn verspricht, wenn sie nur einige Voraussetzungen dafür erfüllt. Also macht sich Kit auf, einen Stall zu bauen, Heu zu kaufen und die Harmonie in ihrer Familie wiederherzustellen. Doch wartet am Ende dieses steinigen Weges tatsächlich ein Einhorn auf sie?

    Natürlich steht über allem immer die Frage, ob am Ende von „Unicorn Store“ tatsächlich ein leibhaftiges Fabelwesen auf die Protagonistin wartet. Wir wollen das an dieser Stelle natürlich nicht verraten, denn gerade in den letzten zehn Minuten entwickelt sich aus diesem Mysterium eine große Spannung. Brie Larsons kindliche Begeisterung ob des bevorstehenden Einhorn-Einzugs in ihr zum Einhorn-Stall umgebautes, pinkfarbenes Spielhäuschen ist nämlich äußerst ansteckend. Trotz dieses fantasievollen Überbaus bleibt „Unicorn Store“ aber in erster Linie eine Coming-Of-Age-Story über eine junge Frau, die vom Erwachsenwerden so gar nichts wissen will.

    Kind bleiben, koste es was es wolle

    Das bringt nicht bloß die Schauspielerin Larson mit ihrer mal kindlichen (= hoffnungsvoll naiven), mal kindischen (= vollkommen beratungsresistenten) Attitüde zum Ausdruck, sondern auch die Regisseurin Larson, die vor allem die Kleidung und das Setting für sich sprechen lässt. Kit trägt in ihrer Freizeit vorwiegend knallbunte, offensiv-glitzernde und nur selten zusammenpassende Kleidung und wirkt im grauen Anzug während ihrer Büroarbeit regelrecht verloren. Ihr Zimmer ist bis obenhin vollgestopft mit Kitsch und Krams, Kuscheltieren und Kunstentwürfen. Man weiß einfach, in welcher Welt die junge Frau lebt...

    ... oder besser: Gern leben würde. Denn in „Unicorn Store“ kollidiert Kits Wunsch nach ewiger Kindheit mit den Erwartungen, die nicht nur ihr Umfeld an sie stellen, sondern mit der Zeit auch sie selbst. Das ist der zentrale Konflikt, an dem Drehbuchautorin Samantha McIntyre („Married“) in ihrem Skript gelegen ist. Wie sich Kit mit Händen und Füßen gegen die Vorstellung wehrt, endlich erwachsen sein und Verantwortung übernehmen zu müssen, führt dabei zu gleichermaßen urkomischen wie ziemlich traurigen Momenten. Vor allem im Zusammenspiel mit den karikaturesk und dadurch bisweilen etwas klischeehaft angelegten Nebenfiguren (der creepy flirtende Boss, die oberflächlichen Büro-Kolleginnen, die überfürsorglichen Eltern...) entstehen so herrlich lustige Dialoge. Dasselbe gilt für die Momente, in denen Kits entschlossener Glaube an Einhörner und Magie mit der (aus Kits Sicht) verkrampften Rationalität ihres Umfeldes kollidiert.

    ... und hofft darauf, dass ihr der namenlose Verkäufer (Samuel L. Jackson) eins besorgen kann.

    Dabei liegt Affektion und Kritik in Bezug auf die Hauptfigur oft ganz dicht beieinander. Etwa wenn Kit mit Virgil (Mamoudou Athie) zum ersten Mal jemanden findet, der ihre Bedürfnisse zu verstehen scheint, dieser zugleich Kits Einhorn-Begeisterung aber durchaus auch ein Stück weit verstörend findet. McIntyre und Larson machen nie einen Hehl daraus, dass es mit einem einfachen Appell der Marke „Bewahre dir dein inneres Kind!“ nicht getan ist. Stattdessen zeigt „Unicorn Store“ auf, dass Kit Verantwortung für ihr Leben übernehmen muss, um sich nicht in ihrem Wunsch nach dem ewigen Kindsein zu verlieren. Das ist im Segment der Coming-of-Age-Filme nichts bahnbrechend Neues. Aber Larson gelingt es trotz des leicht zuckrigen Skripts, aufrichtig deutlich zu machen, woher die Angst vor dem Erwachsenwerden kommen kann.

    Das Einhorn selbst, über dessen Verbleib der exzentrische Verkäufer seine Interessentin regelmäßig telefonisch informiert, ist letztlich nur eine Antriebsfeder für Kit, ihr Leben endlich auf die Reihe zu bekommen (ein vierbeiniger McGuffin sozusagen). Egal ob Job, erster Freund oder das Verhältnis zu ihren sie ständig bevormundenden Eltern: Es sind vor allem diese völlig normalen Alltagsprobleme, mit denen sich Kit herumschlagen muss. Aber durch den Fantasieüberbau eines vielleicht realen, vielleicht bloß geträumten Einhorn-Ladens gewinnt diese altbekannte Prämisse aber etwas regelrecht Magisches. Und genau an diesem Punkt trifft „Unicorn Store“ den Gemütszustand seiner Protagonistin perfekt: Kit selbst würde den Film ganz bestimmt lieben!

    Fazit: Eine schrullig-berührende Indie-Coming-of-Age-Comedy in der guten alten Sundance-Tradition von „Little Miss Sunshine“ bis „Garden State“, in der Debütregisseurin Brie Larson zwar nichts großartig Neues, aber das zumindest mit ebenso viel Aufrichtigkeit wie Glitter erzählt.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top