Ulrich Seidl („Paradies“-Trilogie, „Import Export“) geht dahin, wo es weh tut: Im Lauf seiner Karriere hat sich der österreichische Regisseur in seinen Spiel- und Dokumentarfilmen schon mit Kindesmissbrauch, Sextourismus, Pädophilie, Faschismus, Sadomasochismus, allzu intensiver Tierliebe und manch anderem beschäftigt. Das verbindende Element aller dieser Werke, insbesondere der Dokumentation ist Seidls nüchterner Blick selbst auf die scheinbar abwegigsten Verhaltensweisen: In starren Einstellungen filmt er seine Protagonisten, lässt sie reden, hört ihnen zu, unterbricht sie vor allem auch dann nicht, wenn sie sich selbst entlarven. Nun widmet der Filmemacher sich in „Safari“ dem Thema Jagd und wirft auf seine ganz eigene Art auch in dieser Dokumentation einige überraschende und ungewöhnliche Fragen auf.
Die erste und letzte Einstellung von „Safari“ bilden eine Klammer: Zu sehen ist jeweils ein . , Wald in Mitteleuropa, vermutlich in Österreich. Mit altertümlichen Hörnern wird zur Jagd geblasen, die dann aber nicht im Herzen Europas stattfindet, sondern in Namibia, im südlichen Afrika. In einer Safari-Lodge, die zwar nicht allzu weit von der Hauptstadt Windhoek entfernt liegt, aber dennoch ziemlich genau dem üblichen Bild von Wildnis entspricht, finden sich diverse Touristen aus Österreich ein, die ihrem Hobby frönen: der Jagd
In Begleitung eines einheimischen Guides pirschen sich die Jagdgruppen an das Wild heran, legen an, versuchen den Atem zu beruhigen und schießen. Drei Jagden zeigt uns Seidl, die er mit mobiler Handkamera einfängt – ein für den Regisseur ungewöhnliches Stilmittel: Zunächst wird ein Gnu erlegt, ein eher rustikales, wenig bemerkenswertes Tier, dann ein schon eleganterer Impala und zur Krönung zwar kein Elefant oder Löwe, aber immerhin eine Giraffe. Und so schrecklich es einerseits auch ist, den langen Todeskampf dieses mächtigen Tiers mit seinem meterlangen Hals zu beobachten, dieses Röcheln und Zappeln, bevor der letzte Atemzug getätigt ist: Von dem fraglos archaischen Ritual, wie es die hier gezeigten Jäger praktizieren, geht eine erhebliche Faszination aus.
Die Jäger zeigen auf ihre Art großen Respekt für den tierischen Gegner - die „One Shot“-Ethik aus „Die durch die Hölle gehen“, wo sich die von Robert de Niro gespielte Figur nur einen Versuch gibt, ein Tier zu töten, kommt einem in den Sinn -, aber letztlich wirken alle verbalen Überhöhungen und Rechtfertigungen absurd. So sagt ein noch sehr junger Jäger in einem dieser typischen in langen starren Einstellungen gefilmten Seidl-Tableaus: „Wir erlösen die Tiere doch“. Zu so etwas lassen sich seine erfahrenen Kollegen nicht mehr hinreißen – sie haben jeden Versuch, ihr Tun zu rechtfertigen längst als Zeitverschwendung aufgegeben.
Ulrich Seidl offenbart uns das Reizvolle der jahrtausendealten Kulturtechnik genauso wie das Fragwürdige des modernen Großwildjagdtourismus. Allein die Aufnahmen der Jagd selbst würden „Safari“ dabei schon sehenswert machen, doch der Regisseur geht noch weiter: Er zeigt das Drumherum vor Ort und das Leben der meist schwarzen Arbeiter auf der Ranch, die etwas demonstrativ in ihren meist kargen Hütten gefilmt werden. Vor allem aber zeigt er in einer unfassbaren, spektakulären Sequenz, wie eine Giraffe zerlegt wird. Wenn da das Messer durch das gut vier Zentimeter dicke Fleisch schneidet und der Metzger fast komplett im Rumpf des Tieres verschwindet, um Magen und Gedärme zu entfernen, könnte auch der pragmatischste Fleischfresser zum Vegetarier werden. Doch auch dieser Szene, so grausam und blutig sie ist, haftet eine seltsame archaische Qualität an, die sie in eine Reihe mit ähnlichen Sequenzen in Georges Franjus Kurzfilm „Blood Of The Beasts“, in Frederick Wisemans „Meat“ oder in Michael Glawoggers „Workingman’s Death“ stellt. Sie lenkt den Blick auf eine Wahrheit unseres Lebens, die wir sonst gern hinter den hohen Mauern eines Schlachthofs verstecken.
Fazit: In „Safari“ geht Ulrich Seidl einmal mehr dahin, wo es weh tut und kommt mit spektakulären, manchmal abstoßenden aber stets faszinierenden Bildern von der Jagd in Afrika zurück.