Mit bürgerlichem Namen hieß er Raman Raghav, aber sein Spitzname sagt alles: Psycho Raman. Er war der berüchtigste Serienkiller in der Geschichte Indiens und hat in den 1960er Jahren mindestens zwei Dutzend Menschen ermordet, vermutlich noch viel mehr. „Psycho Raman“ (im Original „Raman Raghav 2.0“) heißt nun auch der neue Film des indischen Regisseurs Anurag Kashyap, der schon mit seinem Action-Epos „Gangs Of Wasseypur“ für viel Aufsehen sorgte. Der ähnlich exaltiert und visuell überbordend inszenierte „Psycho Raman“ hat mit dem früheren Erfolg auch gemein, dass die Handlung sich immer wieder an der Grenze zum Absurden bewegt. In „Raman Raghav 2.0“ geht es dann auch nicht um den historisch verbürgten Verbrecher (die Filmemacher machen sofort klar, dass dies kein Biopic ist), sondern um einen fiktiven von Raman inspirierten Täter in der Gegenwart. Zu diesem gesellt sich ein zweiter Killer, der gleichzeitig sein Unheil anrichtet, aber auf der anderen Seite des Gesetzes steht – eine Dualität, die schon mit der 2.0 des Originaltitels angedeutet wird. Dramaturgisch bewegt sich Kashyap mit seinem intensiven Thriller-Drama in vertrauten Genrebahnen, doch visuell sprengt er alle Fesseln und zeichnet ein wuchtiges Porträt der Abgründe der indischen Gesellschaft.
Seinen ersten Mord könnte man noch als Notwehr bezeichnen, doch inzwischen hat Ramanna (Vicky Kaushal) geradezu Spaß an seinem tödlichen Treiben gefunden. Auch wenn der narbengesichtige Mann keine Anstalten macht, sein Tun zu verheimlichen, hat die Polizei Schwierigkeiten, ihn im Gewusel der Metropole Mumbai zu fassen. Was auch daran liegen mag, dass der ermittelnde Kommissar Raghavan (Nawazuddin Siddiqui) ein kokain- und sexsüchtiges Ekel ist, dessen Mordlust der von Ramanna kaum nachsteht. Ein blutiges Katz- und Mausspiel entwickelt sich, an dessen Ende es keinen Sieger, sondern nur Opfer gibt.
So verführerisch die flirrenden, farbgesättigten Bilder samt ihrer Popsong-Untermalung oft auch sind - die Welt, die in „Psycho Raman“ gezeigt wird, ist durch und durch verroht. Das gilt für die Sphäre der Reichen und Schönen mit den schicken Clubs, in denen der stets edel gestylte, attraktive Raghavan verkehrt, wo er Drogen nimmt, Frauen benutzt und nebenbei ein bisschen Polizist ist. Und das gilt genauso für die Slums Mumbais, für den Dreck und das Elend, in dem Raghavan lebt. Die beiden Protagonisten werden von Kashyap ganz deutlich als Gegenstücke, Doppelgänger, zwei Seiten derselben Medaille inszeniert, ohne dass er dabei die Komplexität etwa von Michael Manns Cop-und-Gangster-Studie „Heat“ erreichen würde. Aber den Stilwillen hat er durchaus mit dem großen Vorbild gemeinsam und zudem kann auch er auf hervorragende Darsteller zählen: Während Nawazuddin Siddiqui („The Lunchbox“) als Polizistenscheusal mit Inbrunst sein Image des charmanten Schwerenöters unterläuft, gelingt es Vicky Kaushal in seinem erst fünften Film, den psychopathischen Killer Ramanna in einer vollkommen aus den Fugen geratenen Welt als sympathischste Figur von allen erscheinen zu lassen – einer der vielen bemerkenswerten Aspekte eines eindrucksvollen Films.
Fazit: „Pschyo Raman“ ist ein grelles, verschwitztes und sehr blutiges Thriller-Delirium - ein exzellentes Centerpiece für das Fantasy Filmfest 2016.