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    24 Wochen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    24 Wochen
    Von Christoph Petersen

    Dauert eine Schwangerschaft schon länger als 24 Wochen, dann reicht es nicht mehr, nur eine Frühgeburt einzuleiten. Weil der Fötus prinzipiell lebensfähig ist, muss er zuvor noch mit einer Kaliumchlorid-Spritze ins Herz getötet werden. In ihrem zweiten Spielfilm, dem Drama „24 Wochen“, erzählt Regisseurin Anne Zohra Berrached von der Kabarettistin Astrid (preisverdächtig: Julia Jentsch) und ihrem Manager-Freund Markus („Stromberg“-Opfer Bjarne Mädel mal ganz anders und trotzdem verdammt gut), die erfahren, dass ihr zweites Kind mit Down-Syndrom zur Welt kommen wird, wenn sie sich nicht für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden. Nun ist es kein Zufall, dass viele Abtreibung-Ja-oder-Nein-Filme ein offenes Ende haben – es heißt ja schließlich, die Entscheidung könne der Mutter niemand abnehmen, also auch kein Skriptschreiber. Aber Berrached und ihr Co-Autor Carl Gerber treffen diese Entscheidung, weshalb ihr Berlinale-Wettbewerbsbeitrag (der einzige deutsche 2016) sicher einige der heftigsten Debatten des Festivals auslösen wird.

    Nun sind Astrid, Markus und auch Astrids Mutter Beate (Johanna Gastdorf) zunächst einmal echt sympathische Personen, denen man gerne beim Debattieren und Streiten zusieht, selbst wenn es um ein so schweres Thema wie Abtreibung geht – sie sind klug, humorvoll, liebevoll und emotional. Die Szenen mit den dreien wirken unheimlich ehrlich, was sicher auch mit dem Dogma-95-ähnlichen Inszenierungsstil zu tun hat: leicht wackelige Handkamera, immer ganz nah dran an den Figuren und ihren Gesichtern. Gerade deshalb ist es aber auch so schade, dass Berrached nicht einfach ihren starken, einnehmenden Protagonisten vertraut – sondern die Handlung immer wieder von außen forciert, mit Gastfiguren, die ihre dramaturgische Funktion allzu offensichtlich vor sich hertragen.

    Das geht los mit der Ärztin, die erst einmal vor ihren Patienten mit ihrer Assistentin über Pfannkuchen-Geheimtipps quatscht, bevor sie ihre Mitleidsmine aufsetzt und die Down-Diagnose verkündet, und endet mit dem schamlosen Fan in der Schwimmbaddusche, der Astrid nicht nur geradeheraus auf die Probleme mit dem Baby anspricht, sondern sich dann auch noch ihr Duschgel ausleiht. Dazu kommen wenig subtile Einstellungen wie jene von Markus, der im Vordergrund heult, während sich im unscharfen Hintergrund eine andere Familie über ein gesundgeborenes Baby freut. Solche überdeutlich-kalkulierten Szenen verstärken den Eindruck, dass Berrached ihr Publikum unterschätzt, dabei hat sie doch in ihrem ersten Spielfilm „Zwei Mütter“ (4 Sterne von FILMSTARTS) schon gezeigt, was sie wirklich kann – und auch in der letzten halben Stunde von „24 Stunden“ zeigt sie es wieder verstärkt.

    Achtung: Spoiler!

    Nach einem Besuch der Intensivstation inklusive Frühchen-Fingerhalten ist für Astrid nämlich nicht auf einmal alles gut, stattdessen gesteht sie sich endgültig, nicht stark genug zu sein. Die anschließenden Gespräche mit Ärzten und einer Hebamme wirken so authentisch, dass „24 Wochen“ fast schon dokumentarische Qualitäten erlangt. Das gilt auch für die Abtreibung selbst, bei der Berrached ihrer ungefilterten Herangehensweise mit der Ganz-nah-dran-Kamera treubleibt. Auch wegen dieser Szene wird der Film zu Diskussionen führen – da ist es gut, dass „24 Wochen“ eben kein einseitiges Kinoplädoyer ist, sondern in erster Linie eine Erzählung über Unsicherheiten. So stimmt es, was Astrid am Schluss in einer Radioshow sagt - auch wenn die Filmemacher uns damit in gewisser Weise noch einmal die eigenen Schlüsse vorwegnehmen: „Ich weiß auch nicht, ob es richtig oder falsch war, vermutlich beides ein bisschen.“

    Fazit: Anne Zohra Berrached greift in „24 Wochen“ immer wieder auf ebenso unnötige wie überdeutliche dramaturgische Kniffe zurück – und setzt so die Wahrhaftigkeit ihres ansonsten mutig und konsequent erzählten Abtreibungsdramas aufs Spiel.

    Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2016. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 66. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.

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