Der „Tatort“ vom Bodensee befindet sich auf Abschiedstournee: Ed Herzogs „Tatort: Côte d'Azur“ ist bereits der drittletzte Fall für Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel), die 2016 noch zweimal für den SWR auf Täterfang gehen sollen. Von einer Trendwende zum Abschluss ist aber (noch) nichts zu spüren: Der vorige Konstanzer „Tatort: Chateau Mort“, in dem die Filmemacher den Bogen ins 19. Jahrhundert schlugen, reihte sich trotz einiger guter Ansätze nahtlos in die Reihe der meist ziemlich zähen Krimis aus der südlichsten deutschen „Tatort“-Stadt ein. Ab sofort verzichten müssen Blum und Perlmann außerdem auf ihren Schweizer Kollegen Matteo Lüthi (Roland Koch), der ihnen zuletzt zur Seite gestellt wurde: Schauspieler Koch machte seinem Unmut über die Absetzung des Krimis aus Konstanz öffentlich Luft – und vielleicht kommt es nicht von ungefähr, dass er im „Tatort: Côte d'Azur“ und im bereits abgedrehten „Tatort: Rebecca“ nicht mehr an Bord ist. Ob der 25. Einsatz der Bodensee-Ermittler mit Kochs Unterstützung besser ausgefallen wäre, darf ohnehin bezweifelt werden: Es ist der bisher schwächste „Tatort“ der zweiten Jahreshälfte 2015, was aber weniger an der Besetzung, als vielmehr am schwachen Drehbuch liegt.
Auf dem Polizeipräsidium in Konstanz geht eine Sprachnachricht ein: „Ich bin tot. Schilf am Ende vom Winterer Steig. Kümmern Sie sich um mein Baby. Bitte schnell!“ Wenig später finden die Hauptkommissare Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) die Leiche von Vanessa Koch (Mandy Rudski), von deren Handy aus die Nachricht verschickt wurde. Aber wo ist ihr Baby (Nele Gorbauch)? Perlmann vermutet es in der Wohnung der Toten – und zieht sich damit Blums Unmut zu, die auf das nahegelegene Schilf am Rheinufer tippt. Sie behält Recht: Der Säugling wird mit lebensgefährlichen Unterkühlungen ins Krankenhaus eingeliefert. Aber wer hat Hartz-IV-Empfängerin Koch, die sich trotz ihres fehlenden Einkommens teure Designerkleidung leisten konnte, getötet und ihr Kind in der Kälte zurückgelassen? Die Ermittlungen führen in eine Baracke mit dem ironischen Namen „Côte d'Azur“: Dort trank Koch regelmäßig Alkohol mit den Obdachlosen Hagen (Andreas Lust), Franziska (Friederike Linke), Urs (Peter Schneider), Lucky (Kai Malina) und Bill (Frank Fink). Hat einer von ihnen Vanessa getötet? Und wer ist der Vater des Kindes? Auch Musikproduzent Jürgen Evers (Markus Hering) gerät ins Visier der Kommissare.
„Erst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu“, sinnierte Fußballprofi Jürgen Wegmann einst – und auch für den „Tatort“ aus Konstanz ist diese vielzitierte Weisheit durchaus zutreffend. Mit guten Drehbüchern war der Bodensee-Krimi in den vergangenen Jahren nämlich selten gesegnet – und als wäre das nicht schon Unglück genug, entschloss sich die ARD auch noch dazu, die Ausstrahlung des sechsten gemeinsamen Films von Drehbuchautor Wolfgang Stauch („Anderst schön“) und Regisseur Ed Herzog („Dampfnudelblues“) um sechs Wochen vorzuziehen. Eigentlich sollte der weihnachtlich angehauchte Sozialkrimi Mitte Dezember laufen – doch der Termin wurde kurzfristig mit dem für November geplanten Kölner „Tatort: Benutzt“ getauscht. Ein alles andere als glückliches Manöver: Im bunt geschmückten Präsidium kann noch so munter der Adventskranz angezündet und „O du fröhliche“ gesungen werden – mitten im Herbst dürfte bei den wenigsten Zuschauern Weihnachtsstimmung aufkommen. Anders als im Saarbrücker „Tatort: Weihnachtsgeld“, der 2014 ganz im Zeichen des Sendetermins am 2. Weihnachtstag stand, wirken Geschenke-Orgien und Weihnachtsmänner an einem milden November-Abend eher fehl am Platz.
Passend zu den frostigen Temperaturen ist auch die Stimmung zwischen den beiden Kommissaren, die seit 2004 gemeinsam für die öffentlich-rechtliche Krimireihe im Einsatz sind, so unterkühlt wie nie: Blum kann Perlmann seine Fehleinschätzung, die fast zum Tod des Säuglings führt, ebenso wenig verzeihen wie er sich selbst. So sehr man Blums Ärger verstehen kann, so aufgesetzt wirkt die auffallend nachtragende Art der sonst so besonnenen Kommissarin, so konstruiert der ganze Konflikt. Und als sich schließlich der nervtötende Kinderarzt Dr. Schwenkner (Barnaby Metschurat, „Familienfest“) mit seinen geschmacklosen Bemerkungen zum gemeinsamen Feindbild der Ermittler mausert, stellt sich ohnehin wieder die gewohnte Harmonie ein. Bis dahin fliegen die Giftpfeile allerdings nur so durchs Büro – zum Leidwesen der fleißigen Assistentin Annika „Beckchen“ Beck (Justine Hauer), die auch in diesem „Tatort“ nicht über die Rolle der austauschbaren Aktenheldin mit bemühtem süddeutschen Zungenschlag hinauskommt.
Wirklich spannend ist der 960. „Tatort“ allenfalls in der mit Slasher-Motiven angereicherten Auftaktsequenz, doch dafür zählt die Auflösung der Whodunit-Konstruktion nach bewährtem Muster zu denen der kniffligeren Sorte: Alle Obdachlosen, die in der Baracke Unterschlupf gefunden haben, bekommen eine kurze Vorgeschichte, jeder von ihnen hat Motiv und Gelegenheit für den Mord. Über das Schicksal des geistig angeschlagenen Ex-Zirkus-Cowboys Bill (Frank Fink) hätte man allerdings gern mehr erfahren, denn er ist die interessanteste Figur des Krimis. Stattdessen eröffnen die Filmemacher einen anstrengende Nebenhandlung um den kalten Entzug der drogensüchtigen Franzi (Friederike Linke), die in einer Zelle Höllenqualen durchleben muss und sich dennoch zur plauderfreudigen Informationsquelle wandelt. Dieser wenig glaubwürdige Auftritt trieft aber zumindest nicht so vor Klischees wie der des überzeichneten Dieter-Bohlen-Verschnitts Jürgen Evers („Den Ausgang triffst du eher als deine Töne!“) oder die Eskapaden von Bilderbuch-Punk Lucky (Kai Malina), der Badreiniger mit Apfelgeruch schonmal als Deo zweckentfremdet.
Fazit: Ed Herzogs „Tatort: Côte d'Azur“ ist ein weiterer wenig aufregender Bodensee-„Tatort“ in nicht zum Erstausstrahlungstermin passender weihnachtlicher Kulisse.