Mein Konto
    Tatort: Ihr werdet gerichtet
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Ihr werdet gerichtet
    Von Lars-Christian Daniels

    Man könnte fast meinen, die ARD würde die am wenigsten beliebten „Tatort“-Ermittler absichtlich an einem eher unattraktiven Sendetermin auf Täterfang schicken: In den Jahren 2011 bis 2014 kam der erste „Tatort“ nach der Sommerpause jedes Mal aus der Schweiz, deren Krimis das Quoten-Schlusslicht der Reihe bilden. Die Hauptkommissare Reto Flückiger und Liz Ritschard haben beim deutschen Publikum einen schweren Stand – da liegt es für die Programm-Koordinatoren durchaus auf der Hand, die hierzulande synchronisierten Folgen zu einem Zeitpunkt auszustrahlen, an dem viele Zuschauer lieber auf der Terrasse oder im Biergarten als im Fernsehsessel sitzen. Während der einmal mehr durchwachsene Luzerner „Tatort: Schutzlos“ im Juni 2015 die erste Jahreshälfte der Krimireihe mit einer für „Tatort“-Verhältnisse miserablen Einschaltquote von nur sechs Millionen Zuschauern abschloss, läutet der „Tatort: Ihr werdet gerichtet“ die Rückrunde ein. Doch diesmal lohnt sich das Einschalten: Florian Froschmayers spannender Krimi-Thriller ist der bis dato beste „Tatort“ aus Luzern. Darüber hinaus gibt es ein Wiedersehen mit einem alten „Tatort“-Bekannten, der diesmal als eiskalter Serienkiller zu sehen ist.

    In Luzern geht die Angst um. Erst werden am helllichten Tag zwei Angestellte eines Autohandels auf offener Straße von einem Heckenschützen erschossen, kurz darauf bekommt ein einflussreicher Treuhänder in der Innenstadt eine Kugel in den Kopf. Hinter den Anschlägen steckt Autoelektroniker Simon Amstad (Antoine Monot, Jr.), der zu Hause seine kranke Frau Karin (Sarah Hostettler) pflegt und in seiner Werkstatt nicht nur an Autoradios, sondern auch an einem Scharfschützengewehr schraubt. Amstad hat es sich zur Aufgabe gemacht, Gerechtigkeit walten zu lassen: Alle drei Opfer wurden in seinen Augen von der laschen Justiz nur unzureichend für ihre Vergehen zur Rechenschaft gezogen. Die Luzerner Hauptkommissare Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) versuchen, seinen blutigen Rachefeldzug zu stoppen – aber wo sollen sie anfangen? Amstad verhält sich zu clever und hinterlässt außer speziell angefertigten Kugeln keine brauchbaren Spuren. Dann schickt der Täter eine SMS an eine Zeitung – doch die Handy-Ortung führt die Ermittler zu Handwerker Andy Denzler (Aaron Hitz), der in einer Bäckerei mit Amstad aneinandergeraten war...

    Nach dem Schweizer „Tatort: Schutzlos“, mit dem die Krimireihe ihre schwächste Einschaltquote seit fünf Jahren einfuhr, geriet auch der verantwortliche Sender ins Grübeln: „Solange der Tatort beim Publikum ankommt, fahren wir damit weiter“, ließ das SRF im Sommer verlauten – gestand aber gleichzeitig ein, über personelle Änderungen nachzudenken. Angesichts der drohenden Kündigung kommt der „Tatort: Ihr werdet gerichtet“ einer erneuerten Bewerbung von Flückiger & Co. gleich: So gut wie im 954. „Tatort“ war das Luzerner Team noch nie. Das hat mehrere Gründe: Wie eine überfällige Kurskorrektur wirkt zum Beispiel der Auftritt von Polizeikommandant Eugen Mattmann (Jean-Pierre Cornu), der bei seinen bisherigen Einsätzen nur dadurch in Erscheinung trat, den Kommissaren grundlos Knüppel zwischen die Beine zu werfen und sich selbst ins rechte Licht zu rücken. Hier erscheint Mattmann nun wie verwandelt: Ohne zu zögern, richtet er den Kommissaren eine vielköpfige Task Force ein, und als Flückiger bei einer Zeugenbefragung alle Sicherungen durchbrennen, gibt er seinem Schützling unverhofft Rückendeckung. Das wirkt zwar genauso hölzern wie große Teile der übrigen Ermittlungsarbeit, aber bei weitem nicht so überzeichnet wie seine vorigen Auftritte.

    Was den 954. „Tatort“ so sehenswert macht, ist vor allem das mit Motiven aus „Michael Kohlhaas“ angereicherte Drehbuch: Einmal mehr bewahrheitet sich die von vielen „Tatort“-Experten vertretene These, dass der Fadenkreuzkrimi dann am besten ist, wenn der Täter von Beginn an feststeht. Der aus der Werbung als „Tech-Nick“ bekannte Antoine Monot, Jr. („Absolute Giganten“), der 2013 zweimal als Aushilfskommissar Leo Uljanoff im Bremer „Tatort“ mitermitteln durfte, bekommt von Drehbuchautor Urs Buehler („Verdacht“) viel Kamerapräsenz eingeräumt und nutzt diese, um seine vielschichtige Täterfigur in den bedrückenden Gesprächsversuchen mit seiner Frau oder ihrem Bekannten Branko Simic (Misel Maticevic) charakterlich auszuloten. Monots zurückhaltendes Spiel unterstreicht das vordergründig freundliche und hilfsbereite Naturell des Teilzeit-„Snipers“, der einer Rentnerin in einer Bäckerei beim Abzählen ihrer Münzen hilft, aber schon im nächsten Moment auf den Abzug drückt, ohne mit der Wimper zu zucken. Unheimlich spannend sind dabei die Szenen in Amstads Keller-Werkstatt: Gleich zweimal erhält der Killer dort ungebetenen Besuch – doch beide Szenen entwickeln sich zunächst nicht so, wie man es erwarten würde.

    „Ihr werdet gerichtet“ ist ein trotz kleinerer Logiklöcher unterhaltsamer „Tatort“, der von Adrian Frutigers starkem Soundtrack vorangetrieben wird. Stille herrscht auffallend selten – doch wenn die stimmungsvollen, bei der anfänglichen Ermittlungsarbeit etwas aufgesetzt wirkenden Klänge einmal aussetzen, hat das stets einen triftigen Grund. Als sich Amstad nach einer überstandenen brenzligen Situation in seinen Sessel fallen lässt und tief durchpustet, weiß der Zuschauer sofort: Die kurze Verschnaufpause des Killers ist nur ein gekonnt eingesetztes retardierendes Moment vor dem dramatischen Finale, in dem die Filmemacher keine Kompromisse eingehen. Für zartbesaitete Zuschauer ist der Thriller allerdings nicht zu empfehlen: Die drastischen und ausführlichen Aufnahmen aufgeplatzter Schädel sind für die frühe Sendezeit grenzwertig und in der Krimireihe alles andere als an der Tagesordnung. Die Halluzinationen, die Hauptkommissar Flückiger im Juni-„Tatort“ aus Luzern noch außer Gefecht setzten, spielen hingegen überhaupt keine Rolle mehr: Der Schweizer Hauptkommissar präsentiert sich putzmunter und darf daher auf weitere Einsätze hoffen.

    Fazit: Florian Froschmayers „Tatort: Ihr werdet gerichtet“ ist ein überraschend starker „Tatort“ aus Luzern und zugleich ein Bewerbungsschreiben der auf der Kippe stehenden Schweizer Kommissare für weitere Einsätze.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top