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    Das Löwenmädchen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Das Löwenmädchen
    Von Katharina Granzin

    Als der norwegische Autor Erik Fosnes Hansen in seinem Roman „Das Löwenmädchen“ (in deutscher Übersetzung 2008 erschienen) die unglaubliche Geschichte eines Mädchens erzählte, das mit dichter Ganzkörperbehaarung zur Welt gekommen ist, war das ein kühner Wurf. Einen Film aus der Geschichte dieses einzigartigen Menschenschicksals zu machen, ist fast noch kühner, denn nicht nur die Maske stellt in diesem Fall eine besonders große Herausforderung dar. Auch die Tatsache, dass ein Film fast ausschließlich die Außensicht auf die Figuren ermöglicht und nur sehr begrenzt eine Innenperspektive birgt Gefahren. Allzu leicht wirkt der Blick von außen voyeuristisch und das Ungewöhnliche erscheint ausgestellt. Der Regisseurin Vibeke Idsøe („Karlsson vom Dach“) aber gelingt mit ihrem Drama „Das Löwenmädchen“ trotz allem ein einfühlsames Porträt einer von der Natur mit einer existenziellen Einsamkeit geschlagenen jungen Frau, die sich gegen alle Widerstände ihren Weg sucht. Allerdings grenzen einzelne Szenen und Bilder immer wieder ans Banale, weil fast ausschließlich bekannte, schon fast zum Klischee verkommene Erzählmuster bedient werden: ein grundlegendes Manko, das auch durch die sehenswerten schauspielerischen Leistungen und die hervorragende, ausgesprochen authentisch wirkende Ausstattung nicht vollständig ausgeglichen wird.

    Man schreibt das Jahr 1912. In einem abgelegenen norwegischen Dorf stirbt eine Frau, während sie ein Kind gebiert. Es ist ein Mädchen, und es ist am ganzen Körper - auch im Gesicht - dicht behaart wie eine Katze. Der Vater des Neugeborenen, Bahnhofsvorsteher Arctander (Rolf Lassgård), will von seiner Tochter zunächst nichts wissen. Schließlich engagiert er eine junge Hebamme (Kjersti Tvetras), die sich um das Kind und den Haushalt kümmern soll, und schottet das haarige kleine Mädchen so weit wie möglich von der Außenwelt ab. Doch Eva, wie das Kind auf Vorschlag des Dorfarztes genannt wurde, wächst zu einem hellwachen, hochintelligenten Kind heran, entwickelt einen gesunden Eigensinn und setzt schließlich durch, mit den anderen Kindern in die Schule gehen zu können. Die Berührung mit der Welt der Unbehaarten allerdings bringt für das Mädchen auch manche schmerzhafte Erfahrung mit sich. Nicht nur Kinder können grausam sein, auch Erwachsene versuchen Eva für ihre Zwecke zu missbrauchen. Schließlich brennt die Halbwüchsige mit einem Zirkus der menschlichen Kuriositäten durch.

    Wallander-Darsteller Rolf Lassgård („Ein Mann namens Ove“) ist großartig in seiner Rolle als äußerlich pedantischer und strenger, doch innerlich schwer an seinen unterdrückten Gefühlen tragender Bahnhofsvorsteher. Auch die Protagonistin in ihren verschiedenen Lebensaltern wird von den drei Darstellerinnen Aurora Lindseth Lokka (Eva mit sieben Jahren), Mathilde Thomine Storm (Eva mit 14 Jahren) und Ida Ursin-Holm (Eva als junge Frau) glaubhaft und sensibel verkörpert. Umso bedauerlicher ist es, dass diese außergewöhnliche Emanzipationsgeschichte sich erzählerisch in so traditionellen Bahnen bewegt. Der hintergründige Humor der Romanvorlage fehlt vollständig und ist einer unbestimmten, irgendwie menschelnden Melancholie gewichen. Nicht die Schwierigkeiten der Welt, mit Andersartigkeit umzugehen, sind hier ein Thema, sondern ausschließlich die Probleme der betroffenen Person selbst.

    Und diese Schwierigkeiten, denen die behaarte Eva in ihrem Leben begegnet, werden in so konventionellen Bildern und Szenen auserzählt, dass es einem phasenweise so vorkommt, als hätte man genau diesen Film schon hundertmal gesehen. Da weicht die Menschenmenge leise tuschelnd zurück, als Eva das erste Mal in der Öffentlichkeit auftritt; da lauern die Schulkinder ihr auf, um ihr Haare abzuschneiden; da geifern die versammelten Wissenschaftler um die nackte Eva, die im Scheinwerferlicht posieren muss (immerhin: dieses Bild erinnert an Kafkas „Bericht für eine Akademie“).  Das doch so ungewöhnliche Einzelschicksal wird hier teilweise zu einer ganz und gar gewöhnlichen Außenseitergeschichte, aber dennoch weckt der Film große Empathie für seine haarige Heldin. Da stört es irgendwann auch nicht mehr so sehr, dass die Maske - die bestimmt unglaublich schwer herzustellen war - ziemlich unnatürlich wirkt. Aber andererseits: Wer kann schon beurteilen, wann ein Ganzkörperfell am Menschenkörper natürlich aussieht?

    Fazit: Die Romanverfilmung über das Schicksal eines am ganzen Körper stark behaarten Mädchens ist sensibel gespielt und empathisch inszeniert, aber dabei stark in konventionellen  Erzählmustern gefangen.

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