Wenn "Shot Caller" eins nicht ist, dann ein typisches Knastdrama. Wie sich das Leben hinter Gittern auf Menschen auswirken kann weiß man seit "Die Verurteilten" ziemlich gut und wesentlich besser wurde es seitdem auch nicht mehr gemacht. Deshalb verknüpft Ric Roman Waugh, der neben der Regie auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, die Entwicklung seines Antihelden mit einem knallharten Gangsterfilm und einem Schuss Psychodrama, ohne jedoch einer dieser Richtungen allzu sehr den Vorzug zu geben. Dabei wäre es geradezu verlockend bequem, die üblichen Konflikte und Machtspielchen abzuarbeiten, doch vor allem die Fokussierung auf Jacobs Charakter, seine widersprüchliche und doch logische Entwicklung, sowie die nichtlineare Erzählweise, machen den Film erst richtig interessant.
Die Wandlung vom Familienmenschen mit Bürojob zum volltätowierten Verbrecher mit Walrossbart gelingt Coster-Waldau ebenso glaubwürdig wie beeindruckend. In all seiner Brutalität steckt eine Verletzlichkeit, die keinem anderen Menschen gegenüber mehr zum Vorschein kommt. Dieser Zwiespalt verleiht der Geschichte ihren eigentlichen Reiz; da wäre die Krimi-artige Nebenhandlung um einen Bewährungshelfer, der Jacob alias "Money" auf die Schliche kommen will, streng genommen gar nicht nötig gewesen. Action, Explosionen, übertrieben blutige Morde oder nackte Körper in weichem Stimmungslicht und sonstiges Hollywood-Eye-Candy braucht es nicht um die zwei Stunden mit ordentlich Spannung auszufüllen. Durch die stolz zur Schau gestellten Nazi-Tätowierungen, vom Reichsadler mit Hakenkreuz bis zur SS-Rune, wird die Atmosphäre für Zuschauer mit Geschichtsbewusstsein allerdings gleich noch beklemmender.
Ganz nebenbei wird leise die Frage gestellt, inwiefern der Zustand amerikanischer Gefängnisse, in denen die Insassen weitestgehend sich selbst überlassen bleiben, zur Entstehung von Biografien wie dieser und dem Schüren rassistischer Konflikte beiträgt. Zuletzt war es der HBO-Serie "The Night Of" ähnlich gut gelungen, ein authentisches Gefühl dafür zu vermitteln, wie die Zustände hinter Gittern Gewalt verursachen und das organisierte Verbrechen florieren lassen. Obwohl Jacob keineswegs unschuldig ist und sich relativ schnell mit seinem Schicksal abfindet, ist es dank Coster-Waldaus intensivem Schauspiel nie schwer, sich auf den "arischen Bruder" Money einzulassen und ihm Erlösung zu wünschen.
Am Ende kommt es anders und doch wie erwartet. Ein zielgerichteter Plan überrascht den Zuschauer ebenso wie die übrigen Figuren schon aufgrund der Konsequenz seiner Durchführung. Damit verdient sich "Shot Caller" am meisten Respekt. Nichts an diesem Film ist bequem oder hektisch mit groben Blockbuster-Werkzeugen zusammengezimmert. Lässt man sich einmal von der akribisch beobachteten und dennoch nie zu ausgedehnten Erzählung fesseln, dann ermöglicht der Film das, was den üblichen Knaststreifen mit ihren Flüchen, Kloppereien und plakativen Misshandlungen fast nie gelingt - ein gut gespieltes intensives Thrillererlebnis.
Bonusmaterial (BD): Interviews mit Cast & Crew, Filmtrailer