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    Heil
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Heil
    Von Thomas Vorwerk

    Nach dem auf der Berlinale 2014 mit einem Silbernen Bären für das Beste Drehbuch ausgezeichneten Religionsdrama „Kreuzweg“ suchte sich Regisseur Dietrich Brüggemann („Renn, wenn du kannst“) für seinen fünften Spielfilm zwar wieder ein gesellschaftlich vieldiskutiertes Thema, wählte dazu aber einen diametral entgegengesetzten Inszenierungsansatz. Zwar ist die erste Szene der Neonazi-Satire „Heil“ wieder eine komplizierte Plansequenz mit starrer Kamera (wie schon bei den 14 filmischen Stationen des christlichen Kreuzwegs im Vorgängerwerk), aber die ästhetisch ausgefeilte Filmkunst wird hier sehr schnell zugunsten einer in alle Richtungen austeilenden hysterisch-überdrehten Komödie fallengelassen, deren lockere Machart zu dem oft klamaukigen Tonfall passt.

    Die hochschwangere Nina (Liv Lisa Fries) ist auf der Suche nach ihrem afrodeutschen Freund (und Kindsvater) Sebastian (Jerry Hoffmann), einem Autor, der sich auf das Thema Integration spezialisiert hat und bei einer Lesereise ins ostdeutsche Prittnitz einigen Neonazis in die Hände fiel. Nachdem die braune Bande seinen Kopf mit einem Baseballschläger traktiert hat, plappert Sebastian nur noch munter die Slogans nach, die ihm deren Anführer Sven (Benno Fürmann) einsagt. Der Obernazi will, ganz wie der aufrechte und politisch unverdächtige Dorfpolizist Sascha (Oliver Bröcker), die Liebe der resoluten (und ebenfalls rechten) Doreen (Anna Brüggemann) gewinnen. Und dafür würde Sven sogar in Polen einmarschieren…

    Die Inhaltsangabe gibt nur einen vagen Einblick in den chaotischen Verlauf der Handlung: Bei nicht weniger als 114 Sprechrollen (dabei auch einige prominente Gaststars wie Heinz Rudolf Kunze, Dietrich Kuhlbrodt oder Andreas Dresen) und beinahe ebenso vielen szenischen Motiven wird der Zuschauer gerade zu Beginn des Films geradezu mit Informationen überfüttert. Dabei hat vieles, was im Detail ausgebreitet wird, für den Fortgang der Geschichte keine große Bedeutung. Wenn etwa je ein Mitglied des rechtsradikalen Dreigestirns mit je einem Beamten des Verfassungsschutzes ein informatives Gespräch in einem irgendwo im Wald stehenden Auto führt und diese drei Szenen noch in einer längeren Parallelmontage zusammengeschnitten werden, erkennt man zwar eine deutliche Anspielung auf den NSU-Skandal, aber letztlich geht es hier nur um die allumfassende Ahnungslosigkeit der Filmfiguren auf beiden Seiten. Regisseur Brüggemann setzt klar auf die satirische Breitseite und weniger auf die subtile Pointe, er macht die konstatierte „deutschlandweite Idiotie“ zu einem der prägendsten Motive des Films.

    Ob Neonazis, die die Schreibweise ihres bevorzugten Graffito „Wheit Pauer“ in „Weit Bauer“ verschlimmbessern und die österreichische nicht von der polnischen Flagge unterscheiden können, ob mediengeile Sachbuchautoren, deren nichtssagende Arbeiten man in einem Satz zusammenfassen kann, oder Journalisten und Lokalpolitiker ohne das geringste Berufsethos: Im ganzen Film gibt es mit Nina und Sascha gerade einmal zwei Figuren, die ansatzweise zur Identifikation anregen oder zum Sympathieträger taugen. Entsprechend hält sich das Mitgefühl in Grenzen, wenn die Nazis, die mit ihren Waffen nicht gerade zimperlich umgehen, den ein oder anderen Unsympathen um die Ecke bringen: Morde und Unfälle sind hier auch nur etwas gröber ausgefallene Pointen, ein Panzer ist nichts anderes als die schlagkräftigere Version der Slapstick-Sahnetorte.

    „Heil“ ist trotz des angewandten satirischen Gießkannenverfahrens, bei dem alle etwas abbekommen, ein sehr persönlicher Film. Dietrich Brüggemann eifert gegen alle (bundes-)deutschen Unsitten, die ihm seit Jahren oder Jahrzehnten sauer aufstoßen (er macht sich sogar selbst zur Witzfigur, wenn er einen Schauspieler als den Regisseur der Komödie „Geil Hitler“ auftreten lässt) und aus „Heil“ wird so etwas wie sein eigener komischer Kino-Wutball. Für emotionale Anteilnahme ist bei diesem ungehemmten Abreagieren jedoch kaum Platz, ohne Unterlass folgt Gag auf Gag. Einige sind hintersinnig, andere eher ausgewalzte Kalauer – und manche auf vertrackte Weise beides gleichzeitig: etwa wenn ein verbohrter Verfassungsschützer seinen supersicheren Internetaccount vorführt, bei dem er die URL eines aufzurufenden YouTube-Videos erst umständlich telefonisch diktieren muss. Oder wenn das Eindringen in eine Bundeswehrkaserne dadurch zum Kinderspiel wird, dass alle wachhabenden Soldaten viel zu sehr mit Egoshooter-Ballerspielen beschäftigt sind.

    Fazit: Mit „Heil“ versucht Dietrich Brüggemann einen schwierigen Spagat zwischen bissiger Satire und unverblümter Albernheit. Das Resultat ist zwiespältig und ziemlich chaotisch, aber sowohl gellendes Gelächter als auch ein paar Denkanstöße sind einem im Kinosaal sicher.

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