Blasser Bogenschütze
Von Antje WesselsVor 110 Jahren erschien mit „Robin Hood And His Merry Men“ die allererste Verfilmung des weltberühmten Stoffes rund um den berüchtigten Outlaw, der die Reichen bestiehlt, um die Beute unter den Armen aufzuteilen. Schon im 13. Jahrhundert war Robin Hood in England ein gebräuchlicher Spitzname für Gesetzesbrecher, der im Spätmittelalter zum festen Bestandteil zahlreicher Balladen wurde. Eine direkte Vorlage, auf die sich Filmemacher, die sich mit der Figur beschäftigen, zurückgreifen könnten, gibt es also nicht. Entsprechend groß ist die tonale Bandbreite der diversen „Robin Hood“-Filme, die es seither in die Kinos geschafft haben – vom familienfreundlichen Zeichentrickfilm (Disneys „Robin Hood“ von 1973) über alberne Komödien (Mel Brooks‘ „Robin Hood - Helden in Strumpfhosen“) bis hin zum skurrilen Horrorreißer, in dem der legendär gute Bogenschütze gegen eine Horde Zombies antritt („Robin Hood: Ghosts Of Sherwood“).
Der neueste „Robin Hood“ ist nun das Kinofilmdebüt des britischen Serien-Spezialisten Otto Bathurst („Peaky Blinders“) und orientiert sich wohl am ehesten an Ridley Scotts epischer Big-Budget-Blockbuster-Version aus dem Jahr 2010. Zumindest was den Actiongehalt und den Produktionsaufwand angeht. Aber wo der „Blade Runner“-Regisseur seinem „Gladiator“ in Strumpfhosen nicht nur auch eine hochpolitische Note hinzufügte, sondern in seinem authentisch-dreckigen Schlachtenepos auch mit Blut und Gewalt nicht geizte, entpuppt sich Bathursts „Robin Hood“ nun als austauschbarer, bemüht auf modern getrimmter Actioner mit einem Titelhelden, der bei seinen zahllosen Auftritten in mehr als einem Jahrhundert Kinogeschichte selten blasser geblieben ist.
Als der junge Adelige Robin von Locksley (Taron Egerton) von den Kreuzzügen nach Nottingham zurückkehrt, hat sich seine beschauliche Heimatstadt in der Zwischenzeit in einen Pfuhl aus Korruption, Intrigen und Gewalt verwandelt. Der erbarmungslose Sherriff von Nottingham (Ben Mendelsohn) herrscht mit eiserner Hand über seine Untertanen und nimmt ihnen das Geld ab, bis nahezu das gesamte Volk unter Armut leidet. Als Robin dann auch noch erfährt, dass er von seiner geliebten Marian (Eve Hewson) für tot gehalten wird und diese längst einen anderen Mann (Jamie Dornan) gefunden hat, schließt er sich mit John (Jamie Foxx) zusammen, der während der Kreuzzüge vor Robins Augen auf grausame Weise seinen Sohn verlor. Gemeinsam wollen sie gegen die vorherrschende Ungerechtigkeit vorgehen, indem sie den Sherriff bestehlen und den Einwohnern von Nottingham ihr hart erarbeitetes Geld zurückgeben. Zunächst geht der Plan auch auf und der sich nun The Hood nennende Robin von Locksley wird für das Volk zum Sinnbild für Gerechtigkeit. Aber der Sherriff ist seinen Widersachern bereits dicht auf den Fersen...
Robin Hood führt ein Doppelleben – als Adeliger und Rebell! Robin Hood ist hier also quasi das geheime Superhelden-Alter-Ego von Robin von Locksley. Die Bogenschützen-Variante von Batman. Das ist zumindest auf dem Papier der spannendste neue Ansatz, den die Drehbuchdebütanten Ben Chandler und David James Kelly für ihren Titelhelden bereithalten. Aber selbst aus dieser frischen Idee wird zu wenig herausgeholt. Sogar die Dialogduelle auf einer Party zwischen Robin von Locksley und dem noch ahnungslosen, aber nichtsdestotrotz argwöhnischen Sherriff von Nottingham, quasi dieselbe Konstellation wie bei Clark Kent und Lex Luthor, entwickeln kaum eine Intensität. Diese fehlende Dynamik steht symptomatisch für den Film. „Robin Hood“ mangelt es insgesamt an Pfiff, da kann er noch so auf modern und kinetisch getrimmt daherkommen.
Verkörpert wird Robin Hood diesmal von Taron Egerton („Eddie The Eagle – Alles ist möglich“), der sich im Casting unter anderem gegen Dylan O’Brien, Nicholas Hoult und Jack Huston durchsetzen konnte. Regisseur Otto Bathurst war sogar so begeistert von ihm, dass er den Dreh seines Films sogar noch einmal nach hinten verschob, weil Egerton erst noch die „Kingsman“-Fortsetzung „The Golden Circle“ zu Ende drehen musste. Aber so ganz erschließt sich einem diese Begeisterung nicht. Egerton mimt zwar routiniert den stets verschmitzt dreinschauenden Actionhelden mit Vorliebe für atemberaubende Pfeil-und-Bogen-Stunts, doch eine eigene Persönlichkeit besitzt sein Robin Hood nicht. Selbst neben eigentlich deutlich weniger wichtigen Figuren wie der seines Nebenbuhlers Will Scarlett (Jamie Dornan überzeugt als sich ganz langsam zum Widersacher entwickelnder neuer Liebhaber von Marian) wirkt der Titelheld vollkommen farblos, was auch daran liegt, dass man über ihn so gut wie nichts erfährt.
Stattdessen erweisen sich Jamie Foxx („Django Unchained“) als von dem unbedingten Willen nach Gerechtigkeit getriebener, hin und wieder schon mal einen kecken Spruch auf den Lippen tragender John sowie der von Ben Mendelsohn („Captain Marvel“) fast schon als Karikatur eines Blockbuster-Bösewichts angelegte Sherriff von Nottingham als Szenendiebe, gegen die der Titelheld so ganz ohne Ecken und Kanten einfach nicht bestehen kann. Das sehr offensichtlich auf ein Sequel hinarbeitende Finale lässt da fast schon hoffen, dass in einer etwaigen Fortsetzung möglichst nicht mehr Robin Hood, sondern eine der vielen anderen Figuren im Mittelpunkt stehen möge. (Die Produktionsfirma hat das Skript zu dem damals noch „Robin Hood: Origins“ betitelten Projekt schließlich von Anfang an als Auftakt eines ganzen Cinematic Universe in Auftrag gegeben.)
Visuell fügt sich der im kroatischen Dubrovnik gedrehte „Robin Hood“ in die seit einigen Jahren andauernde Flut modern inszenierter historischer Stoffe ein. Wobei das auf einen hochglänzenden Digitallook getrimmte Mittelaltersetting natürlich zuallererst an Guy Ritchies Neuaufguss der Arthus-Sage erinnert. Einige der Szenen und Schauplätze meint man sogar eins zu eins aus „King Arthur: Legend Of The Sword“ wiederzuerkennen, so ähnlich sind sich der Look, die Kameraarbeit und die Arrangements. Aber auch Justin Kurzels „Assassin’s Creed“ sowie das Remake von „Ben Hur“ haben hier ihre visuellen Spuren hinterlassen – und das hat sowohl positive als auch negative Seiten.
Die haptischen Sets, die gewaltigen Explosionen und die stilsicher inszenierten Kämpfe, in denen eben nicht mit Pistolen rumgeballert, sondern eben mit Pfeil und Bogen geschossen wird, können durchaus überzeugen. Als Höhepunkt des Bogen-Spektakels gibt es sogar eine mit Pfeilen bestückte Gatling Gun! Aber daneben trüben vor allem zwei Dinge das Seherlebnis ungemein: Wenn neben den vielen handgemachten Effekten doch mal eine Szene aus dem Computer stammt, sieht diese dafür umso miserabler aus. Und auch die Kameraarbeit lässt stark zu wünschen übrig. George Steel („Die Frau in Schwarz 2: Engel des Todes“) filmt mit derart unruhiger Hand, dass man in den auf harte Gewalt verzichtenden Actionszenen schnell den Überblick verliert. In Kombination mit dem hektischen Schnitt lässt sich bisweilen kaum noch was von dem regen Treiben auf der Leinwand erkennen. Das ist schade. Denn eigentlich ist die Idee, einen modernen Actionfilm in ein einem klassischen Mittelaltersetting anzusiedeln, ja durchaus vielversprechend. Leider erfüllt sich dieses Versprechen in „Robin Hood“ aber viel zu selten.
Fazit: Die Neuinterpretation von „Robin Hood“ sieht dank des hohen Produktionsaufwandes hin und wieder ganz gut aus und punktet mit amüsanten Nebenfiguren. Aber ausgerechnet der Titelheld bleibt bis zum Schluss vollkommen uninteressant und die bewusst gewaltfreien Actionsequenzen sind so hektisch gefilmt und geschnitten, dass man schnell die Übersicht – und damit auch die Lust - verliert. Den Auftakt für ein komplettes Sherwood-Forest-Filmuniversum hat Otto Bathurst also schon mal in den Sand gesetzt.