Annemarie Schwarzenbach war eine Freundin von Klaus und Erika Mann, die Ehefrau eines homosexuellen Diplomaten in Persien, Schriftstellerin, Antifaschistin, morphinsüchtig und lesbisch. Sie hat mit ihrer Art und ihrem androgynen Äußeren unter anderem die US-Schriftstellerin Carson McCullers und die Fotografin Marianne Breslauer verzaubert. Im Alter von 34 ist sie nicht etwa an Drogen, sondern bei einem Fahrradunfall gestorben. Dass sich die Künstlerin Véronique Aubouy nun filmisch mit Schwarzenbach beschäftigt, ist grundsätzlich zu begrüßen, schließlich verdienen nicht nur die Reiseberichte und die Prosawerke der Schweizerin, die seit den 1980er Jahren wieder aufgelegt werden, jedes Interesse, sondern auch ihre faszinierende Lebensgeschichte. Was unter dem Titel „Je suis Annemarie Schwarzenbach“ nun aber als halbdokumentarisches Filmexperiment bei der Berlinale 2015 im Panorama zu sehen ist, das wird vermutlich nicht einmal eingefleischte Schwarzenbach-Anhängerinnen begeistern.
Véronique Aubouy hat für ihren Film 16 Schauspielerinnen und Schauspieler aufgefordert, in die Rolle ihrer Titelheldin zu schlüpfen. Aber nicht nur das: Die jungen Frauen und Männer sollten in einer Casting-Situation auch ihr eigenes Leben in Bezug zu dem Schwarzenbachs setzen, etwa indem sie von ihrer Schweizer Herkunft oder von ihrer Homosexualität berichten, wie auf alten Fotos posieren oder gymnastische Figuren machen. Bei Probeaufnahmen wechseln sie sich dann in den Rollen Schwarzenbach und ihrer Freunde ab, in manchen Szenen stellen auch zwei Personen die Protagonistin dar. Manchmal sprechen die Schauspieler auch privat miteinander, und oft verschwimmen die Grenzen zwischen Darsteller und Figur. Doch welche Erkenntnis bringt das? Außer einigen schönen Zitaten und der Erinnerung an attraktive junge Menschen, bleibt wenig haften. Regisseurin Aubouy verliert sich in wenig aussagekräftigen Momentaufnahmen von emotional diskutierenden Leuten und zusammenhanglosen Auftritten von Bären und Musikern. Die angestrebte produktive Reibung zwischen der historisch-fernen Persönlichkeit Schwarzenbachs, Zeugnissen aus deren Leben und Schaffen und den jungen Leuten vor der Kamera entsteht nur in seltenen Einzelmomenten.
Fazit: Wer Annemarie Schwarzenbach kennenlernen und möglichst viel über diese faszinierende Frau erfahren möchte, ist hier im falschen Film. Lose Versatzstücke, selbstverliebte Improvisationen und unverständliche Szenen zeugen vielmehr von einem fehlgeschlagenen künstlerischen Experiment.
Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2015. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 65. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.