Die Situation von Heranwachsenden an einer Oberschule in der kanadischen Provinz: Besonders aufregend hört sich das Thema von „La marche à suivre – Guidelines“, der dritten Dokumentation des franko-kanadischen Regisseurs Jean-François Caissy nicht unbedingt an. Über einen großen Teil des nur 76 Minuten dauernden Films wird zudem nichts anderes gezeigt als wechselnde Schüler, die in der Sprechstunde mit Vertrauenslehrern sitzen und über eigenes oder erlittenes Fehlverhalten berichten: Von Mobbing und von Prügeleien, von familiären Problemen, von Erfahrungen mit Drogen und von genereller Unaufmerksamkeit im Unterricht ist da die Rede, es geht also um die ganz alltäglichen Schwierigkeiten von Jugendlichen. Und genau das ist der Punkt: Nicht das Spezielle stellt Caissy heraus, sondern das Normale, das Gewöhnliche – und so wird seine in Kanada gefilmte Dokumentation zu einem universellen Film über die Träume und Leiden von Heranwachsenden.
In der ersten Szene der in ruhigen Scope-Aufnahmen gefilmten Doku sieht man ein Auto, das sich in einem morastigen Waldweg festgefahren hat. Ein Schüler tritt ins Bild und filmt die durchdrehenden Reifen, die Bemühungen des Fahrers, sich aus seiner Situation zu befreien. Es wäre einfach, diesen Moment als Metapher für den schwierigen Prozess des Aufwachsens zu interpretieren, doch diese Verbindung zieht Caissy nicht. Zumindest nicht direkt. Denn „La marche à suivre“ ist ein Muster an Zurückhaltung, ein Werk der puren Beobachtung: Jean-François Caissy beschränkt sich auf ein unaufdringliches Zeigen dieser Menschen und ihres Mikrokosmos, er bemüht sich um eine möglichst neutrale Perspektive, hält sich mit Urteilen zurück und gibt dem Zuschauer keine Lesart vor. Schüler und Lehrer vertrauen dem Filmemacher dabei ganz offensichtlich, insbesondere die Jugendlichen verhalten sich vor der Kamera bemerkenswert natürlich und so wird „La marche à suivre“ zu einem faszinierenden Alltagsdokument für ein weltweites Publikum.
Fazit: In der sehenswerten Dokumentation „La marche à suivre – Guidelines“, in der Schüler einer kanadischen Oberschule von ihren alltäglichen Problemen berichten, kommt in den neutral gefilmten individuellen Schilderungen das Universelle zum Vorschein.