Mein Konto
    Praunheim Memoires
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Praunheim Memoires
    Von Gregor Torinus

    Der eigenwillige Filmemacher Rosa von Praunheim ist als einer der wichtigen Vorreiter der Schwulenbewegung und des postmodernen Kinos in Deutschland bekannt. Er feierte seinen Durchbruch 1971 mit der programmatisch betitelten Dokumentation „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ und dem Spielfilm „Die Bettwurst“. In dem dokumentarischen Selbstporträt „Praunheim Memoires“ erinnert sich der inzwischen über 70-jährige Künstler an seine Jugend in Frankfurt am Main und an seine Studienzeit im benachbarten Offenbach. Neben vielen Anekdoten erfährt man, wie aus Holger Mischwitzky „Rosa von Praunheim“ wurde.

    Der sonst oft so schillernd wirkende Rosa von Praunheim präsentiert sich hier als bodenständiger Mensch, der sich seiner Wurzeln sehr bewusst ist. So erklärt er seinen ungewöhnlichen Künstlernamen sehr einfach damit, dass Rosa die Farbe der Winkel war, die Homosexuelle als Kennzeichen im KZ tragen mussten, während Praunheim der Name des Frankfurter Stadtteils ist, in dem er seine Jugend verbracht hat. Eine Bewohnerin beschreibt das Viertel im Film als „gutbürgerlich bis spießig“, schön sei jedoch die Lage am Stadtrand inmitten von Wiesen. Auf jenen wanderte der junge Holger damals gerne und dachte sich dabei Gedichte aus. Seine Eltern hatten mit Kunst und Kultur nichts am Hut. Dafür gaben sie ihm viele Freiheiten und erlaubten ihm, zu Hause wilde Partys zu feiern. Aber so richtig blühte von Praunheim erst auf, als er auf der Werkkunstschule in Offenbach erstmals Kontakt zu Gleichgesinnten bekam und auch seine Sexualität zu entdecken begann.

    Völlig anders als etwa Udo Kier in „Arteholic“ verzichtet Rosa von Praunheim in seinem Film auf jede Art der Selbststilisierung und gewährt stattdessen wirklich tiefe Einblicke in sein Leben. Der Künstler erzählt von seinen bescheidenen Anfängen, seinem einfachen Elternhaus, seinen schlechten Schulnoten und davon, dass er erst beim zweiten Anlauf in Offenbach aufgenommen wurde. Dazu begegnet er vor der Kamera vielen alten Bekannten, von seinem ehemaligen Deutschlehrer, bis hin zu anderen Frankfurter Künstlern. Über die Schilderungen und Gespräche entsteht das plastische Bild einer Stadt, die heute so nicht mehr existiert. In den 1950er Jahren war Frankfurt ein Ort des Aufbruchs, die einzige deutsche Großstadt mit dem Flair der Weltoffenheit. Später war sie dann eine Stätte des politischen Aufbruchs, mit Adorno an der Uni und studentischen Hausbesetzern im Westend. Erst später wurde Frankfurt zu „Mainhattan“, der Metropole der Banken und des ungehemmten Kapitalismus.

    Rosa von Praunheims Reise in die eigene Vergangenheit wird zugleich zu einer Erkundung der damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse und einer exemplarischen Darstellung der veränderten Lebensbedingungen von Schwulen. So war etwa allein der Filmtitel „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ 1971 schon eine wichtige Kampferklärung an eine Gesellschaft, die Homosexuelle weiterhin kriminalisierte. Ein Bekannter von Praunheims erzählt, dass in den 50ern jeder Nachbar die Sittenpolizei verständigen konnte, wenn zwei Männer über Nacht in derselben Wohnung verschwanden. Die erhielten dann nächtlichen Besuch von der Polizei und landeten selbst wenn keine sexuellen Handlungen nachzuweisen waren in der „rosa Kartei“ der Sittenwächter. Dass man sich solche Umstände heutzutage kaum mehr vorstellen kann, ist auch das Verdienst von Rosa von Praunheim und so lohnt sich die kleine Entdeckungstour in den „Memoires“ allemal.

    Fazit: „Praunheim Memoires“ ist Rosa von Praunheims ebenso unprätentiöser wie aufschlussreicher Rückblick in seine Zeit als junger Erwachsener im Rhein-Main Gebiet.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top