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    Citizenfour
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Citizenfour
    Von Katharina Granzin

    So sieht das also aus, wenn Zeitgeschichte geschrieben wird? Ein junger Mann sitzt auf seinem ungemachten Hotelbett, auf den einzigen beiden Stühlen („Darf ich mich setzen?“ fragt der Brite höflich, bevor er Platz nimmt) hocken zwei Journalisten und schreiben mit, was der Junge erzählt. Und irgendwo in dem engen Raum muss auch noch die Filmemacherin Laura Poitras ein Eckchen für sich und die Kamera gefunden haben. Ihre Bilder und die Personen, die auf ihnen zu sehen sind, wirken völlig unspektakulär. Und doch ist man durch sie sozusagen nachträglich mit dabei, wenn Edward Snowden den Reportern Glenn Greenwald und Ewen MacAskill erstmals erzählt, in welchem Ausmaß die NSA unbescholtene Bürger überwacht. Genau auf diesem Hongkonger Hotelbett begann der große Enthüllungsskandal. Ein eigenartiges Gefühl.

    Dass es diesen Film überhaupt gibt, ist bereits ein starkes Statement. So nüchtern Edward Snowden sich in seinen Äußerungen und durch sein beherrschtes Auftreten gibt, so klar scheint der Beschluss zu sein, den er gefasst hat: zum einen der Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, durch Auswertung der NSA-Daten, die er herausgeschmuggelt hat, das ganze Ausmaß der allgemeinen Überwachung festzustellen. Und gleichzeitig dem Geheimhaltungs- und Kontrollwahn der US-Behörde mit der absolut gegensätzlichen Haltung zu begegnen: mit größtmöglicher Transparenz. Deshalb entschloss sich Snowden (auch diese Szene kommt im Film vor), sich selbst zu outen, bevor man ihn als Verräter „enttarnen“ könnte. Und wohl deshalb kontaktierte er zuallererst die in Berlin lebende amerikanische Filmemacherin Laura Poitras, die durch ihren preisgekrönten Dokumentarfilm „My Country, My Country“ selbst ins Visier der US-Sicherheitsbehörden geraten war, statt sich mit seinem hochbrisanten Material direkt an den Journalisten Glenn Greenwald zu wenden.

    Durch diese Entscheidung des Whistleblowers Snowden sind wir für dieses eine Mal in die absolut außergewöhnliche Lage versetzt, zumindest teilweise und im Nachhinein bei der Aufdeckung eines riesengroßen gesellschaftlichen Skandals unmittelbar dabei zu sein. Einen Spielfilm über die Snowden-Affäre zu drehen, wird nach diesen Bildern sehr schwierig sein, denn alle fiktiven Re-Inszenierungen werden sich immer am Original messen lassen müssen, das seine große Dramatik nicht (nur) aus einem ausgefeilten dramaturgischen Ablauf bezieht, sondern vor allem aus der Tatsache, dass die Bilder eben echt sind. Dass Poitras ihr Material (wie im Übrigen alle Filmemacher) ausgewählt, montiert und vielleicht teilweise nachgestellt hat (oder hat sie etwa tatsächlich mit eiserner Disziplin diese geheimen Chats mitgefilmt?) – das wäre dabei ein billiger Einwand. Denn die Regisseurin folgt ihrerseits ebenfalls einer Maxime der Transparenz, indem sie bei der Bildsprache und Informationsauswahl betont sachbezogen vorgeht und zugleich eben nicht verschleiert, dass hinter diesem Film eine Person steht, die ihn gestaltet und ihm eine Form gibt.

    Die Regisseurin ist auch über zahlreiche Off-Kommentare präsent, mit denen sie zeitliche und kausale Zusammenhänge zwischen den gefilmten Szenen erläutert. Ein einziges Mal ist Poitras während des Filmens zu hören, zu Bildern, die einen müde aussehenden Edward Snowden zeigen: „Wie fühlst du dich?“, fragt die Frau hinter der Kamera ihren Protagonisten. Eine gute Frage. Wie Edward Snowden sich fühlen muss, konnte man vor diesem Film anhand seltener Fotos und Interviews nämlich höchstens erahnen, auch weil es dem IT-Experten nicht um die eigene Person geht, sondern um die Sache. Bei Poitras kommen wir dem so überlegt und kontrolliert wirkenden Mann zumindest ein wenig näher, der Stress und der Druck, der auf Snowden lastet, schreibt sich unter anderem über seine im Lauf der Zeit wachsenden Augenringe förmlich in den Film ein.

    Poitras bietet aber nicht nur einen genauen Blick auf den Protagonisten der globalen Affäre, sondern sie schaut immer wieder in und hinter die Kulissen der großen Nachrichtenbühne: So erleben wir mit, wie Glenn Greenwald erleichtert seinen Lebenspartner in Empfang nimmt, nachdem der - im Anschluss an ein Treffen mit Laura Poitras - am Londoner Flughafen Heathrow neun Stunden lang festgehalten worden ist. Außerdem sind wir dabei, wenn auf Anweisung der britischen Regierung das Festplattenarchiv zu deren Geheimdienstprogramm „Tempora“ zerstört wird, das über Snowden zu Greenwalds Zeitung  The Guardian gelangt war. Wir sind anwesend, wenn Occupy-Aktivisten in den USA zusammenkommen, oder wenn eine Gruppe internationaler Rechtsanwälte in Berlin Snowdens persönliche Lage unter juristischen Gesichtspunkten diskutieren. Und natürlich haben Poitras und ihr Team mit der Kamera zahlreiche öffentliche Anhörungen zum NSA-Thema begleitet.

    Aus all diesen Aspekten und Momentaufnahmen entsteht ein vielschichtiges weltumspannendes Kaleidoskop - und noch mehr als das. Die Bilder und Informationen hinter den Nachrichten werden in „Citizenfour“ zu einem bürgerlichen Weltdrama komprimiert. Der Bürger Edward Snowden, der in dessen Zentrum steht, erscheint darin immer kleiner, je weiter die Kreise werden, die die NSA-Affäre zieht. Wie er ganz zu Anfang erklärt, war es nie seine Absicht, selbst als großer Enthüller in Erscheinung zu treten. Snowden ist und will nicht mehr sein als ein junger Informatiker mit einem intakten Gewissen, aber dafür hat er sein bisheriges Leben geopfert. Als er in Hongkong seine Koffer packt, liegt bei seinen Sachen das Buch „Homeland“ von Cory Doctorow, zu dem Zeitpunkt ist die Heimat für ihn jedoch schon verloren. Am Ende des Films hält Poitras immerhin eine kleine Erleichterung bereit: Ed Snowden ist in Moskau nicht allein. Seine Freundin ist zu ihm gezogen. Der Dampf aus dem Suppentopf, in dem man die beiden rühren sieht, verleiht dieser Szene eine unerwartet tröstliche Aura von Heimeligkeit und, tatsächlich, Privatheit. Aber das lässt sich natürlich genauso gut ironisch sehen.

    Fazit: Faktenreich, klug komponiert und hochdramatisch allein durch die authentischen Bilder: Die Filmemacherin Laura Poitras hat die Geschichte von Edward Snowdens NSA-Enthüllungen von Beginn an mit der Kamera begleitet. Der Dokumentarfilm des Jahres.

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