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    Tatort: Niedere Instinkte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Niedere Instinkte
    Von Lars-Christian Daniels

    Aus ihrem Bedauern über die Entscheidung des MDR, den „Tatort“ aus Leipzig einzustellen, macht Hauptdarstellerin Simone Thomalla („Sprung ins Leben“) kein Geheimnis: Während sich ihr Kollege Martin Wuttke („Inglourious Basterds“) bisher mit öffentlichen Äußerungen zurückhält, hätte Thomalla gerne weitergemacht. „Wir haben als Schauspieler meist keine Möglichkeit, aktiv in die Entwicklung der Handlung einzugreifen“, gab Thomalla in einem Interview den Drehbuchautoren die Schuld für die Absetzung, und so ganz Unrecht hat sie damit nicht: Es waren vor allem die schwachen Geschichten, die Leipzig zu einem Sorgenkind der ARD-Reihe machten und zuletzt sogar den „Tatort“-Kollegen Til Schweiger in den sozialen Netzwerken auf die Palme brachten. In Claudia Gardes „Tatort: Niedere Instinkte“ heißt es nun Abschied nehmen, doch der MDR geht diesmal auf Nummer sicher: Für das Drehbuch zeichnet Ausnahme-Autor Sascha Arango („Tatort: Borowski und der Engel“) verantwortlich, der in den vergangenen Jahren mehr als ein halbes Dutzend herausragender TV-Krimis miterschuf. Es ist auch seinem erneut überzeugenden Skript zu verdanken, dass Thomalla und Wuttke nach anhaltender Durststrecke zumindest ein würdiger Abschied zuteil wird.

    Als die achtjährige Magdalena (Martha Keils) an einem Montagmorgen nicht in der Schule erscheint, informieren ihre Eltern Judith (Picco von Groote) und Matthias Harries (Alexander Scheer) umgehend die Polizei. Die Großfahndung bleibt jedoch ohne Ergebnis. Die Leipziger Hauptkommissare Eva Saalfeld (Simone Thomalla) und Andreas Keppler (Martin Wuttke) finden bei ihrer ersten Befragung heraus, dass die Eltern ihr Kind bereits seit Sonntagnachmittag nicht mehr gesehen hatten – und sonderlich geschockt wirken sie zunächst auch nicht. Sie gehören einem streng gläubigen Gebetskreis an und sind fest davon überzeugt, dass Gott das Ganze zu einem guten Ende führen wird. Magdalenas Eltern ahnen ebenso wenig wie die Ermittler, dass das verängstigte kleine Mädchen von dem kinderlosen Ehepaar Monika (Susanne Wolff) und Wolfgang Prickel (Jens Albinus) entführt wurde und nun in einem schalldichten Keller gefangen gehalten wird. Bei der Untersuchung von Magdalenas Schulweg entdeckt Keppler in einer Unterführung jedoch vielversprechende DNA-Spuren: Er bereit einen Massen-Gentest vor, zu dem auch Wolfgang Prickel antreten soll...

    Ein bisschen kommt man sich vor wie im herausragenden Genremix „Tatort: Im Schmerz geboren“ – jenem vieldiskutierten „Tatort“-Meisterwerk, mit dem der Hessische Rundfunk 2014 die Grenzen der Krimireihe neu auslotete: Denn schon in der ersten Filmszene blickt der knietief im Wasser(schaden) stehende Hauptkommissar Keppler durch die Rückwand seines Kühlschranks direkt in die Augen des Zuschauers, spricht zu ihm und stellt die Frage nach dem Sinn des Lebens. Diese ungewohnte Aufhebung der „vierten Wand“, wie wir sie auch aus der Erfolgsserie „House of Cards“ kennen, bleibt nicht die einzige und verleiht dem Krimi von Claudia Garde („Das Glück der Anderen“) stellenweise etwas Bühnenhaftes. Ganz so konsequent wie ihre Kollegen Florian Schwarz und Michael Proehl, deren „Im Schmerz geboren“ mit Auszeichnungen förmlich überschüttet wurde, ziehen Garde und Drehbuchautor Arango diesen Theaterstil allerdings nicht durch: Kepplers Ansprachen an das Publikum bleiben nette Spielereien, die dem zuletzt meist wenig originellen Krimi aus Sachsen allerdings richtig gut tun.

    Überhaupt hat man das Gefühl, dass alle Beteiligten zum Abschluss nochmal so richtig auf den Putz hauen möchten: Frei nach dem Motto „Ist der Ruf erst ruiniert...“ lassen Keppler und Saalfeld gehörig die Fetzen fliegen. Die mal mehr, mal weniger amüsanten Streitgespräche resultieren auch daraus, dass der vorübergehend wohnungslose Kommissar sich nach einem kurzen Flirt im Treppenhaus spontan bei Saalfelds Nachbarin Uschi (Victoria Sordo, „Da muss Mann durch“) einquartiert – und es dabei in der ersten Nacht dermaßen zur Sache geht, dass bei der eifersüchtigen Ex-Frau und Kollegin die Wände wackeln. Das leidenschaftliche Intermezzo ist eine der spaßigsten und besten Szenen des Films, wenngleich die privaten Störfeuer irgendwann etwas ausufern und der Kommissarin das Frust-Dosenbier nach Feierabend nicht so recht stehen will. Macht aber nix: Selbst der vielkritisierten Simone Thomalla gehören in ihrem 20. und letzten „Tatort“ ein paar Szenen – zum Beispiel dann, wenn Saalfeld dem Kriminaltechniker Wolfgang Menzel (Maxim Mehmet, „Männerherzen“) am Kaffee-Automaten einen Korb gibt, als der sich zum „Sportschau“-Gucken bei ihr einladen möchte („Ham‘ Sie was genommen, Menzelchen?“).

    Ansonsten ist es vor allem die fast mystische und mit tollen Wendungen gespickte Geschichte, die den 945. „Tatort“ so sehenswert macht: Nach Krimi-Highlights wie dem Ludwigshafener „Tatort: Der kalte Tod“ oder dem Kieler „Tatort: Borowski und der stille Gast“ verzichtet Sascha Arango auch diesmal auf das Whodunit-Prinzip und entwirft stattdessen einen mitreißenden, wenn auch stellenweise etwas überfrachtet wirkenden Entführungsfall, den er konsequent zuspitzt und in einem hochspannenden Finale gipfeln lässt. Auch diesmal setzt der Drehbuchautor eine bitterböse Schlusspointe, die dem Zuschauer das Blut in den Adern gefrieren lässt. Susanne Wolff („Mobbing“), die zuletzt 2014 im Kölner „Tatort: Der Fall Reinhardt“ als psychisch labile Mutter glänzte, zeigt hier wie auch in den verstörenden Szenen mit Entführungsopfer Magdalena (Martha Keils) erneut ihr großes schauspielerisches Können. Da hätte es den unfreiwillig komischen Selbstmordversuch von Magdalenas gehörlosem Vater und den mysteriösen Gebetskreis eigentlich gar nicht mehr gebraucht.

    Fazit: Lass das mal den Sascha machen: „Tatort“-Autor Sascha Arango liefert erneut ein originelles Drehbuch ab und beschert Simone Thomalla und Martin Wuttke einen würdigen Abschied aus der Krimireihe.

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