Peter Chelsoms interplanetarische Teenager-Romanze „Den Sternen so nah“ entstand nicht etwa nach einer jener auf junge Erwachsene zugeschnittenen Romanvorlagen, aus denen Hollywood so gerne neue Film-Franchises bastelt, sondern sie basiert auf einem Original-Drehbuch, was in diesen risikoscheuen Zeiten eine echte Seltenheit ist. Das heißt nicht, dass die mit etwas Action und ganz viel Gefühl servierte Mixtur aus Science-Fiction, Familiendrama und Liebesgeschichte keine erkennbaren Vorbilder hat: „Der Marsianer“, „E.T.“ und „Starman“ treffen auf „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ – so etwa ließe sich der Stoff beim Hollywood-Verkaufsgespräch anpreisen. Aber das Entscheidende ist: Die Mischung geht erstaunlich gut auf. Das Pendel schlägt zwar insgesamt recht deutlich in Richtung Teenie-Schmonzette aus, doch die einfühlsamen Darsteller verhindern, dass die großen Emotionen in Sentimentalität umschlagen und einige originelle inszenatorische und erzählerische Kniffe sorgen dafür, dass auch etwas distanziertere Zuschauer auf ihre Kosten kommen.
Der Unternehmer und Visionär Nathaniel Shepherd (Gary Oldman) hat es geschafft: Sein Lebenstraum einer menschlichen Marssiedlung wird Wirklichkeit. Erst verläuft alles nach Plan, doch nach dem Start des Raumschiffs kommt heraus, dass die Chefastronautin Sarah Elliot (Janet Montgomery) schwanger ist. Das Kind wird auf dem Mars zur Welt gebracht, weil es auf der Erde wegen der Schwerkraft nicht überleben könnte. Trotzdem stirbt die Mutter bei der Geburt des Jungen, der daraufhin von der Astronautin Kendra (Carla Gugino) großgezogen wird. Über viele Jahre bleibt die Existenz des jungen Gardner Elliot (Asa Butterfield) ein gut gehütetes Geheimnis, er wächst etwa 250 Millionen Kilometer von der Erde entfernt auf und erfährt selbst so gut wie nichts über seine Herkunft. Damit gibt sich der Teenager aber irgendwann nicht mehr zufrieden, es gelingt ihm über einen Online-Chat heimlich Kontakt zum gleichaltrigen Mädchen Tulsa (Britt Robertson) in Colorado aufzunehmen. Er will unbedingt auf der Erde nach seinem Vater suchen – und er würde Tulsa gerne auch persönlich kennenlernen…
„Den Sternen so nah“ beginnt wie ein großes Raumfahrtabenteuer mit einer leidenschaftlichen Rede über den Traum eines Jungen, den menschlichen Entdeckergeist und die Begrenztheit der Ressourcen der Erde. Gary Oldman („Dame, König, Ass, Spion“) spielt den Technik-Guru Shepherd, der offensichtlich an den Tesla-Chef Elon Musk angelehnt ist, als charismatischen Menschenfänger mit viel Geschäftssinn, extremem Sendungsbewusstsein und noch mehr Ego. Hinter dem ganzen Brimborium lässt er zugleich eine verirrte Seele erahnen, die erst in einer buchstäblich abgehobenen Szene gegen Ende ihren ganzen Ballast abwerfen kann. Davor dient Shepherd nebenbei als eine Art Erkläronkel: Er demonstriert uns, warum ein menschliches Kind, das schon als Fötus zu Beginn der Schwangerschaft die Erdatmosphäre verlässt, auf unserem Planeten im Prinzip nicht überleben kann. Das mag wissenschaftlich betrachtet nicht alles hundertprozentig stimmig sein (der Film ist ohnehin nichts für Wahrscheinlichkeitskrämer), aber für die im Rahmen der Erzählung glaubhafte Etablierung des tragischen Grunddilemmas reicht es allemal.
Es ist der klassische Konflikt des Liebesdramas: Die Verliebten müssen Grenzen, Distanzen und Unterschiede überwinden, um zueinander zu kommen. Doch kaum einmal war die Entfernung schon rein räumlich so groß wie zwischen Gardner und Tulsa. Dazu kommt noch, dass der in der Isolation einer kleinen Raumstation aufgewachsene Mars-Mensch die Gepflogenheiten des Gemeinschaftslebens und die Verhaltensweisen der Erdbewohner nur aus ein paar alten Filmen kennt. Das sorgt für ziemlich viele amüsante Momente, wenn Gardner dann schließlich doch einen Weg auf unseren Planeten findet. Insbesondere Sarkasmus und Ironie kann er nicht begreifen, er sagt einfach, was ihm durch den Kopf geht – und das ohne jede Bosheit. Er betrachtet die Welt mit bedingungsloser Offenheit und unendlichem Staunen – dafür ist Asa Butterfield („Hugo Cabret“) mit seinen großen, stets wachen Augen eine Idealbesetzung. Wenn er völlig unbefangen die neben ihm im Auto sitzende Tulsa anschmachtet, sie ihm sagt, dass sie das irritiert, doch er nur erwidert: „Aber du bist so schön!“ und es ihr schließlich gelingt, das Kompliment anzunehmen, dann ist das eben keine überzuckerte Perfekte-Welt-Fantasie und auch kein ironisch gebrochener „Hach, wie schön“-Kitsch, sondern ein intimer Moment zwischen zwei Menschen, die sich wirklich aufeinander einlassen.
Der Annäherung im Auto folgt eine wunderschöne keusche Liebesszene in einem Nationalpark, die das geneigte Publikum zum Dahinschmelzen bringen wird. Sie funktioniert auch deshalb so gut, weil Regisseur Peter Chelsom („Weil es dich gibt“) als alter Hase im Gefühlskino weiß, dass es auf die richtige Dosierung ankommt – und so lässt er die nicht mehr ganz teenagerhaft wirkende Britt Robertson („A World Beyond“) zwischendurch burschikos das Heft des Handelns an sich reißen, was unter anderem zu einer turbulenten Verfolgungsjagd mit einem Kleinflugzeug führt. Dabei kommen auch die visuellen Reize der mit Extraglanz fotografierten Landschaft des amerikanischen Südwestens besonders gut zum Tragen, die zudem in wirkungsvollem Kontrast zum kühlen Blaugrau von Marsstation und Hightechfirma stehen. Der einzige wirklich misslungene Aspekt des Films ist der Aufbau des Familienmelodrams um Gardners Herkunft mit seinen überkonstruierten und zugleich banalen Wendungen. Aber wenn schließlich in der schon erwähnten abgehobenen Entscheidungsszene (wieder hat es mit einem Flugzeug zu tun, so viel sei verraten) alle Handlungsfäden zusammengezurrt werden, dann finden auch Action und Romanze, Drama und Science-Fiction zueinander.
Fazit: Er kommt vom Mars und sie aus Oklahoma - „Den Sternen so nah“ ist eine gefühlvolle Teenie-Romanze der etwas anderen Art.