Als sich in Richard Linklaters College-Komödie „Everybody Wants Some!!“ herausstellt, dass einer der Studenten seine wahre Identität verschleiert hat und in Wirklichkeit schon 30 Jahre alt sein soll, können es die Jungs aus dem Baseballteam kaum glauben. Die Ziffern der unerhörten Schreckenszahl werden mit Fingern in die Luft gemalt wie etwas, das weit jenseits des eigenen Horizonts liegt. Für einen Moment liegen Verzweiflung und Scheitern in der Luft, aber mit solchen Fragen der Zukunft beschäftigen sich die Protagonisten des Films nicht, selbst der anstehende Beginn des Semesters ist ihnen kaum einen Gedanken wert – zu sehr sind sie damit beschäftigt zu kiffen, zu flirten, zu trinken, zu tanzen, durch die Gegend zu fahren und sich in allerlei Wettkämpfen zu messen: Linklater erzählt von einem Wochenende scheinbar unendlicher Möglichkeiten, er zelebriert das ziellose Herumhängen, er taucht ein in die Sorglosigkeit der Jugend und verdichtet das Ganze zu einem unwiderstehlichen, testosterongeschwängerten 80er-Jahre-Gute-Laune-Cocktail – zugleich führt er seine filmische Erkundung des Phänomens Zeit fort, die in seinem Oscar-Kandidaten „Boyhood“ zuletzt einen vielbeachteten Höhepunkt gefunden hat.
Donnerstag, 6. August 1980. Noch drei Tage und 15 Stunden bis an der Uni irgendwo im Südosten von Texas die Lehrveranstaltungen des neuen Semesters beginnen. Der Freshman Jake (Blake Jenner) kommt gerade an und richtet sich im Haus der Baseballmannschaft ein, die er als neuer Pitcher verstärken soll. In der ausschließlich von den Sportlern des Teams bewohnten Unterkunft gelten nur zwei Vorschriften: „Kein Alkohol“ und „Keine Mädchen im Obergeschoss“. Beide Regeln werden bei diversen Partyaktivitäten schleunigst gebrochen, das letzte Wochenende vor den Vorlesungen wollen die Jungs um den redegewandten Finn (Glen Powell), den gutmütigen Doper (Ryan Guzman), den vorlauten McReynolds (Tyler Hoechlin) und Co. maximal ausnutzen – nur das erste inoffizielle Training am Sonntag darf nicht verpasst werden. Bei jeder Gelegenheit sprechen die selbstbewussten Athleten Mädchen an und während sich die anderen eine Abfuhr holen, findet die Kunststudentin Beverly (Zoey Deutch) Gefallen an Jake ...
In dem über eine Spanne von zwölf Jahren entstandenen „Boyhood“ sowie in der Gesamtschau der Trilogie „Before Sunrise“ (1995), „Before Sunset“ (2004) und „Before Midnight“ (2013) kann der Kinobesucher der Zeit gleichsam bei der Arbeit zusehen, in anderen Linklater-Werken wie „Slacker“ oder dem Animationsfilmexperiment „Waking Life“ scheint sie dagegen förmlich stillzustehen. „Everybody Wants Some!!“ gehört nun eher zur zweiten Gruppe, eine besonders enge Verwandtschaft besteht zu „Dazed and Confused“ (so der bekanntere Originaltitel von „Confusion – Sommer der Ausgeflippten“). Damals ging es um den letzten Schultag an einer Highschool im Frühsommer 1976, daran knüpft Linklater nun (fast) direkt an und schafft so etwas wie eine „Fortsetzung im Geiste“ zum 1993er Kultfilm. Erneut begibt sich der Regisseur zurück in die Jahre seiner eigenen Jugend, erneut konzentriert er sich auf eine eng begrenzte Handlungszeit und erneut zeichnet er auf fast schon beiläufige Weise das Porträt einer Gruppe von jungen Leuten an einem wichtigen (Wende-)Punkt ihres Lebens. Und er bringt ganz entspannt erneut seine Stärken zur Geltung: Hier passiert im herkömmlichen Sinne kaum etwas und doch ist „Everybody Wants Some!!“ prall gefüllt mit denkwürdigen Momenten. Diese sind es dann auch, die diesen Film der fein gezeichneten Details prägen, nicht Entwicklungen oder kunstvolle Handlungsbögen.
Aus scheinbaren Banalitäten und Nebensächlichkeiten werden hier unvergessliche Situationen: Wenn Finn sich den Mädchen mit dem koketten Hinweis vorstellt, dass sein Penis „durchschnittlich“ sei, um die Erwartungen zu dämpfen, wenn zwei der Jungs sich ein erbittertes Duell im Fingerknöchelschnipsen liefern, wenn Jake und Beverly einen formvollendeten Kennenlerneiertanz am Telefon vollführen (in einer tollen Split-Screen-Sequenz) oder wenn unter Hascheinfluss die Bewunderung für Pink Floyd in tiefschürfende Überlegungen mündet. Der Marihuana-Philosoph Willoughby (Wyatt Russell) ist übrigens nicht nur ein Geistesverwandter von Matthew McConaugheys legendärem Wooderson aus „Dazed and Confused“, sondern auch eine der schillerndsten Figuren inmitten zahlreicher faszinierender, wenn auch zuweilen recht grob skizzierter Charaktere. Die absolut natürlich wirkenden Schauspielleistungen fügen sich dabei perfekt in einen Film, in dem trotz ständigen Kräftemessens und beträchtlichen Hormonüberschusses die Ungezwungenheit im Vordergrund steht – und nebenbei ist „Everybody Wants Some!!“ (die zwei Ausrufezeichen stammen von dem gleichnamigen Van-Halen-Song) eine veritable Zeitkapsel in die frühen 80er Jahre: Von den Autos bis zur Mode, von der Gesichtsbehaarung bis zur allgegenwärtigen und verblüffend abwechslungsreichen Musik stimmt hier alles, vor allem aber wird eine spezifische Stimmung lebendig – und das bereitet zeitloses Vergnügen.
Fazit: Mit der entspannten College-Komödie „Everybody Wants Some!!“ entführt uns „Boyhood“-Regisseur Richard Linklater stilvoll in die 80er Jahre.