Wenn in den vergangenen Jahren ein Schauspieler aus der Erfolgsserie „Game of Thrones“ in einem „Tatort“ mitwirkte, war das ein gutes Omen: Im „Tatort: Brüder“ spielte Dar Salim, der in der HBO-Serie als Dothraki-Krieger Qotho zu sehen ist, den brutalen Gangsterboss Hassan Nidal – und nicht zuletzt aufgrund seiner starken Darbietung zählte die herausragende Folge aus Bremen zu den besten des Jahres 2014. Auch der Kieler „Tatort“ mit „Gegen die Wand“-Star Sibel Kekilli (spielt in der US-Serie die Prostituierte Shae) ist spätestens seit ihrem Debüt als Hauptkommissarin Sarah Brandt im Jahr 2011 eine Bank. Nun geht Kekilli in Florian Gärtners „Tatort: Borowski und die Kinder von Gaarden“ mit einem anderen „Game of Thrones“-Kollegen auf Tuchfühlung: Tom Wlaschiha, der in der 5. Staffel der Serie wieder als Jaqen H'ghar mit von der Partie ist, mimt darin einen Polizisten und Jugendfreund der Kommissarin. Ganz so überzeugend wie viele andere „Tatort“-Folgen aus der Fördestadt fällt der Film allerdings nicht aus: Gärtners prominent besetzte Kreuzung aus Sozialstudie und Krimidrama kommt erst auf der Zielgeraden auf Touren.
Im Kieler Brennpunktbezirk Gaarden wird der vorbestrafte Onno Steinhaus erschlagen aufgefunden. In der Wohnung des verwahrlost lebenden Pädophilen gingen regelmäßig Kinder ein und aus, doch von den Anwohnern und Eltern störte dies offenbar niemanden. Die Hauptkommissare Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) treffen vor Ort auf den zuständigen Polizisten Thorsten Rausch (Tom Wlaschiha), der vor der sozialen Verwahrlosung in dem Problemviertel kapituliert hat. Computerspezialistin Brandt, die Rausch noch aus ihrer Kindheit kennt, geht im Internet auf Spurensuche: Neben einem Prügelvideo, in dem Steinhaus von mehreren Jugendlichen malträtiert wird, entdeckt sie auch einen Clip, der das 60-jährige Opfer in einer verfänglichen Situation mit dem 15-jährigen Timo (Bruno Alexander) zeigt. Hat sich der Junge an seinem Peiniger gerächt? Ein enges Verhältnis zu Steinhaus pflegte auch Timos Bruder Leon (Amar Saaifan), der den Hund des Toten bei sich aufgenommen hat und vor seiner alleinerziehenden Mutter Inga (Julia Brendler) versteckt. Die anderen „Kinder von Gaarden“ hänseln ihn dafür...
Im Kieler Stadtteil Gaarden-Ost leben 60 Prozent der Kinder in einkommensarmen Familien, fast jeder Zweite erhält Leistungen für Arbeitssuchende – diese alarmierenden Zahlen sind geradezu eine Steilvorlage für eine sozialkritische Milieustudie. Die Drehbuchautoren Eva und Volker A. Zahn, die bereits zum vierten Mal eine Folge der öffentlichen-rechtlichen Erfolgsreihe konzipieren, stehen aber vor einem kleinen Problem, denn „Borowski und die Kinder von Gaarden“ sollte zur gewohnten Sendezeit am Sonntagabend auch als Krimi zum Miträtseln funktionieren. Das nötige Whodunit-Korsett engt die Geschichte spürbar ein: Den meisten Figuren im Kieler Problembezirk fehlt es an Tiefgang, während die Spannung von Beginn an auf Sparflamme köchelt. Eine gute Stunde lang nimmt das Publikum nur eine Beobachterperspektive ein: Borowski blickt als Elendstourist im Kieler Brennpunktbezirk in soziale Abgründe, lernt viele Anwohner aber nur flüchtig kennen. So bleiben die verzogenen „Kinder von Gaarden“ namenlose Halbstarke, die dem Beamten schon bei der ersten Befragung seine Grenzen aufzeigen. Immerhin werden die Jugendlichen glaubhaft skizziert und die Sprüche der provozierenden Möchtegern-Gangster wirken frech und ungekünstelt. Einzig die Bolzplatz-Szene, bei der Borowski mit einem simplen Trick plötzlich Zugang zu den Teenagern findet, wirkt unglaubwürdig.
Wenig glaubhaft ist zudem das Phänomen, dass Brandts Jugendkumpel Rausch scheinbar als einziger Polizist überhaupt für den Problembezirk Gaarden zuständig ist. Früh wird dann auch deutlich, dass die Auflösung der Täterfrage nur über den undurchsichtigen Polizisten-Kollegen, den Brandt selbst beim spontanen „Wahrheit oder Schnaps“-Duell beim Feierabend-Date nicht aus der Reserve zu locken vermag, sowie über die beiden Brüder Timo und Leon führen kann, denen als einzigen Jugendlichen etwas mehr Zeit gewidmet wird. Dass sich die Kommissare dabei lange nicht auf einen Hauptverdächtigen einigen können, ist typisch für die „Tatort“-Reihe – doch während ansonsten meist schlechte Stimmung im Präsidium die Folge ist, fällt der vorprogrammierte Konflikt zwischen Borowski („Schlafen Sie erstmal ihren Rauschi aus.“) und Brandt eher harmlos aus. Auf der Zielgeraden schaltet Regisseur Florian Gärtner („Trennung auf Italienisch“) dann aber zwei Gänge hoch und entschädigt mit einem dramatischen Showdown für die schleppende erste Filmhälfte: Die Schlusspointe ist originell und vor allem die letzten Minuten des Films sind stark und bedrückend inszeniert.
Fazit: Florian Gärtners sozialkritischer „Tatort: Borowski und die Kinder von Gaarden“ ist der bisher persönlichste Fall für die Kieler Hauptkommissarin Sarah Brandt. Echte Krimispannung kommt aber erst am Ende auf.