Den Lebensverlauf eines oder mehrerer Protagonisten über einen längeren Zeitraum in aufeinanderfolgenden Werken zu verfolgen, das faszinierte schon viele Künstler. Zu den bekanntesten Beispielen gehören die Antoine-Doinel-Filme von François Truffaut, die „Rabbit“-Romane von John Updike und jüngst die „Before“-Filmtrilogie von Richard Linklater. Auch „Wer früher stirbt ist länger tot“-Regisseur Marcus H. Rosenmüller hat 2007 mit „Beste Zeit“ eine solche Filmserie begonnen und 2008 mit „Beste Gegend“ fortgeführt, die er nun mit „Beste Chance“ zur Trilogie vollendet. Das „Coming-of-Age“-Thema ist bei den Freundinnen Kati und Jo auch mit Mitte 20 noch nicht abgeschlossen, aber aus dem Bereich des (modernen) Heimatfilms bricht Rosenmüller mit dem bislang reifsten Film der Reihe aus, denn etwa die Hälfte der Handlung dieser zwischendurch dramatischen Komödie spielt sich nicht mehr in Bayern ab, sondern in Indien.
Kati (Anna Maria Sturm) steht vor der Abschlussprüfung im Architekturstudium, als die auf dem Anrufbeantworter versammelten Hilferufe ihrer besten Freundin Jo (Rosalie Thomass) sie bewegen, kurzentschlossen nach Indien aufzubrechen, um der sonst so robusten Weltenbummlerin in Schwierigkeiten beizustehen. Sie versucht, die unterschiedlich kurz vor der Heirat stehenden Jugendfreunde Rocky (Ferdinand Schmidt-Modrow) und Toni (Volker Bruch) zur Mitreise zu überreden, landet dann aber allein in Delhi. Nach einer erschreckenden Nachricht werden etwas später allerdings noch die beiden Väter der Freundinnen, Hubert (Andreas Giebel) und Walter (Heinz-Josef Braun), hinterhergeschickt, um bei der Wiedervereinigung und Rettung zu helfen.
Regisseur Marcus H. Rosenmüller, der auf den Spitznamen „Rosi“ hört, schwört auf Metaphern und bringt es bei deren Einsatz hier zur Meisterschaft, ohne dass die Figurenzeichnung (Drehbuch zum dritten Mal: Karin Michalke) oder der mitunter „derbe Bauernhumor“ nebst Klamaukelementen darunter leiden müssen. Schon der erstaunlich rasante Vorspann beginnt mit einem Linienmuster (senkrecht und waagerecht), in dem der Filmtitel und acht Darstellernamen erscheinen, ehe sich dieses „Gitter“ als Deckenbeleuchtung eines Uni-Hörsaals entpuppt. Dieses „Käfig“-Muster wird zum wiederkehrenden Motiv (etwa bei einem Vogelbauer in der Wohnung von Katis Eltern), ehe die letzte Einstellung des Films dann das komplette Gegenteil zu solchen allegorischen Bildern des Eingesperrtseins bietet und die Geschichte damit auch visuell zu einem ebenso schlüssigen wie schönen End- und Höhepunkt findet.
Laut Rosenmüller ging es schon in den ersten beiden Filmen um ein „Paradies“, eine gutbehütete Heimat, von wo die Figuren je nach Perspektive „befreit“ oder „vertrieben“ wurden, aber in „Beste Chance“ kommt es jetzt erstmals zu einem auch räumlich radikalen Ausbruch (eine Ahnung davon gab es zuvor höchstens in dem gescheiterten Portugalausflug in „Beste Gegend“). Der Konflikt zwischen Heim- und Fernweh bestimmt die komplette Reihe, immer wieder geht es darum, ob es „dahoam“ am besten ist oder ob man lieber „Pfiat eich“ sagen und die Nabelschnur zum Elternhaus endgültig durchschneiden sollte, um sein Glück anderswo zu suchen.
Die ewigen Gegensätze zwischen dem Gewohnten und dem Neuen, zwischen Sicherheit und Freiheit, zwischen Pflicht und Abenteuer wird hier auch anhand der vor der Eheschließung stehenden Jugendfreunde Rocky und Toni zum Thema: Die beiden erstarren geradezu, wenn sie von ihren Freundinnen gebeten werden, für das gemeinsame Heim eine Wandfarbe oder einen Kissenbezug auszusuchen. Die Angst vor Entscheidungen prägt den Film und sie steht letztlich für die Furcht vor der „Käfighaltung“ eines vorbestimmten (Ehe-)Lebens. Ähnlich ergeht es auch Kati, die ohne große Vorbereitung nach Indien aufbricht, statt sich um ihre Prüfung zu kümmern (und sich in ihren Lebensweg zu fügen) und die hier erneut die wichtigste Identifikationsfigur für das Publikum ist.
Mit viel Feingefühl und Humor zeichnet Rosenmüller auch die Verlockungen und die Gefahren halbgarer Entscheidungen und fauler Kompromisse. So ist Kati zu Beginn kurz davor, sich zum „Gefälligkeits-Sex“ mit dem hilfreichen, aber reichlich unerotischen Kommilitonen Helmut (Frederic Linkemann) hinreißen zu lassen, als der Gedanke an den unabgehörten Anrufbeantworter sie gleichsam davor „rettet“ und ein weiteres großes Thema des Films ins Spiel kommt: die Schwierigkeiten der beiden Freundinnen, eine Verbindung zueinander herzustellen. Ob der Austausch nun einseitig verläuft oder gar nicht erst zustande kommt, diese Szenen werden insbesondere durch die sinnfällige Montage (Cutter Georg Söring war in den ersten beiden „Beste…“-Filmen noch nicht dabei, gehört aber mittlerweile zum festen Team um „Rosi“) zu großartigen Miniaturen kommunikativer Fehlleistungen.
Für die Dreharbeiten in Indien standen nur zwei Wochen und ein eingeschränktes Budget zur Verfügung und so wurden teilweise komplexe Szenen während des „Umzugs“ von einem Drehort zum nächsten umgesetzt, außerdem waren viele Teammitglieder (auch die Hauptdarstellerin) zwischenzeitig gesundheitlich angeschlagen, haben sich aber durchgebissen. Dem fertigen Film sieht man diese schwierigen Bedingungen fast nie an, weil Rosenmüller und seine Mitstreiter immer wieder originelle Lösungen für diverse erzählerische Problemstellungen gefunden haben: Da gibt es etwa einen kolossalen „Blickwechsel“ zwischen Kati und Jo, der sie über die halbe Welt verbindet oder ein Telefonat, bei dem man den Dialog einfach ausblendet und über Großaufnahmen von Augen und Mündern viel mehr ausdrückt als über bloßen Text. Sehr clever ist auch wie der Sermon einer Standesbeamtin in einer sehr schönen Szene über die Montage mit der Wiedervereinigung von Kati und Jos Eltern am Flughafen verbunden wird: Die Institution Ehe kann also trotz aller Zweifel und Rückschläge auch funktionieren. Passt scho!
Der asiatische Spielort leidet zwar darunter, dass man dort (so suggeriert es der Film) vor allem betrogen, ausgeraubt, geschlagen und geschwängert wird, doch Rosenmüller (der schon bei seinem Abschlussfilm „Hotel Deepa“ und bei „Sommer in Orange“ in Indien drehte) und seine Autorin umschiffen auch manches Klischee und missbrauchen das Land nicht (nur) als exotische Kulisse. Insbesondere eine eher kleine Episode mit einem einheimischen Mädchen entwickelt sich zum emotionalen Dreh- und Angelpunkt des Films und letztlich gibt der Kontrast zwischen Bayern und Indien den Themen des Films eine ganz besondere Prägnanz. Da fällt es dann auch nicht allzu stark ins Gewicht, dass die banal-überdeutlichen englischsprachigen Songs von Gerd Baumann (war auch schon Komponist bei den ersten beiden Filmen, dort aber weitaus subtiler und überzeugender) sich als ein klarer Schwachpunkt von „Beste Chance“ erweisen.
Fazit: Die Komödie über den kulturellen Spagat zwischen den Gegensätzen Bayern und Indien ist immer unterhaltsam und stimmt zwischenzeitig auch nachdenklich. Und das Beste dabei: Auch ohne Kenntnis der Vorgängerfilme kann man diese „Chance“ genießen.