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    Union fürs Leben
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Union fürs Leben
    Von Lars-Christian Daniels

    Die Zahl der Traditionsclubs im deutschen Profifußball sinkt: Retortenvereine wie der VfL Wolfsburg oder die TSG Hoffenheim verdrängen Urgesteine wie den 1. FC Köln oder den 1. FC Kaiserslautern aus der Bundesliga, im Unterhaus profitieren Dorfvereine wie der SV Sandhausen oder der VfR Aalen von der Misswirtschaft der namhaften Konkurrenz, und in der 3. Liga – dem derzeitigen Auffangbecken für Ex-Größen wie Hansa Rostock oder den MSV Duisburg – steht der Brauseverein RB Leipzig mit einem Budget wie von einem anderen Stern vor dem Durchmarsch. Ehemalige Publikumsmagneten wie Alemannia Aachen oder Rot-Weiß Essen sind von der großen Fußballbühne verschwunden, und selbst der Kult-Club FC St. Pauli kann sich dem Kommerz mit Retter-T-Shirts und VIP-Logen nicht verschließen, weil der wirtschaftliche Kollaps droht. Neben den Hamburgern gibt es aber noch einen weiteren Kult-Verein, der sich seit Jahren in Liga 2 behauptet, sogar britische Fußballfans auf der Suche nach Tradition in sein Stadion lockt und sich (noch) nicht dem Kommerz unterwirft: Union Berlin. Die Anhänger der „Eisernen“ zählen zu den engagiertesten der Republik und sorgten in Zeiten wirtschaftlicher Not mit Projekten wie dem selbst in die Hand genommenen Stadionbau für Aufsehen. Den Union-Fans ist der diesjährige Eröffnungsfilm des „Internationalen Fußballfilmfestivals – 11mm“ gewidmet: Frank Marten Pfeiffer und Rouven Rech liefern in ihrer Dokumentation „Union fürs Leben“ interessante Einblicke in das Seelenleben von vier eingefleischten Anhängern der „Eisernen“, beleuchten den Verein von außen aber ein wenig zu einseitig.

    Ick bin Berliner. Ost-Berliner!“ – Theaterschauspieler Chris Lopatta, der Berliner CDU-Politiker Mario Czaja, der junge Hartz IV-Empfänger Alexander Grambow und sein Sozialarbeiter Stefan Schützler haben zwei Dinge gemeinsam: Sie sind in Ost-Berlin groß geworden und eingefleischte Fans von Union Berlin. Während der Politiker die Spiele von der teuren Sitzplatztribüne aus verfolgt, kann sich der arbeitslose Alexander kaum eine Stehplatzkarte leisten. Die Dauerkartenbesitzer Chris und Stefan hingegen stehen seit Jahrzehnten im Stadion und richten sogar Beruf und Freizeit auf den Spielplan aus. Sie alle fiebern der heißesten Partie der Saison 2012/2013 entgegen: dem Heimspiel gegen den Erzrivalen Hertha BSC, der die direkten Wiederaufstiegsambitionen in die Bundesliga mit einem Auswärtssieg an der Alten Försterei, dem Stadion der „Eisernen“, untermauern möchte. Im mit Spannung erwarteten Ost-West-Derby kommt auch das Eigengewächs Christopher Quiring zum Einsatz: Dieser schnürt seit zehn Jahren die Fußballschuhe für seinen Heimatverein Union und hat sogar seine Ausbildung für eine Profikarriere abgebrochen...

    Bei Dokumentationen über Sportvereine oder deren Fans stellt sich eine Frage immer zuerst: Lohnt sich der Film auch für Zuschauer, die keine Sympathien für den porträtierten Verein hegen, sondern der Konkurrenz – in diesem Fall womöglich der Berliner Hertha oder einem rivalisierenden Ost-Club – die Daumen drücken? Die Antwort ist ein klares Unentschieden: Jein! Noch stärker als in ihrer Fußballdokumentation „Hoffenheim – Das Leben ist kein Heimspiel“ porträtieren Marten Pfeiffer und Rouven Rech in „Union fürs Leben“ in erster Linie nicht den Club und dessen Strukturen, sondern die Menschen, die Woche für Woche ins Stadion ziehen, die Vereinshymne gröhlen und auf der Tribüne mitfiebern. Das zeigt sich schon daran, dass außer Nachwuchskicker Quiring kein einziger Berliner Spieler, Trainer, Manager oder Vereinsoffizieller zu Wort kommt und sich die bewegten Bilder von Ligaspielen der „Eisernen“ auf wenige Sekunden beschränken. Stattdessen kommen in den regelmäßig eingestreuten Interviews die vier Union-Fans zu Wort, die trotz ihres verschiedenen sozialen Hintergrunds die gleiche bedingungslose Vereinsliebe leben und die Leidenschaft für Union bereits in die Wiege gelegt bekamen.

    Pfeiffer und Rech klammern ihre stimmungsvolle Dokumentation in das generationsübergreifende, besinnliche Adventssingen an der „Alten Försterei“, hinterlegen den Film mit flotter Stadionmusik und arbeiten die Faszination, die die in der DDR aufgewachsenen Fans zu Brüdern im Geiste macht, gekonnt heraus. Doch auch Zuschauer, deren Herz für einen anderen Verein schlägt, dürften sich in der einen oder anderen Szene wiederfinden und die Gefühle und Motivation der Vier, dem Club unabhängig von Erfolg oder Misserfolg die Treue zu schwören, nachempfinden können. Durch das Einflechten von historischem Archivmaterial zeichnen die Filmemacher in wohl dosierter Knappheit auch den Weg des „rebellischen“ Vereins und seiner systemkritischen Anhänger zu Zeiten des DDR-Staats nach – so bekommt jeder, der sich erst seit der Wende mit den ostdeutschen Fußballclubs auseinander gesetzt hat, eine Ahnung davon, wie Union und seine Fans zum vielbeachteten Mythos wurden. Dass die Ost-West-Problematik selbst im Jahr 2013 noch nicht aus den Köpfen verschwunden ist, bringt die ur-eiserne Nachwuchshoffnung Quiring nach der bitteren Heimniederlage gegen die Hertha in einem skandalträchtigen TV-Interview („Wenn die Wessis in unserem Stadion jubeln, krieg ich das Kotzen!“) unüberlegt auf den Punkt.

    Hier fassen Pfeiffer und Rech mit kritischen Fragen nach, lassen den Biss ansonsten aber gelegentlich vermissen: Welche Kompromisse ein traditionell verwurzelter Zweitligaverein wie Union Berlin, der auch bei Auswärtsspielen am anderen Ende des Landes von tausenden Anhängern unterstützt wird, eingehen muss, um sich ohne finanzkräftigen Mäzen zu behaupten und von wirtschaftlich gebeutelten Ost-Clubs wie Dynamo Dresden oder dem Chemnitzer FC abzuheben, bleibt außen vor. Schließlich kann man sich nicht für alle Zeiten auf seine treuen Fans verlassen, die das Stadion einfach ohne Entlohnung in Eigenregie ausbauten, als dem Verein die Mittel fehlten. So wirkt „Union fürs Leben“ gelegentlich wie eine harmlose Liebeserklärung. Die inhaltliche Zuspitzung auf den arbeitslosen Alexander und seinen Sozialarbeiter Stefan, die im Vergleich zu den anderen Fans am ausführlichsten porträtiert werden, birgt einen Pferdefuß: Spätestens, wenn Alexander angesichts der Beerdigung seines Vaters zum wiederholten Male in Tränen ausbricht, gerät der Fußball aus dem Blickfeld und der Zuschauer kommt sich vor wie in der RTL-Doku-Soap „Mitten im Leben“. Was dagegen Quirings Eltern dazu sagen, dass ihr talentierter Sohn nach zwei Jahren seine Ausbildung abgebrochen hat, um alles auf die Karte Profifußball zu setzen, oder wie sich das bedingungslose Ausrichten der Freizeitaktivitäten auf die nächsten Heimspiele eigentlich auf eine Beziehung oder Ehe auswirkt, erfährt man nicht.

    Fazit: Marten Pfeiffers und Rouven Rechs Dokumentation „Union fürs Leben“ ist eine authentische und stimmungsvolle Liebeserklärung an den derzeitig erfolgreichsten ostdeutschen Fußballclub, fällt aber ein wenig zu einseitig aus.

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