Mein Konto
    Harms
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Harms
    Von Thomas Vorwerk

    Die Figur des „Professional“ wurde im Genrefilm von Regisseuren wie Howard Hawks („Rio Bravo“) oder Jean-Pierre Melville („Der eiskalte Engel“) fest verankert. Unabhängig davon, auf welcher Seite des Gesetzes er steht, zeichnet sich ein solcher nach außen oft gefühlskalt wirkender „Profi“ dadurch aus, dass er sich von Frauen oder persönlichen Schwächen nicht ablenken lässt und auch innerhalb seines „Teams“ (seien es Flieger, Söldner oder Großwildjäger) kein unprofessionelles Verhalten duldet. Gleichzeitig richtet er sein Handeln nach einem strengen Ehrenkodex aus und trägt das „Herz am rechten Fleck“. In Nikolai Müllerschöns deutschem Gangsterfilm „Harms“ organisiert die Titelfigur nun einen Bankraub und man erkennt zumindest die Absicht des Regisseurs und Autors, mit seinem Protagonisten an die berühmten Profi-Vorbilder aus der Filmgeschichte von Bogart bis Belmondo anzuknüpfen.

    Selbst am letzten Tag seiner 16-jährigen Gefängnisstrafe setzt sich Harms (Heiner Lauterbach) noch für die Gerechtigkeit ein und rächt sich brutal an jenen Häftlingen, die seinen jungen Zellengenossen Luik (Benedikt Blaskovic) zusammengeschlagen haben. Wieder in der Freiheit sucht er die Nähe alter Freunde, bis Knauer (Friedrich von Thun), ehemaliger Vorstand der Bundesbank, ihn mit Insider-Informationen zu einem großen Coup anregt, für den Harms alte Weggefährten wie Menges (Axel Prahl) und Timm (Martin Brambach) mobilisiert. Luik, inzwischen auch wieder auf freiem Fuß, wird der designierte Computerhacker und der undurchsichtige Wettke (André Hennicke) unterstützt den Raub als vorgeblicher Angestellter einer Security-Firma in der Bank. Doch auch die auffallend freigiebige Prostituierte Yasmin (Valentina Sauca) und andere Personen aus dem Umfeld von Harms sind offenbar in die Angelegenheit verwickelt.

    Regisseur Nicolai Müllerschön und Hauptdarsteller Heiner Lauterbach, die den Film gemeinsam produzierten, sind laut eigener Auskunft besonders stolz auf die Kompromisslosigkeit ihrer Geschichte und die Eigenständigkeit des Projekts. Sie stützten sich nicht etwa auf das komplizierte deutsche Filmförderungssystem, sondern ausschließlich auf gute Freundschaften und Fairness, was sich auch im Namen der neuen Produktionsfirma widerspiegelt: Handschlagfilm. Eine solche souveräne Solidarität unter Gleichgesinnten hätte auch Harms und seinem Team im Film gut zu Gesicht gestanden, aber dafür ist der Protagonist dann doch nicht Profi genug. Er unterzieht seine Teammitglieder zwar so manchem sinnvollen Test (Wettke spricht beispielsweise ungern über seine Arbeitserfahrungen, offenbart aber überdurchschnittliches Reaktionsvermögen), versagt aber immer wieder dabei, Motivationen und Zusammenhänge zu erkennen oder sich auch nur auf sein „Bauchgefühl“ zu verlassen.

    So ist es für den aufmerksamen Betrachter bald keine Frage mehr, dass Harms nur ein Möchtegernprofi ist, der selbst die unübersehbare Geldgier und Unsicherheit seiner beiden wichtigsten Freunde so lange ignoriert, bis die Gewalt zunehmend eskaliert. Harms verkennt menschliche Probleme ebenso wie die Risikofaktoren seines Unternehmens und die potentiellen Verräter und stolpert somit letztlicht recht kurzsichtig durch das Geschehen. Sein unterkühltes Machogehabe und die Aufmachung wie aus den 1970ern (irgendwo zwischen „Rocky“ und Scorseses „Hexenkessel“) verschaffen ihm dann auch nur den äußeren Schein eines coolen Könners: Man erkennt zwar noch die Ambitionen und Vorbilder von Lauterbach und Müllerschön (bekannteste Regiearbeit: „Der rote Baron“), doch wenn man das Mögliche mit dem Erreichten vergleicht, wird das Scheitern dieses Projekt umso schmerzhafter.

    Dabei gibt es auch im heutigen deutschen Kino Raum für traditionsbewusste Genrefilme und klassische Heldenfiguren, das zeigte etwa Thomas Arslan mit „Im Schatten“. Von dessen wortkarger Professionalität und sorgfältigen Dramaturgie ist „Harms“ jedoch weit entfernt – die größten Probleme liegen hier im Drehbuch. Bis zum Schluss soll es Wendungen und Überraschungen geben, doch die Nebenfiguren sind allesamt durchschaubar, während Harms selbst meist nur reagiert statt zu agieren. Wenn man dabei zumindest das Gefühl bekäme, die Figur würde wie die Detektive von Hammett und Chandler nur versuchen, die Gegner gegeneinander auszuspielen, ohne dabei selbst zu viele Schrammen und Schusswunden abzubekommen, wäre das vermutlich sogar interessant. Aber von einer solchen Form der Kontrolle ist bei Harms nie etwas zu spüren. Der zunehmende Zerfall des „Teams“, das nie eines war, steht hier vielmehr ganz im Dienst eines übertriebenen Leichenanhäufens, das Ausmaße annimmt wie in einer Shakespeare-Tragödie – aber ohne die Emotionen.

    So wird einerseits also jede Gelegenheit genutzt, möglichst viele Personen unnötig über den Haufen zu schießen (offenbar hat man eine in deutschen Filmen ungewöhnliche „Härte“ angestrebt, was auch in einigen Splattereffekten und im Soundtrack spürbar ist), andererseits geht es um heruntergekommene Imbissbuden, um einen Hackbratenkoch, den nur Harms zu schätzen weiß, und um Senioren, die „Risiko“ spielen – was man schon als Versuch einer realistischen Milieuschilderung auffassen darf. Das passt kaum zusammen, außerdem sind auch noch viele Einzelheiten unglaublich inkonsequent arrangiert. So sieht man Harms etwa dabei, wie er ein Spray benutzt, um seine Fingerabdrücke unkenntlich zu machen, aber seine auffällige Tätowierung auf dem Handrücken hätte ein simpler Handschuh weitaus einfacher kaschiert. So verkommt die vermeintliche Ode auf den Professionalismus zu einem reichlich unausgegorenen Mischmasch, bei dem zudem der vermutlich als „realistisch“ angelegte Umgangston (homophob und ausländerfeindlich) sowie das besorgniserregende Frauenbild aufstoßen. Alle weiblichen Figuren des Films (eine gute Handvoll) kann man problemlos in zwei Gruppen aufteilen: Entweder sie sind unter 10 oder Prostituierte.

    Fazit: Ein harter Rotlicht-Thriller mit vielen dramaturgischen Problemen, der nie an seine offenkundigen Vorbilder aus der Filmgeschichte heranreicht.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top