Im dritten von Asia Argento inszenierten Spielfilm, der auf dem Filmfest Hamburg seine Deutschlandpremiere feierte, ist der Titel Programm. Die Tochter des legendären Horror-Regisseurs Dario Argento („Suspiria“) stand schon mit neun Jahren vor der Kamera und ist seitdem als Schauspielerin, Sängerin und Regisseurin aktiv. In dem unzweifelhaft autobiografischen „Missverstanden“ erzählt sie nun vom Schicksal eines neunjährigen Mädchens namens Aria, das im Rom der 1980er Jahre zwischen berühmten Eltern aufwächst - und vor allem missverstanden wird. So weinerlich sich das auf dem Papier auch lesen mag, so mitreißend ist es inszeniert: In lose verknüpften Szenen beschreibt Argento die Nöte eines jungen Mädchens sowie seine Suche nach Nähe und Zuwendung, ohne dabei in Gefühlskitsch abzudriften oder ihrer Protagonistin ein aufgesetzt kathartisches Ende zu schenken.
Rom, 1984. Aria (Giulia Salerno) ist neun und lebt mit ihren Vater (Gabriel Garko), einem Schauspieler, und ihrer Mutter (Charlotte Gainsbourg), einer Sängerin, und den zwei älteren Schwestern Donatina (Anna Lou Castoldi) und Lucrezia (Carolina Poccioni) in einem mondänen Appartement. Doch die Ehe der Eltern steht vor dem Aus, bald verlässt die Mutter die Wohnung; die Familie, die ohnehin keine Einheit mehr war, löst sich auf. Fortan pendelt Aria zwischen Vater und Mutter hin und her, ist weder hier noch da wirklich willkommen und findet auch in der Schule nur schwer Freunde. Als Tochter berühmter Eltern wird sie von ihren Mitschülern schief angesehen, ihre wunderlichen Einfälle lösen Befremden aus, ihr Leben ist eine einzige und nur selten erfolgreiche Suche nach Zuwendung.
Nach dem Thriller „Scarlet Diva“ (zu dem ihr Vater das Drehbuch schrieb) und der Literaturverfilmung „The Heart Is Deceitful Above All Things“ macht Asia Argento in ihrem dritten Film das, was viele Regisseure bereits in ihrem Debütwerk tun: autobiografisch werden. Dass sie erst mit Ende 30 einen Film dreht, der zwar verklausuliert, aber doch eindeutig ihr eigenes Heranwachsen im Rom der 80er Jahre zum Thema hat, mag insofern überraschen, war aber eine kluge Entscheidung. Viel Zeit ist seitdem vergangen, viel Erfahrung hat Argento gesammelt, sowohl emotional, als auch künstlerisch – und das kommt dem Film zugute. „Missverstanden“ ist keine Nabelschau geworden, kein (selbst-)therapeutisches Aufarbeiten einer traumatischen Kindheit und schon gar kein Waschen schmutziger Wäsche, sondern ein mitreißender, berührender Film über das Aufwachsen sowie ein sehr persönliches Werk über das schwierige Verhältnis der Protagonistin zu Eltern und Gleichaltrigen.
Von Beginn an kreiert Argento eine magische Atmosphäre, die trotz des im Grunde realistischen Settings durch den Einsatz greller Farben und die fast schon impressionistische Erzählweise aber immer wieder leicht ins Surreale abdriftet. Gerade die von Charlotte Gainsbourg („Nymphomaniac“) und dem als tief gebräuntem, eitlem Schönling ideal besetzten Gabriel Garko („Die Ahnungslosen“) gespielten Eltern sind als flamboyante Figuren inszeniert, die ein mondänes Leben führen. Ihre Tochter wiederum droht sich bei aller Faszination darin zu verlieren. In einer streunenden schwarzen Katze findet die junge Aria immerhin eine ebenso einsiedlerische Verbündete, die sie auf dem ständigen Hin und Her zwischen den Wohnungen begleitet. Voller Verve inszeniert Argento dieses Suchen nach Zuwendung, ohne in Weinerlichkeit oder Selbstmitleid abzudriften. Aria (übrigens der zweite Vorname der Regisseurin) ist auch mit neun Jahren schon eine selbstbewusste Persönlichkeit, die nach einem Platz im Leben sucht. Dass sie ihn auch am Ende (noch) nicht gefunden hat, dass die Filmemacherin auf eine klare (Er-)Lösung verzichtet, dass die Konflikte sich nicht in Wohlgefallen auflösen, das alles macht Argentos Werk so wahrhaftig.
Fazit: In ihrem lose autobiografischen Drama „Missverstanden“ beschreibt Asia Argento einfühlsam und unsentimental das Schicksal eines neunjährigen Mädchens, das im Rom der 80er Jahre nach Zuwendung sucht.