Susanne Bier hatte ihren Status als feste Größe des europäischen Autorenkinos dank Arthouse-Hits wie „Für immer und ewig“, „Brothers – Zwischen Brüdern“ oder „Nach der Hochzeit“ auch schon vor dem Auslands-Oscar für ihre Gewalt-Studie „In einer besseren Welt“ sicher. Dabei drehen sich die Filme der dänischen Regisseurin meist um Figuren in emotionalen Ausnahmezuständen, denen die Kontrolle über ihr Leben zunehmend entgleitet. Das ist nun auch in dem bereits vor ihrem neuesten Film „Serena“ mit Jennifer Lawrence fertiggestellten, aber jetzt erst in unseren Kinos startenden Drama „Zweite Chance“ nicht anders: Der Polizist Andreas (Nikolaj Coster-Waldau) und seine Frau Anne (Marie Bonnevie) führen eine Musterehe und haben mit dem kleinen Alexander zudem kürzlich Nachwuchs bekommen. Als Andreas und sein Partner Simon (Ulrich Thomsen) zu einem Einsatz bei dem brutalen Dealer Tristan (Nikolaj Lie Kaas) und seiner Freundin Sanne (May Andersen) gerufen werden, entdecken sie auf dem Badezimmerboden ein völlig verwahrlostes Baby. Der Sozialdienst kann jedoch nicht einschreiten, weil das Kind nicht unterernährt ist. Zähneknirschend überlassen die Polizisten das Baby also seinem Schicksal. Kurz darauf stirbt Alexander an plötzlichem Kindstod und Andreas trifft eine drastische Entscheidung: Heimlich vertauscht er die Leiche seines eigenen Sohnes mit dem Baby des Junkie-Pärchens…
Von da an muss Andreas die Konsequenzen seiner unerhörten Tat tragen. Pikanterweise ermitteln er und Simon auch noch in dem Fall des toten Babys, dessen Verschwinden Tristan mit einer angeblichen Entführung erklärt. Auf dieser Basis entwickelt Susanne Bier eine mit klaren Strichen komponierte Tragödie, die voller Suspense im klassischen Sinn steckt: Der Zuschauer weiß mehr als die Figuren und avanciert so zum Komplizen des Protagonisten. Bei der Milieuzeichnung setzt die Regisseurin auf deutliche Kontraste: Die versiffte Junkie-Bude könnte vom warmen Familienidyll von Andreas und Anne kaum weiter entfernt sein. Entsprechend plakativ fällt auch die Zeichnung der Figuren aus – wobei zumindest der Aufstieg der „Heiligen Hure“ Sanne zur heimlichen Sympathieträgerin ein wenig überrascht (während die Mustermutter Anne zur hysterischen Furie mutiert). Am Ende ist es vor allem das starke Ensemble (allen voran „Das Fest“-Star Ulrich Thomsen in einer grandios-markanten Nebenrolle), das diese Überdeutlichkeiten mit seinem starken Spiel ausgleicht. Und im Finale beschleunigt dann ein weiterer Twist die Gefühlsachterbahn zusätzlich, bevor letztendlich (fast) alle Beteiligten doch noch die titelgebende zweite Chance erhalten.
Fazit: „Zweite Chance“ ist trotz seiner Milieu-Klischees und Überdeutlichkeiten ein intensives, ganz auf seine Figuren fokussiertes und nachdenklich stimmendes Drama.