Als ich im Oktober 2012 am Set von „Wolverine: Weg des Kriegers“ zu Gast war, haben uns Hauptdarsteller Hugh Jackman und Regisseur James Mangold den „ultimativen Wolverine-Film“ versprochen. Aber als wir dann wegen einer möglichen Vorgabe vom Filmstudio 20th Century Fox bezüglich der angestrebten Altersfreigabe nachfragten, bekamen wir als Antwort doch wieder nur das übliche Rumgedruckse. Herausgekommen ist ein Hollywood-Blockbuster, dem man all die erzwungenen Kompromisse anmerkt und der von diesen letztendlich in die Knie gezwungen wird. Trotzdem lautete unser Fazit zu „Wolverine: Weg des Kriegers“ damals: „Wir geben die Hoffnung auf den ultimativen Wolverine-Film nicht auf…“ Und was sollen wir sagen: Mangold und Jackman haben ihr Versprechen doch noch eingelöst, denn für uns ist „Logan – The Wolverine“ nun tatsächlich sowas wie der „ultimative Wolverine-Film“ geworden. Das heißt zugleich aber auch: Eine ganze Menge Fans der „X-Men“-Filme und des gefeierten ersten Trailers werden im Kino ihr blaues Wunder erleben, wenn da auf der Leinwand plötzlich ein reduzierter, grimmiger, superbrutaler, vergleichsweise action- und humorarmer Anti-Western läuft.
Im Jahr 2029 liegt es schon ein Vierteljahrhundert zurück, dass zum letzten Mal ein Mutant geboren wurde. Der sichtlich gealterte, bei weitem nicht mehr so schnell selbstheilende und inzwischen sogar auf eine Lesebrille angewiesene Logan alias Wolverine (Hugh Jackman) ist einer der wenigen verbliebenen Mutanten. Gemeinsam mit dem Albino-Mutantenaufspürer Caliban (Stephen Merchant) und dem an folgenschweren neuralen Aussetzern leidenden Charles Xavier (Patrick Stewart) haust Logan auf einer Farm nahe der mexikanischen Grenze und verdient sein Geld als Chauffeur einer Limousine. Eigentlich geht es nur noch darum, die verbleibende Zeit irgendwie über die Bühne zu kriegen – aber dann taucht plötzlich die junge Mutantin Laura (Dafne Keen) auf, deren Fähigkeiten denen von Wolverine erstaunlich ähneln. Logan soll das kleine Mädchen zu Freunden nach North Dakota in Sicherheit bringen - aber der mit einem Cyborg-Arm ausgestattete Donald Pierce (Boyd Holbrook) und seine Reavers sind ihnen dicht auf den Fersen…
Dass ein Film wie „Logan“ überhaupt möglich ist, verdanken wir zu einem großen Teil dem Erfolg von „Deadpool“, der trotz - oder gerade wegen? - seines R-Ratings (das US-Pendant zu „ab 18 Jahren“) weltweit mehr als 780 Millionen Dollar eingespielt hat (und das bei einem vergleichsweise mageren Budget von nur 58 Millionen). Plötzlich erschien es den Verantwortlichen bei 20th Century Fox als eine gute Idee, einen so engagierten Star wie Hugh Jackman einfach mal machen zu lassen – mit Ryan Reynolds hat das schließlich auch hervorragend funktioniert. Nachdem wir „Logan“ nun gesehen haben, können wir dazu nur sagen: Jackman und sein Regisseur-Komplize James Mangold („Cop Land“) haben ihre neugewonnene Freiheit bis an die absolute Schmerzgrenze ausgereizt – was übrigens dazu führte, dass den gerade noch so mutigen Studio-Entscheidern inzwischen der Arsch schon wieder auf Grundeis geht…
… und diese Befürchtungen sind auch durchaus nachvollziehbar – was allerdings weniger an der Qualität des Films, als vielmehr an seiner rücksichtslosen Konsequenz liegt: „Logan“ fühlt sich an wie ein Mix aus „Midnight Special“, „Terminator“ und einem abgründigen Anti-Western. Ein (zumindest für einen Comic-Blockbuster) ungewohnt gemächlich erzähltes Roadmovie trifft auf todessehnsüchtige Anti-Helden und megabrutale, knapp gehaltene Actionszenen. Es ist definitiv kein Zufall, dass sich Charles Xavier in seinem Hotelzimmer Szenen aus dem Western-Klassiker „Mein großer Freund Shane“ ansieht, dafür gibt es viel zu viele Parallelen zwischen den beiden Filmen.
Los geht es mit der neuen Konsequenz gleich in der ersten Szene: Der in seiner Limousine seinen Rausch ausschlafende Logan will eigentlich nur seine Ruhe haben, bekommt es aber doch mit einer mexikanischen Gang zu tun, die ihn direkt mit einer Schrotflinte niederstreckt (was aber natürlich nur von kurzer Dauer ist). Schon während dieses knappen Auftakts werden dem Zuschauer mehrere Dinge klar: Zum einen ist Wolverine nicht mehr der unbesiegbare, in Sekundenbruchteilen selbstheilende Superheld, wie wir ihn aus den ersten „X-Men“-Filmen kennen. Sein ganzer Körper ist vernarbt und die Heilung dauert bedeutend länger. Zum anderen achtet er beim Einsatz seiner Klauen nicht mehr auf mögliche jugendliche Zuschauer – ist früher kaum mal ein Tropfen Blut geflossen, wenn Wolverine seinen Adamantiumstahl in seine Widersacher gerammt hat, spritzt der rote Saft jetzt nicht nur in Strömen, es werden auch regelmäßig Gliedmaßen abgetrennt, Körper aufgerissen, Köpfe durchbohrt: Stellenweise lässt sich „Logan“ ohne Übertreibung mit einem 80er-Jahre-Splatterfilm vergleichen.
Ein großes Fragezeichen stand im Vorfeld hinter der kindlichen Mutantin Laura, die Logan auf dem Poster zum Film so süß die Hand reicht. Aber „Logan“ ist kein zweiter „Iron Man 3“, in dem Tony Stark ein kleiner Junge als (durchaus gelungener) sentimentaler Sidekick zur Seite gestellt wird. Die väterlichen Gefühle sind hier auf ein Minimum reduziert (wobei die wenigen offen emotionalen Szenen zum Ende hin ehrlich gesagt auch nicht so richtig gut funktionieren), aber Laura tritt andererseits auch nicht in die Fußstapfen von Hit-Girl: Zwar hat auch Chloë Grace Moretz als vermeintlich harmloses kleines Mädchen in den beiden „Kick-Ass“-Filmen ihre Widersacher reihenweise auf superbrutale Weise eliminiert, allerdings stets mit einem gewissen Augenzwinkern. Lauras Metzelarien haben hingegen nicht den geringsten Funken Humor an sich – vielmehr agiert sie, zumal sie in den ersten zwei Dritteln des Films nicht spricht, tatsächlich wie ein in die Enge getriebenes Tier – und das ist natürlich noch mal eine ganz andere Hausnummer als bei Logans Szenen. Will ein Mainstream-Publikum wirklich sehen, wie eine Zehnjährige mit einem abgetrennten Kopf (mit gut erkennbarer Luft- und Speiseröhre) Bowling spielt? Wir sind gespannt.
Auch was das gedrosselte Erzähltempo und die auf ein Minimum reduzierte Handlung angeht, dürfen sich Fans der üblichen Marvel-Blockbuster auf eine – je nach persönlichem Geschmack – schöne oder unschöne Überraschung einstellen. Es gibt in „Logan“ lediglich eine Handvoll Actionszenen – und die erschöpfen sich meist in knackig-brutalem Nahkampf. Wenn Logan mit seiner Limousine einen in der Stoßstange feststeckenden Stacheldrahtzaun ein Stück weit mitschleift, dann ist das fast schon das höchste der Gefühle – so etwas wie die Flughafensequenz in „Civil War“ sucht man hier zumindest vergebens. Stattdessen setzt James Mangold ganz auf die grimmig-dreckige Atmosphäre seines abgefuckt-düsteren New-Hollywood-Spätwestern, der nun gleichsam mit 40 Jahren Verspätung auf das ganz große Kinopublikum losgelassen wird. Dass „Logan“ nicht einfach nur ein Hugh-Jackman-Starvehikel ist, sondern Teil einer Multimilliarden-Dollar-Comic-Kinoreihe, macht die Konsequenz der Filmemacher nur noch überraschender – und es lässt uns auch leichter darüber hinwegsehen, dass „Logan“ thematisch am Ende sicherlich nicht so tiefschürfend ist, wie er zwischendurch manchmal tut.
Fazit: Ein Anti-Western mit Adamantium-Twist – „Logan“ ist die erste Verfilmung, die dem Wolverine aus den Comics tatsächlich gerecht wird. Jetzt sind wir nur gespannt, ob all den Internetkommentatoren da draußen, die immer schon einen „richtigen Wolverine-Film“ sehen wollten, überhaupt bewusst war, wonach genau sie da eigentlich verlangt haben…
Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Logan“ als Teil des offiziellen Wettbewerbs außer Konkurrenz gezeigt wird.