Mit seinem viel beachteten Ensembledrama „Antares“ und dem für einen Oscar nominierten Thriller-Drama „Revanche“ hat sich Götz Spielmann in der Spitzengruppe der österreichischen Autorenfilmer etabliert. Diese Position zementiert er mit seinem neuen Drama „Oktober November“, das einer der meistbeachteten Filme bei den Hofer Filmtagen 2013 war. In diesem konzentriert erzählten, intensiven neuen Werk ist die Handschrift des Regisseurs klar wiederzuerkennen: Ähnlich wie „Antares“ ist auch dies ein sich mit aller Ruhe entfaltender Ensemblefilm, zugleich erkundet Spielmann wie in „Revanche“ die nur oberflächlich malerischen österreichische Provinz und ihre Landschaft.
Sonja (Nora von Waldstätten) ist mit Anfang 30 eine erfolgreiche TV-Schauspielerin in Berlin. Ihre ältere Schwester Verena (Ursula Strauss) dagegen ist im elterlichen Gasthaus in der österreichischen Provinz geblieben. Nach dem Tod der Mutter hilft Verena weiterhin dem Vater (Peter Simonischek) und sorgt außerdem für ihren Mann Michael (Johannes Zeiler) und den gemeinsamen kleinen Sohn. Doch sie fühlt sich unerfüllt und beginnt eine Affäre mit dem kultivierten Landarzt Andreas (Sebastian Koch). Nachdem der Vater einen Herzinfarkt hatte und ans Bett gefesselt bleibt, kehrt Sonja in ihre Heimat zurück, wo alte Konflikte mit ihrer Schwester aufbrechen. Zugleich zeigt der alte Patriarch eine bisher unbekannte Milde und enthüllt schließlich gar ein lebenslang gehütetes Familiengeheimnis...
Wie bereits in „Revanche“ ist auch in „Oktober November“ die Handlung auf ein ehernes Grundgerüst reduziert. Mit sicherer Hand entwirft Götz Spielmann eine Situation, die seinen Figuren und ihren Schauspielern große Freiheiten lässt. Die gesamte Inszenierung ist durch eine Beiläufigkeit gekennzeichnet, bei der man immer wieder fast vergisst, dass man gerade einen Film anschaut. Doch so ungekünstelt und authentisch das Gezeigte wirkt, ist es doch das Ergebnis größtmöglicher inszenatorischer Präzision. Jede Kameraperspektive, jede Einstellungsgröße, jeder Schnitt stehen im Dienst der Erzählung. Dabei wirkt Spielmanns Herangehensweise trotz aller durchaus schonungslosen Genauigkeit niemals kühl und klinisch (wie es seinem berühmten Landsmann Michael Haneke oft zugeschrieben wird), er begegnet seinen geplagten und fehlerhaften Figuren vielmehr mit spürbarem Wohlwollen und Sympathie.
So mag etwa Nora von Waldstättens Sonja zunächst wie eine kaltherzige Karrierefrau wirken, die nur ihren Erfolg im Kopf hat und für ihre persönlichen Interessen notfalls über Leichen geht. Doch von Anfang an schwingt hinter ihrer perfekten Fassade noch etwas anderes mit und immer mehr offenbart sich, wie einsam Sonja ist. Sie verwendet gerade deshalb so viel Zeit und Energie auf ihre äußere Erscheinung, weil sie kaum ein Gefühl ihrer eigenen Identität besitzt. Dieser Konflikt spiegelt sich in Sonjas Schwester Verena wider, die ebenfalls nicht weiß, wer sie wirklich ist. Sie opfert sich auf, um ihrem alten Vater und ihrer Familie eine Stütze zu sein, doch zugleich hat sie das unbestimmte Gefühl, dass ihr Leben ganz anders sein könnte. Da sie das jedoch niemals ausprobiert hat, weiß sie auch nicht so genau, wie ein für sie besseres Leben aussehen würde.
Unter der täuschend harmlosen Oberfläche von „Oktober November“, die zeitweise an einen Heimatfilm klassischer Prägung erinnert, widmet sich Spielmann existenziellen Fragen nach dem Wesen von Familie, von Zugehörigkeit und von der mit ihnen in Beziehung stehenden individuellen Identität, aber auch von Leben und Tod. Es geht um Grenzerfahrungen und darum, ob nach dem physischen Ende noch etwas anderes kommt und trotz aller Trauer und Traurigkeit stellt Spielmann dabei die Erkenntnis in den Mittelpunkt, dass das Leben erst angesichts seiner Endlichkeit wirklich Sinn erhält. So vermittelt er mit seinem poetischen Herbst-Film eine versöhnliche Botschaft, auch wenn sich nicht alle Konflikte in Wohlgefallen auflösen lassen. Und letztlich macht gerade das „Oktober November“ so wahrhaftig und berührend.
Fazit: Götz Spielmanns „Oktober November“ ist ein wunderschöner, ruhig erzählter und unprätentiöser Film, in dem gleichsam im Vorbeigehen einige der grundlegenden Fragen des Lebens und des Sterbens behandelt werden.