Mein Konto
    Schrei aus Stein
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Schrei aus Stein
    Von Carsten Baumgardt

    „Ich möcht‘ ihn nicht missen.“ Werner Herzog ist milde geworden, der damalige Ärger um die aus dem Ruder gelaufene Produktion längst vergessen. Das Abenteuer-Drama „Schrei aus Stein“ ist kein durch und durch missglückter Film, aber mehr als Mittelmaß eben auch nicht. Und das ist gemessen am Leistungsvermögen des Arthousestars eine herbe Enttäuschung und insgesamt sein schwächstes Werk. Dafür gibt es triftige Gründe. „Schrei aus Stein“ war eine Auftragsarbeit für seinen langjährigen Produktionsleiter Walter Saxxer, der das Drehbuch schrieb und produzierte. Der Film ist die Vision Saxxers und die Handschrift Herzogs nur an einigen exponierten Stellen zu entdecken.

    Martin Sedlmayer (Stefan Glowacz) hat sich in München zum dritten Mal den Weltmeistertitel im Freeclimbing gesichert und sprüht vor Selbstbewusstsein und Tatendrang. Die Bergsteigerlegende Roccia Innerkofler (Vittorio Mezzogiorno) ist diese neumodische Steigerei ein Dorn im Auge. Im Interview mit Sportjournalist Ivan Radanovic (Donald Sutherland) verabreden die beiden vor laufender Kamera einen Wettkampf an dem schwierigsten Berg der Welt, dem Cerro Torre in Patagonien. Der Berg ist zwar „nur“ 3.133 Meter hoch, doch rund zwei Kilometer des Granitblocks bestehen aus senkrechten, glatten Felsen. Die Expedition läuft unter der Leitung Innerkoflers, doch wegen des schlechten Wetters kann er sich nicht zum Aufstieg entschließen. Das Warten in einer kleinen, provisorischen Hütte zermürbt die Gruppe, zu der auch Reporter Radanovic und Innerkoflers Freundin Katherina (Mathilda May) gehören. Sedlmayer wird es zu bunt, er macht sich mit seinem Gefährten Hans Adler (Extrembergsteiger Hans Kammerlander) allein auf den Weg zum Gipfel. Doch der Aufstieg endet in einem Desaster. Sedlmayer behauptet zwar, dass ihm die Erstbesteigung gelungen sei, doch Adler stirbt beim Abstieg… und einen Beweis für seine Heldentat hat er auch nicht.

    Werner Herzog ist ein klassischer Autorenfilmer. Er führt Regie, schreibt das Drehbuch und produziert für gewöhnlich selbst. Kurzum: Er hat alle Entscheidungen in der eigenen Hand. Nach Cobra Verde (1987) und dem damit verbundenen Ende der Kinski-Ära war Herzog, auch nach eigenem Bekunden, ausgelaugt. Vielleicht mit ein Grund, warum er für seinen nächsten Kinofilm eine Auftragsregie annahm. Vielleicht ist dies aber auch der Freundschaft zu seinem Weggefährten Walter Saxxer geschuldet. „Schrei aus Stein“ basiert auf einer Originalidee von Extrembergsteigerlegende Reinhold Messner, den Herzog bereits 1984 in Gasherbrum - Der leuchtende Berg quasi porträtierte. Und so ist es kein Wunder, dass Messners Geist über dem Film schwebt – explizit im Ego der Hauptfigur Roccia Innerkopfer (knorrige Südtiroler Berglegende, die alle 14 Achttausender bestiegen hat!).

    Die Fehlerkette des Films beginnt schon früh. Saxxer weigerte sich strikt, Herzogs Änderungswünsche bezüglich des Drehbuchs umzusetzen. Doch gerade das Script ist der größte Schwachpunkt. Die Dreiecksgeschichte zwischen Roccia, Martin und Katharina bietet zwar viel Potenzial, welches jedoch nie ausgenutzt wird. Die Emotionen kochen auf ganz kleiner Flamme, der Funke zum Publikum will nicht überspringen. Überhaupt wirkt die erste Stunde leblos. Der Film findet nie seinen Rhythmus. Die Tragik des Beziehungsdilemmas kann sich nicht entfalten, für einen Sportfilm fehlen der Schwung und die Dynamik. Erst in Richtung Finale ist Herzogs ureigene, unverkennbare Handschrift überhaupt zu erkennen und prompt beginnt der Film zu funktionieren. Das reicht zwar nur noch zur Schadensbegrenzung, aber immerhin.

    Herzog, der in einem Cameo zu Beginn zu sehen ist, und Saxxer überwarfen sich nach den Dreharbeiten, Nachdrehs wurden anberaumt, dem Regisseur der Schnitt entzogen. In der Nachbetrachtung ist natürlich offensichtlich, dass Herzog im Recht war. Seine zwei zentralen Punkte: Er hätte sich auf die Dreiecksgeschichte fokussiert und den Rest voll und ganz auf die Physis des Bergsteigens ausgelegt, was er so nur im dritten Akt macht und damit auch punktet.

    Trotz aller Kritik bietet „Schrei aus Stein“ atemberaubende Aufnahmen. Die Sequenzen im Berg, selbstverständlich vor Ort gedreht, sind schlicht spektakulär. Kann Herzog die Dialoge beiseite legen und sich in das Massiv arbeiten, beginnt der Film zu leben. Leider brechen diese Szenen erst im Schlussteil so richtig heraus. Herzogs stete Maxime, ein Film müsse ein unverkennbares Bild besitzen, das sich auf ewig in die Hirne der Besucher einbrennt, ist selbst hier erfüllt. Wenn Stefan Glowacz beim Freiklettern in Australien 100 Meter über dem Erdboden mit einer Hand an einem Felsvorsprung hängt, ist das perfekt komponiert und in seiner Intensität und inneren Spannung bahnbrechend. Diese Stärke der Bildsprache, die Herzogs Werke kennzeichnen, ist auch bei dem Schlussbild, das den Wettkampf zwischen Tradition und Moderne entscheidet, offensichtlich, ansonsten gibt es erstaunlich viel Hausmannskost zu sehen.

    Obwohl „Schrei aus Stein“ mit internationalen Stars besetzt ist, leiden die Schauspielerleistungen unter dem schwächelnden Drehbuch von Saxxer, Hans-Ulrich Klenner und Robert Geoffrion. Vittorio Mezzogiorno („Allein gegen die Mafia“), Donald Sutherland (Backdraft, Ein Schatz zum Verlieben, Wenn die Gondeln Trauer tragen) und Mathilda May („Nackter Tango“) besitzen jedoch zu viel Klasse, um zu enttäuschen. Bei Stefan Glowacz hingegen ist überdeutlich zu spüren, dass er eben kein Schauspieler, sondern ein Höchstleistungssportler ist. Sein Spiel wirkt hölzern und emotionslos. Herzog, der bereits aus so vielen Laiendarstellern Bestleistungen heraus gekitzelt hat, versagt in seiner Paradedisziplin bei Glowacz. Diese Blässe der Hauptfigur schwächt den Film immens und steht sinnbildlich für das Missverständnis „Schrei aus Stein“. Eingepresst in ein starres Korsett von Vorgaben und der Mitsprache beraubt, kann Herzog mit seinem Werk keine Poesie und epische Wucht verbreiten, sondern bleibt immer wieder in viel versprechenden Ansätzen stecken.

    Es ist schon einigermaßen erstaunlich, dass Herzog Jahre nach dem Dreh seinen Frieden mit „Schrei aus Stein“ gemacht hat. Die strukturellen Schwächen und die Fehlentscheidungen bei der thematischen Fokussierung sind ihm sehr wohl bewusst, zumal er diese auch nicht zu verantworten hat. Dennoch hat der Film einige wunderbare Momente. Und zumindest eine Herzog-Figur – nämlich den „Fingerlosen“, den Brad Dourif (der mit Herzog in The Wild Blue Yonder erneut zusammenarbeitete) kurios und sonderbar gibt. „Schrei aus Stein“ ist ein Film verschenkten Potenzials und falscher Entscheidungen. Ein Film, der zu spät seine Stimme findet. Aber eben auch ein Film, der trotz Mängel mit berauschenden Schauwerten aufwartet. Und nicht zuletzt war „Schrei aus Stein“ Herzog eine bittere Lehre, nie wie wieder die Zügel des Handelns aus der Hand zu geben.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top