Nach einem jahrzehntelangen Dämmerschlaf wurde das einst von Regisseuren wie Mario Bava („Blutige Seide“) und Dario Argento („Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“) geprägte Giallo-Horror-Genre in der jüngeren Vergangenheit wiederbelebt. Dabei ist zu beobachten, dass diese Thriller, die sich zumeist um einen geheimnisvollen Killer mit schwarzen Handschuhen ranken, der bevorzugt gutaussehende Frauen mit einem Rasiermesser aufschlitzt, neuerdings oft nicht mehr aus Italien, sondern aus ganz Europa stammen. Während Versuche, das Genre noch stärker Richtung Kunst- und Experimentalfilm zu erweitern, im Fall der belgischen Produktion „Amer“ und der britischen Films „Berberian Sound Studio“ geglückt sind, fielen die jüngeren Versuche den klassischen Giallo wiederzubeleben, wie z.B. mit dem deutschen Beitrag „Masks“, eher durchwachsen aus. Ein Land enttäuscht bei dieser neuen Giallo-Welle bislang völlig: Italien, wo selbst Altmeister Dario Argento mit „Giallo“ nur dem Titel nach an alte Zeiten erinnern konnte. Nun tritt der Italiener Federico Zampaglione mit „Tulpa“ an, um verlorenen Boden wettzumachen. Auch ihm gelingt zwar kein Meisterwerk, doch besser als Dario Argentos letzte Zuckungen, ist sein Neo-Giallo allemal.
Lisa (Claudia Gerini) ist eine knallharte Geschäftsfrau, die sich auch bei den aktuellen Krisen der Finanzwelt erfolgreich behauptet. Entspannung und Erholung vom stressigen Tagesgeschäft in einer international operierenden Firma, erfährt sie nicht in einem Fitnesscenter oder einer Sauna, sondern in dem exklusiven Sex-Klub „Tulpa“ des geheimnisvollen Clubbesitzers Kiran (Nuot Arquint). Lisas wohlgeordnetes Doppelleben in dem nur ausgewählten Stammgästen bekannte Etablissement, in dem sich Erotik, Exotik und Esoterik vermischen, gerät aus den Fugen, als ein mysteriöser Killer immer mehr ehemalige Sexpartner von ihr umbringt. Alle Opfer waren Mitglieder des Tulpa-Klubs und Kiran scheint mehr über den Täter zu wissen, als er preisgeben will. Während sich die Toten häufen, versucht Lisa auf eigene Faust den Täter zu finden. Zunehmend gerät auch sie selbst in Verdacht. Zusätzlich verzwickt ist Lisas Lage dadurch, dass sie sich niemanden anvertrauen kann, da sie schon aus beruflichen Gründen ihr außergewöhnliches Liebesleben um jeden Preis geheim halten will.
„Tulpa“ ist die dritte Regiearbeit von Federico Zampaglione, der zuvor insbesondere als Frontmann der italienischen Band Tiromancino in Erscheinung getreten ist. Aufgrund der musikalischen Wurzeln des Regisseurs verwundert es nicht, dass der Soundtrack einer der großen Pluspunkte ist. Dieser wurde von Zampaglione mitkomponiert und eingespielt und erinnert teilweise an eine moderne und zugleich esoterische Version der Stücke der legendären italienischen Horrorfilmmusik-Band Goblin („Rosso - Farbe des Todes“). Dadurch gewinnt der Film gerade in den Spannungssequenzen einiges an Atmosphäre.
Überhaupt konzentriert sich Zampaglione auf die typischen Tugenden eines klassischen Giallo und geizt nicht mit besonders ausgestellten Szenen dekadenter Erotik und geradezu zelebrierten Sequenzen ästhetisierter Gewalt. Wie bei seinem Soundtrack, so gelingt es dem Regisseur auch in diesen Szenen die Erwartungen des Genre-Fans einerseits voll zu befriedigen und dem Film zugleich eine eigene Handschrift zu verleihen. Allerdings erreicht er als Regisseur auf der visuellen Ebene nicht das gleiche Niveau wie als Musiker auf der akustischen. Wenn hier eine besondere Atmosphäre entsteht, dann mehr durch das spezielle Setting und die Ausstattung, als durch eine durchdachte und kreative Kameragestaltung. Richtig auffällig wird dies, bei den Szenen, die Lisa bei Tage in ihrer Alltagswelt zeigen. Diese fallen optisch sehr deutlich ab und sind ungemein bieder.
Für die Arbeit am Drehbuch zu „Tulpa“ konnte Federico Zampaglione auf den renommierten Autor Dardano Sacchetti zurückgreifen, mit dem zusammen er die Story entwickelte. Sacchetti ist eines der profiliertesten Genre-Urgesteine, der die Storys und Drehbücher zu Klassikern wie Dario Argentos „Die neunschwänzige Katze“ oder Lucio Fulcis „Die Geisterstadt der Zombies“ geschrieben hat. In „Tulpa“ hingegen kann das ungewöhnliche Setting in einem exotischen Sex-Klub nicht verbergen, dass die Geschichte an sich reichlich uninspiriert bleibt und in einer enttäuschen Anti-Klimax gipfelt, was nur mit Fanbrille als Genre-Hommage verstanden werden kann.
Fazit: „Tulpa“ ist ein weiterer Neo-Giallo, der für Liebhaber des Genres durchaus sehenswert ist.