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    John Wick
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    John Wick
    Von Carsten Baumgardt

    Die Karriere von Keanu Reeves befindet sich nach Misserfolgen in Serie seit etlichen Jahren im Sinkflug. Um einen echten Kassenabräumer des „Matrix“-Superstars zu entdecken, muss man schon ins Jahr 2003 zurück („Was das Herz begehrt“). Besonders bitter war Reeves‘ jüngstes Flop-Doppel „47 Ronin“ (unglaublich teuer, mieses Einspielergebnis) und „Man Of Tai Chi“ (sein Regiedebüt lief unter Ausschluss der Öffentlichkeit). Aber der für seine millionenschwere Großzügigkeit bekannte Reeves ist ein viel zu entspannter, gutmütiger und bescheidener Mensch, als dass ihn diese Ladehemmung am Box-Office aus der Bahn werfen könnte und so dreht er tapfer weiter. Ein Überflieger an der Kinokasse ist sein neuester Film „John Wick“ nun zwar auch nicht, aber bei einem bescheidenen 20-Millionen-Dollar-Budget wird der Action-Thriller der Regiedebütanten David Leitch und Chad Stahelski am Tag der Abrechnung auf jeden Fall Gewinn machen. Viel wichtiger aber: Das superstylishe B-Movie hat zwar eine bescheidene Story, ist aber optisch so innovativ und so furios inszeniert, dass Actionfans diese infernalische Gewaltorgie auf keinen Fall verpassen sollten. Und Keanu Reeves? Der macht nicht nur eine blendende Figur, sondern ist perfekt besetzt als titelgebender ehemaliger Mafia-Killer auf blutigem Rachefeldzug.

    Fünf Jahre können eine Ewigkeit sein. John Wick (Keanu Reeves) kommen sie jedenfalls so vor. Früher war er der beste Killer der Stadt und arbeitete für den russischen Mafiaboss Viggo Tarasov (Michael Nyqvist), doch die Zeiten sind vorbei. Für eine Frau hat Wick seine Karriere an den Nagel gehängt und stieg aus, auch nach dem Tod seiner geliebten Partnerin verschwendet er keinen Gedanken an eine Rückkehr ins alte Geschäft. Aber als Tarasovs großkotzig-arroganter Sohn Iosef (Alfie Allen) dabei scheitert, Wicks schmuckes Auto zu kaufen, setzt sich eine fatale Spirale der Gewalt in Bewegung. Als Antwort auf die Ablehnung schaut Iosef zu einem nächtlichen Besuch in Wicks Luxusvilla vorbei, prügelt den Hausbesitzer zusammen und killt den Hund von dessen verstorbener Frau – ihre letzte Hinterlassenschaft. Nun sinnt Wick auf Rache, gräbt sein verscharrtes Waffenarsenal aus und taucht in die Unterwelt New Yorks ein. Auf dem Weg zu Iosef nietet der Profi alles um, was sich ihm in die Quere stellt und türmt wahre Leichenberge auf. Viggo will ihn aufhalten und heuert Wicks alten Weggefährten Marcus (Willem Dafoe) an, der ihn gegen das Salär von zwei Millionen Dollar töten soll.

    Bevor es über die Ladentheke ging, erschien Derek Kolstads ohne Auftrag geschriebenes Drehbuch auf der Black List Hollywoods, jener berühmten Liste, die jährlich die besten unproduzierten Scripts enthält. Warum das Buch dort landete, ist im fertigen Film dann auch durchaus zu spüren, immerhin bietet es fantastische Figuren sowie eine fein gezeichnete ultracoole Parallelwelt zur New Yorker Realität. Die wenig überzeugende Hunde-Prämisse als Motivation für einen ausgedehnten Amoklauf muss man allerdings mit Humor nehmen und auch sonst verläuft „John Wick“ dramaturgisch nach dem üblichen B-Movie-Muster ab. Doch diese Einschränkungen spielen bei „John Wick“ nun wirklich keine Rolle, weil die Regisseure und Stunt-Koordinatoren Chad Stahelski (Reeves‘ Stunt-Double bei „Matrix“ und „Gefährliche Brandung“) und David Leitch ihre furiose Action so innovativ, ultrastylish und intensiv inszenieren, dass es viel mehr um Haltung als um Inhalt geht. Schlagzahl und Tempo sind enorm, die abstoßend schönen Choreographien gleichen einem finsteren Todesballett – selbst vor der bei vielen verpönten Superzeitlupe schrecken die Regienovizen nicht zurück (offiziell geht der Regie-Credit an Stahelski und der des Produzenten an Leitch, weil die US-Gewerkschaft DGA nur einen Regisseur zulässt) – und die Wirkung der Szenen gibt ihnen recht.

    Die Grundstimmung des Films ist grimmig-düster. Hier werden keine Gefangenen gemacht – von keiner der beteiligten Seiten. In der Parallelwelt von „John Wick“ stören keine lästigen Cops die blutigen Scharmützel der Unterwelt, vielmehr gelten ganz eigene Regeln, die (fast) alle Beteiligten befolgen. Das fängt damit an, dass dort nicht mit Dollars, sondern mit Goldmünzen (!) bezahlt wird, außerdem kann man  spezielle Reiningungskräfte bestellen, wenn sich mal zu viele Leichen im Haus angesammelt haben und im Stadtzentrum gibt es ein sagenumwobenes Hotel, das Continental, in dem jeder erdenkliche Service käuflich zu erwerben ist, aber die Nicht-Einhaltung der Hausregeln tödlich endet. Dieses kreativ zusammengeschusterte Universum abseits der realen Welt verleiht dem Film Züge einer Graphic Novel, wozu auch der hohe Body Count passt. Wie viele Leichen sich letztlich türmen, müsste man gesondert nachzählen, mehr als 100 sollen es nach verschiedenen Quellen sein, wovon etwa 80 Prozent auf John Wicks Konto gehen, was gleich zum nächsten Punkt führt: Logik! Die ist nämlich von untergeordneter Bedeutung. „John Wick“ ist ein waschechter, brutaler Genrefilm, in dem Atmosphäre und Stimmung wichtiger sind als faktische Plausibilität.

    „John Wick“ sieht einfach fantastisch aus: Der fast schon klinische stahlblaue Look verbreitet Eiseskälte. Die Inszenierung der Gewalt ist entsprechend stilisiert und angenehm archaisch: John Wick tötet schnell, präzise und gnadenlos. Für längere Kämpfe hat er höchstens mal im Finale Zeit. Passend dazu schwingt sich dieser John Wick nur in die edelsten Karossen, sein schwarzer 69er Mustang ist eine Augenweide – für normale Autos ist der Killer auch einfach zu cool. Bei all dem haben die Beteiligten immer ein Augenzwinkern parat. Locker-flockig zitieren sich Stahelski und Leitch quer durch die Filmgeschichte: vom Martial-Arts-Kino über Hongkong-Action und John Woo bis zu Spaghetti-Western, Jean-Pierre Melville und wo immer sonst noch das filmische Faustrecht ausgeübt wird. Die Regisseure garnieren ihr Werk so zwar mit einer gehörigen Portion Selbstironie, dennoch bleibt „John Wick“ ein „böser“ Film mit subversivem Einschlag: Ein mit gewohnten Maßstäben messbares Wertesystem gibt es nicht und der (Anti-)Held (und Sympathieträger) ist ein skrupelloser Killer, dem man höchstens zugutehalten kann, dass seine Opfer allesamt noch finsterer und verdorbener sind als er selbst.

    Es sind die skurrilen Figuren, die „John Wick“ sehenswert machen und nicht unbedingt das, was sie treiben. Keanu Reeves war seit „Matrix“ nicht mehr so cool wie als Badass in „John Wick“. Trotz seiner mittlerweile 50 Lenze ist er die Idealbesetzung für den wortkargen und schlagkräftigen Actionhelden: In edlem Zwirn und mit modischem Bart mäht er sich elegant durch Massen von Gegnern. „Millennium“-Trilogie-Star Michael Nyqist („Mission: Impossible - Phantom Protokoll“) holt eine Menge aus seiner Bösewicht-von-der-Stange-Rolle heraus und befindet sich zahlreicher Gangsterklischees zum Trotz auf Augenhöhe mit John Wick. Sein Viggo erscheint als einziger vollwertiger Gegenspieler, aber auch andere bekommen ihre Momente. Willem Dafoe („Das Schicksal ist ein mieser Verräter“) etwa gefällt vor allem dadurch, dass sich seine Figur immer im moralischen Schwebezustand befindet: Bei ihm weiß man nie, woran man ist – eine absolute Ausnahme in diesem Film. Adrianne Palickis („G.I. Joe – Die Abrechnung“) Auftritte als hartgesottene Nachwuchskillerin Miss Perkins wiederum werden als eine Art Running Gag eingesetzt, was dank ihrer beeindruckenden Präsenz vorzüglich funktioniert und bestens zum anarchischen Esprit des Films passt.

    Fazit: Die ehemaligen Stunt-Koordinatoren Chad Stahelski und David Leitch legen mit ihrem durchgestylt-kernigen Rache-Reißer „John Wick“ ein beherztes Filmdebüt vor, in dem schamlos Form über Inhalt gestellt wird. Das allerdings erfolgt auf so smarte und enthusiastische Weise, dass ein überaus schmucker B-Film dabei herauskommt.

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