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    Schwestern
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Schwestern
    Von Lars-Christian Daniels

    Wer sich dazu entscheidet, ins Kloster zu gehen, den erwartet für den Rest seiner Tage – und das dürfte die meisten von uns davor abschrecken – ein Leben in Armut, Gottestreue und Enthaltsamkeit. Doch man kann hinter den Klostermauern auch seinen inneren Frieden und Freiheit finden: Das verdeutlicht Anne Wilds Familiendrama „Schwestern“, in dem sich die junge Kati dazu entscheidet, all ihrem irdischen Besitz abzuschwören und fortan nur noch dem Herrn zu dienen. Anders als ihr französischer Kollege Guillaume Nicloux, dessen Diderot-Adaption „Die Nonne“ einige Wochen vor „Schwestern“ in den deutschen Kinos anläuft, wählt Wild bei ihrer Geschichte jedoch nicht den Blickwinkel der Geistlichen: Kati selbst tritt erst in der zweiten Filmhälfte in Erscheinung und spricht dabei nur wenige Worte. Stattdessen ist es ihre Familie, die ernüchtert feststellen muss, dass Kati vielleicht die einzige unter ihnen ist, die das wahre Glück im Leben gefunden hat. „Schwestern“ kommt etwas schleppend in Fahrt, rührt am Ende aber zu Tränen, und aus der starken Besetzung ragt vor allem die groß aufspielende Marie Leuenberger („Die Standesbeamtin“) heraus.

    Kati Kerkhoff (Marie Leuenberger) hat sich zu einem radikalen Schritt entschlossen: Sie tritt einem klösterlichen Orden bei. In der Abgeschiedenheit der Klosteranlage kommt ihre gesamte Familie zusammen, um der feierlichen Aufnahmezeremonie beizuwohnen und Kati ein paar letzte Worte mit auf den Weg zu geben. Nur ihr Vater Günther (Klaus Manchen), der die Entscheidung seiner Lieblingstochter nicht begreifen kann, lässt auf sich warten. Auch für die übrigen, weltlich gesinnten Kerkhoffs, deren Kontakt in den vergangenen Jahren eher sporadisch war, ist Katis Entscheidung ein Schock. Insbesondere Saskia (Maria Schrader), die sich in London als Künstlerin mehr schlecht als recht über Wasser hält, fürchtet, ihre jüngere Schwester für immer an Gott zu verlieren. Als sich die Feier wider Erwarten verzögert, begibt sich Saskia mit ihrem Bruder Dirk (Felix Knopp), dessen Frau Doreen (Anna Blomeier) und Tochter Marie (Rita Luise Stelling), Onkel Rolle (Jesper Christensen) und dessen Lebensgefährtin Jola (Lore Richter), Familienoberhaupt Usch (Ursula Werner) und Katis Ex-Freund Jörn (Thomas Fränzel) auf ein gemeinsames Picknick, um die Wartezeit auf das Läuten der Kirchenglocken zu überbrücken. Dabei überdenken alle Familienmitglieder ihre Lebensentwürfe – und müssen feststellen, dass bei ihnen einiges im Argen liegt...

    Die düsteren Gewitterwolken, die im letzten Filmdrittel plötzlich über der malerischen Wald- und Wiesenidylle aufziehen und die endlosen Grasflächen in matschige Schlammpisten verwandeln, stehen symbolisch für die dramaturgische Grundausrichtung des Films. Familie Kerkhoff geht zunächst in Seelenruhe picknicken, scherzt bei strahlendem Sonnenschein über versalzenen Kuchen und gönnt sich ein paar erholsame Stunden in der Natur. Doch anders als der Wolkenbruch, der sich ohne Vorwarnung über den Köpfen der Feiergesellschaft ergießt, wird die familiäre Harmonie nicht plötzlich, sondern Stück für Stück aufgebrochen: Dirk steht als Verleger von Nischenliteratur vor dem beruflichen Aus und muss seinen Onkel zähneknirschend um Geld anpumpen, Saskia konfrontiert ihre Mutter Usch mit schweren Vorwürfen, und Onkel Rolle steht plötzlich ohne Geländewagen da, weil Jola wütend davon braust und den sympathischen Charmeur und Lebemann verdutzt im Matsch stehen lässt. Die als Biene kostümierte Marie, die in ihrer eigenen Welt zu leben scheint und nicht nur das Nervenkostüm ihrer Eltern, sondern auch das des Zuschauers mit ihrem ständigen Genörgel auf eine harte Belastungsprobe stellt, nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein: Regisseurin und Drehbuchautorin Anne Wild („Mein erstes Wunder“) bedient sich wiederkehrend bei Motiven aus dem Reich der Bienen und leitet ihren Film sogar mit einem kurzen Ausschnitt einer entsprechenden Naturdokumentation ein.

    Trotz der zunehmend offen schwelenden Konflikte und den immer kontroverseren Streitgesprächen kommt „Schwestern“ aber relativ schwer in Fahrt: Fast eine Stunde lang plätschert die Geschichte bei herrlichstem Sommerwetter gemächlich vor sich hin – es bleibt sogar Zeit, versehentlich ein Dutzend Kühe in die Freiheit zu entlassen und mithilfe der Ordensschwestern lachend wiedereinzufangen. Erst als die frustrierte Saskia über die Klostermauern klettert und Kati, die ein strenges Schweigegelübde abgelegt hat, ein letztes Mal zur Rede stellen will, schaltet Wild zwei Gänge hoch: Die erste Begegnung der zwei titelgebenden Schwestern ist die mit Abstand stärkste Sequenz des Films und entfaltet trotz weniger Worte eine ungemeine Intensität. Das liegt auch an Marie Leuenbergers herausragenden schauspielerischen Fähigkeiten: Ihre angehende Nonne Kati vermag auch ohne Sprache alle Fragen ihrer Schwester mit Blicken und Mimik zu beantworten und strahlt dabei einen inneren Frieden aus, von dem Saskia & Co. nur träumen können. Und so kann der anfangs vielleicht skeptische Zuschauer ihre Entscheidung, dem irdischen Besitz abzuschwören und ihr Leben Gott zu widmen, am Ende doch uneingeschränkt nachvollziehen: Zu selbstsicher ist Katis Blick, zu strahlend sind ihre Augen und zu fest ist ihre Stimme, mit der sie den Eintritt in den Orden nach wochenlangem Schweigen feierlich bestätigt.  

    Fazit: Anne Wilds Familiendrama „Schwestern“ kommt erst nach einem seicht-humorvollen Auftakt auf Touren, gipfelt dann aber in einem rührenden Finale, in dem Marie Leuenberger zu großer Form aufläuft.

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