"Passengers" von Morten Tyldum hätte ein spannender Science-Fiction-Thriller mit Robinson-Crusoe-Thematik werden können, doch leider ist nur eine kitschige Liebesschnulze dabei herausgekommen. Dabei ist die erste Hälfte richtig fesselnd; die Situation, in die James Preston da gerät, ist bedrückend und ihrer ganzen Ausweglosigkeit in ausdrucksvolle Bilder gefasst. Man fühlt richtig mit ihm, wie er nach und nach immer mehr vereinsamt, verwahrlost, bis er kurz davor ist, endgültig den Verstand zu verlieren. Auch seine Skrupel und sein letztendlicher Entschluss
Aurora zu wecken
wirken glaubwürdig und nachvollziehbar. Doch dann beginnt diese Liebesgeschichte, deren Rollenbilder von Mann und Frau glatt aus den 1950er Jahren übernommen zu sein scheint. Sie, das reiche, verwöhnte Frauchen, das ihren Vater vergöttert und bewundert, ihm nacheifern und ihn sogar übertrumpfen will mit ihrem Buchprojekt.
Dabei entblödet sich der Film auch nicht, so einen Unfug zu behaupten wie, man könne nur über großartige Abenteuer schreiben, wenn man sie selbst erlebt hätte. Genau. Und Schauspieler können auch nur das spielen, was sie selbst erlebt haben, ist klar. Das ist ja nicht so, dass in dem Film Schauspieler eine Geschichte im Weltall erzählen, obwohl weder sie selbst noch irgendwer aus der Filmcrew jemals aus einem Kälteschlaf einsam und allein auf einem riesigen Luxusraumschiff aufgewacht sind. Hat derjenige, der hier die Dialoge geschrieben hat, schon einmal etwas von Fantasie gehört? Vorstellungskraft? Neugier? Was-wäre-wenn-Gedankenspiele? DAS ist die Basis einer guten Geschichte. Hinzu kommen dann natürlich noch Sprachgefühl und Talent - man kann noch so tolle Erzählstoffe in seinem Kopf vor dem inneren Auge herumschwirren haben, wenn man nicht schreiben beziehungsweise nicht spielen kann, wird da nichts draus.
Entschuldigt den kleinen Exkurs, wo war ich stehengeblieben? Ach ja, rückständige Geschlechterrollenklischees. Aurora schaut sich dann so ein Abschiedsvideo von ihren Freundinnen an, und die eine wünscht ihr doch allen Ernstes, nicht etwa, dass Aurora glücklich wird, ihre Träume verwirklicht, ihr Herzensprojekt erfüllt ... nein, sie sagt nur, sie hoffe, ihr Freundin fände nun endlich einen Mann. Da weiß man dann als Zuschauerin gleich Bescheid, was im Leben einer Frau wichtig ist, ne? Also, bevor hier noch jemand irgendwelche ehrgeizigen Karrierewünsche plant oder gar so etwas wie - Schockschwerenot!!! - Selbstverwirklichung, bevor man keinen Mann an seiner Seite hat, kann man das alles in die Tonne kloppen. Ach so, und man komme als Dame auch ja nicht auf die absurde Idee, mal den ersten Schritt zu machen, um sich mit einem netten Kerl zu verabreden. Nicht einmal, wenn er der Einzige außer einem selbst ist, der auf so einem riesigen Raumschiff wach ist. Nee, da wartet man hübsch brav, bis er einen zu einem Date einlädt, und dann reibt man ihm das auch noch passiv-aggressiv mit einem "Ich dachte, du fragst nie" unter die Nase, dass er sich dafür so lange Zeit genommen hat. Ich wette, wäre er gleich mit der Tür ins Haus gefallen, hätte das dem werten Frollein auch nicht gepasst. Ärgerlich, sowas.
Und er ist natürlich als Mechaniker handwerklich begabt und träumt davon, seinem Frauchen ein Haus zu bauen. Dabei ist er aber durchaus auch gefühlvoll, also so modern ist der Film dann doch. Allerdings beschränken sich seine Gefühlsregungen auf alberne Slogans und Kalendersprüche, die ihm der Barkeeper-Roboter vorsagt. Die Moral von der Geschicht': Carpe Diem, nutze den Tag, denn ein Tag ohne Lächeln ist ein verlorener Tag, also, wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach Limonade draus, und dabei musst du nur ganz fest an dich glauben, dann schaffst du alles, lebe deine Träume, aber träume nicht dein Leben, blasülz-schnulztröt.
Ganz kurz nimmt der Film wieder ein bisschen Fahrt auf, als eine dritte Figur hinzukommt und der Schiffsoffizier Gus aufwacht. Aber er erfüllt nur mal eben schnell seine Funktion, den entscheidenden Hinweis auf die Problemlösung zu geben und seine für die Umsetzung dieser Lösung unverzichtbare ID zu übergeben, dann geht er auch schon wieder hops.
Erwartungsgemäß klappt dann auch am Ende alles und es gibt ein vor Kitsch triefendes Happy-End, das mit der Schlussfolgerung endet: "Was für ein cooles Leben *knutschiknutsch*" Tiefere Bedeutung? Perfides Komplott der Herstellerfirma? Irgendetwas anderes Spannendes? Möööp, Fehlanzeige! Es war einfach nur ein Unfall, der das Schiff ramponiert und die Technik beschädigt hat, sie flicken die Löcher wieder und alles ist wieder in Butter.
Fazit: Ach, den Film muss man nicht sehen. "Cast Away" handelt die Robinson-Crusoe-Thematik viel besser ab, "Gravity" fängt die klaustrophobische Weite und Einsamkeit des Weltalls viel fesselnder ein, "iRobot" bietet mehr spannende Hintergrundgeschichte und "Titanic" ist der bessere Liebesfilm. Schade, Chance vertan.