Bereits mit seinem Kinodebüt „Sangre“ (2005) und dem Thriller „The Bastards“ (2008) reüssierte der mexikanische Regisseur Amat Escalante beim Filmfestival in Cannes – beide Filme liefen dort in der Reihe „Un Certain Regard“, in der vielversprechende Nachwuchsfilmemacher vorgestellt werden. „Heli“, der dritte Langspielfilm des Mexikaners, war 2013 schließlich im Wettbewerb von Cannes vertreten, wo Escalante den Preis für die Beste Regie erhielt. Außerdem kam der Film als mexikanischer Oscar-Beitrag 2014 zu weiteren Ehren. Mit diesen Erfolgen auf seiner Seite startet „Heli“ nun in den deutschen Kinos und enttäuscht die durch die Vorschusslorbeeren geschürten Erwartungen nicht. Amat Escalante zeichnet ein atmosphärisch geschlossenes und ästhetisch spannendes Bild des Drogenkriegs in Mexiko, der den Alltag einer Familie erfasst.
Heli (Armando Espitia) arbeitet in der Nachtschicht einer Autofabrik und lebt mit seiner Frau Sabrina (Linda González), dem gemeinsamen Baby sowie seinem Vater und der 12-jährigen Schwester Estela (Andrea Vergara) in einem kleinen Haus im mexikanischen Niemandsland. Estela ist mit dem 17-jährigen Polizeirekruten Beto (Juan Eduardo Palacios) liiert, der mit dem Mädchen in eine bessere Zukunft durchbrennen will. Um hierfür das nötige Kleingeld zu sichern, lässt Beto zwei Pakete Kokain mitgehen und versteckt diese im Wassertank von Helis Haus. Heli entdeckt die Drogen jedoch und beseitigt sie. Diese Entscheidung bereut der junge Mann, als wenig später eine offenbar mit dem Drogenkartell verbandelte Spezialeinheit das Haus stürmt und das Koks mit allen Mitteln zurückgewinnen will.
Die Eröffnungsszene von „Heli“ zeigt die Hinrichtung eines Mannes an einer Brücke mitten in einem Vorort. Das hier erzeugte Unbehagen legt sich fortan wie ein Schleier über den gesamten Film, in dem Escalante die alltägliche Gewalt im hart geführten mexikanischen Drogenkrieg sehr direkt darstellt. Während die Kartelle weite Teile der Polizei kontrollieren, leidet die resignierte Bevölkerung: Korruption, Folter und Mord, Vergewaltigung und Selbstjustiz – all das widerfährt den arg gebeutelten Figuren des Films. Auf den Krieg gegen die Drogen, der Mexiko seit einigen Jahren in Unruhe versetzt, nimmt Escalante eine finstere Sichtweise ein. Als eine Inszenierung für die Medien verbrennen die Behörden in einer Szene einige Tonnen Marihuana und Kokain – das hoffnungslose Drama der Figuren konterkariert diese Aktion jedoch als Lachnummer.
Amat Escalante stellt das Unrecht nicht als unerhörtes Ereignis, sondern auf sehr beiläufige Weise dar. Der Untergang von Helis Familie ist in der mexikanischen Realität kein Sonderfall. So weist das Thrillerdrama eine starke gesellschaftspolitische Motivation auf und porträtiert die prekären Lebensumstände der Familie in einer pessimistischen Milieustudie. Formal ist „Heli“ sehr bedacht und mit streng arrangierten Bildern umgesetzt. Lange Kameraeinstellungen ohne Schnitt wechseln mit unwillkürlichen Gewaltausbrüchen, wobei die Ästhetik bis hin zu gelegentlich fast surrealen Einschüben stilisiert ist. Doch trotz dieser Verliebtheit in den Stil gelingt es Amat Escalante, das Geschehen sehr authentisch wirken zu lassen. Fast schon dokumentarisch wirkt etwa der Kniff, dass einige angerissene Handlungsfäden Schlaglichter auf andere mögliche Schicksale und Geschichten werfen, die im Drogenkrieg ebenfalls stattfinden. Dadurch entwickelt „Heli“ eine Allgemeingültigkeit, die über das konkrete Schicksal der Hauptfiguren hinaus ein Bild der mexikanischen Gegenwart zeichnet. Mit „Heli“ erbringt Amat Escalante jedenfalls den Beweis, dass es im mexikanischen Kino der Gegenwart kräftig brodelt und rumort.
Fazit: Stilisierter und zugleich authentischer Arthouse-Thriller, der den Zerfall einer Kleinfamilie im mexikanischen Drogenkrieg mit bitterer Gewalt beschreibt.