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    Tatort: Türkischer Honig
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Tatort: Türkischer Honig
    Von Lars-Christian Daniels

    Im Juni 2011 brachte die Leipziger Hauptkommissarin Eva Saalfeld (Simone Thomalla) in „Tatort: Nasse Sachen“ einen ganz besonderen Mann hinter Gitter: ihren eigenen Vater. Horst Saalfeld (Günther Junghans) gaukelte seiner ahnungslosen Tochter jahrzehntelang seinen Tod vor, lebte unter falschem Namen weiter und wurde schließlich zum Mörder. Im ersten „Tatort“ des Jahres 2014 gibt es nun ein Wiedersehen der beiden Saalfelds, doch damit nicht genug: In „Türkischer Honig“ trifft die Leipziger Kommissarin unter Regie der bis dato fünffach „Tatort“-erprobten Christine Hartmann („Frisch gepresst“) nicht nur auf ihren verhassten Vater, sondern lernt auch ihre bisher unbekannte Halbschwester kennen. Ein bisschen viel Familie für neunzig Minuten Krimi: Trotz reichlich Tränen und eines soliden Kriminalfalls ist der Auftakt ins neue „Tatort“-Jahr eine Enttäuschung. Dazu tragen neben den klischeebeladene Figuren auch die hölzernen Dialoge und der unbeholfene Versuch einer  Annäherung an die türkische Kultur bei.

    Hauptkommissarin Eva Saalfeld (Simone Thomalla) erhält einen Anruf, der ihr Leben durcheinander wirbelt: Am Telefon ist ihre Halbschwester Julia (Josefine Preuß), die seit zweieinhalb Jahren in Leipzig lebt und die sie noch nie gesehen hat. Bevor sich die beiden treffen können, wird Julia vor den Augen der Kommissarin auf offener Straße entführt: Zwei Männer zerren sie in einen Jeep und brausen davon. Saalfeld leitet eine Großfahndung ein, doch Julia bleibt verschwunden. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Andreas Keppler (Martin Wuttke) und Kriminaltechniker Wolfgang Menzel (Maxim Mehmet) macht sich Saalfeld auf die Suche nach den Entführern. Doch weder Julias Freund Leon (Marek Harloff), mit dem sie gemeinsam das Café „Türkischer Honig“ betreibt, noch ihr Onkel Hamid Özer (Tayfun Bademsoy) können sich erklären, wer Saalfelds Halbschwester gekidnappt haben könnte. In Nacht von Julias Entführung wird auch Abdul Günes (Mohammad-Ali Behboudi), bei dem Özer in der Kreide stand, ermordet. Saalfeld und Keppler suchen nach einer Verbindung zwischen den beiden Fällen und geraten dabei mit dem polizeibekannten Barbesitzer Ersoy Günes (Denis Moschitto), dem Sohn des Opfers, aneinander…

    Vor wenigen Wochen freute sich der Kieler „Tatort“-Darsteller Axel Milberg in einem Interview darüber, dass seine in Heilbronn geborene deutsch-türkische „Tatort“-Partnerin Sibell Kekilli in der Krimireihe keine Türkin mimen müsse, sondern die deutsche Hauptkommissarin Sarah Brandt. Der Grund: Immer wieder etwas spielen zu müssen, was erkläre, warum man in Deutschland sei und wie gut oder schlecht es einem gehe, sei altmodisch und pseudomoralisch. In „Türkischer Honig“ versuchen sich die Filmemacher an eben solchen Erklärungen: Mit Cafébesitzer Özer und Kredithai Abdul Günes gibt es zwei Vertreter der traditionell verwurzelten Einwanderergeneration, und mit dem arroganten Kleinkriminellen Ersoy Günes einen Nachkommen, der mit Islam wenig am Hut hat und mit illegalen Machenschaften sechsstellige Jahresgehälter einfährt. Doch damit nicht genug: Selbst Kriminaltechniker Menzel dichtet Drehbuchautor Andreas Pflüger, der auch am Skript zum MDR-„Tatort: Die fette Hoppe“ mitschrieb, einen türkischen Vater an: Menzel bietet Keppler orientalische Teigröllchen an wie Sauerbier und wird plötzlich – ohne dass seine Abstammung im „Tatort“ je eine Rolle gespielt hätte – zwischen Verhör und Laborbefund zu radebrechendem Türkisch genötigt. Das ist Kulturannäherung mit dem Holzhammer und fällt ähnlich peinlich aus wie die vorurteilsschwangere Spritztour seiner Vorgesetzten, die zu orientalischen Klängen mit Günes‘ Zuhälterkarre durch Leipzig brausen.

    Zumindest der Kriminalfall, den Keppler und Saalfeld bei ihrem 17. gemeinsamen Einsatz aufzuklären haben, fällt solide aus: Vorwissen ist zum Miträtseln nicht nötig, weil die Vorgeschichte von Saalfelds abgetauchtem und mittlerweile inhaftiertem Vater Horst und der inhaltliche Bezug zum zweieinhalb Jahre zurückliegenden „Tatort: Nassen Sachen“ durch Rückblenden und fast schon zu ausführliche, erklärende Dialoge aufgefangen wird. Die Suche nach dem Mörder gestaltet sich bis in die Schlussminuten knifflig, denn es gibt drei bis vier gleichsam ernst zu nehmende Verdächtige, und in Bezug auf Julias Entführung wartet das Drehbuch mit einen gelungenen, wenn auch für den krimierprobten Zuschauer ziemlich vorhersehbaren Twist auf.

    Dass der 893. „Tatort“ unter dem Strich trotzdem nicht überzeugt, liegt auch an den starken Qualitätsschwankungen der Dialoge: Während der junge Günes und Keppler schnell beim „Du“ angekommen sind und in markigen Wortgefechten unter Männern ihr Revier markieren, beten Saalfeld („Man wird seine Vergangenheit nicht so leicht los.“) und Halbschwester Julia („Ist immer leicht zu urteilen, wenn man nicht dabei war, oder?“) immer wieder Drehbuchzeilen auf Soap-Niveau herunter. Hauptdarstellerin Simone Thomalla schauspielert sich dazu selbst in dieser emotionalen, für ihre Figur persönlich wie selten ausfallenden Kreuzung aus Krimi und Familiendrama mit typischer Minimalmimik durch den Film und enttäuscht beim unvermeidlichen Wiedersehen mit ihrem Vater ebenso wie bei den zahlreichen Streitgesprächen mit ihrer Halbschwester, in denen sie von „Türkisch für Anfänger“-Star Josefine Preuß an die Wand gespielt wird. So muss einmal mehr Martin Wuttke („Inglourious Basterds“) die Kohlen aus dem Feuer holen: Sein Auftritt ist gewohnt charismatisch, doch spielt Wuttke angesichts der Saalfeldschen Familienkrise diesmal meist die zweite Geige.

    Fazit: Türkisch für Anfänger – Der „Tatort“ befasst sich zum Jahresauftakt 2014 unbeholfen mit der türkischen Kultur und macht sich dabei das Ausräumen von Vorurteilen zum Auftrag. Christine Hartmanns „Türkischer Honig“ überzeugt jedoch weder als Familiendrama noch als Krimi.

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