In „Tomboy“ traute sich Céline Sciamma 2011 mit unschuldiger Tapferkeit an schwierige Themen heran. Ihr kleines Transgender-Drama um eine Zehnjährige (!) sprach deshalb auch ein junges Publikum an, ohne es zu überfordern. Auch der neue Film der französischen Regisseurin „Bande de filles“ ist wieder eine Coming-of-Age-Geschichte und sie ist sogar noch ambitionierter, mitreißender und durchdachter geraten. Mit klarem Blick für soziale Schieflagen, überkommene Machtstrukturen und jugendliche Sehnsüchte zeichnet Sciamma ein realistisches, aber dennoch vor allem lebensbejahendes Bild vom Leben in der Krise und macht „Bande de filles“ so zu einem doppelt berührenden Filmerlebnis.
Die 16-jährige Marieme (Karidja Touré) lebt in einem sozial benachteiligten Vorort von Paris und ihre Zukunftsaussichten sind deprimierend. Ihre Noten sind so schwach, dass der Besuch einer weiterführenden Schule ausgeschlossen ist, und die Alternative zu einer Berufsausbildung wäre es, wie ihre Mutter als Putzfrau zu arbeiten. Geschlecht, Herkunft, Wohnort, Hautfarbe, alle Merkmale ihrer Identität scheinen sie in ein Rollenschema zu drängen, das ihr nicht gefallen kann. Selbst der liebevolle Umgang mit ihren jüngeren Schwestern steht unter der „Herrschaft“ ihres Bruders. Doch dann findet sie Aufnahme in eine kleine Gang von gleichaltrigen Mädchen und dort fühlt sie sich erstmals frei. Marieme nennt sich nun Vic (wie Victoire, also Sieg) und droht mit ihrer Bande in eine eskalierende Gewaltspirale zu geraten.
Obwohl „Bande de filles“ Elemente des Gangsterfilms und des Sozialdramas aufweist und durchaus auch als im Stil der Brüder Dardenne („Der Sohn“) inszenierte weibliche Version von Mathieu Kassovitz' „Hass“ vorstellbar wäre, sind die Absichten der Regisseurin ganz andere. Marieme kämpft eigentlich nur um Anerkennung und Respekt innerhalb der patriarchalen Machtstrukturen, wobei sie sich diese zunehmend selbst aneignet. Zwei Szenen zu Beginn des Films verdeutlichen sehr anschaulich, wie archaisch die Verhältnisse in den armen Vorstädten sein und erscheinen können. Nachdem man eine Gruppe Mädchen beim (thematisch etwas plakativ wirkenden) American-Football-Training sah, gehen einige von ihnen gemeinsam nach Hause, wobei der Weg in der Dämmerung subtil immer bedrohlicher wirkt. Wenn die Mädchen immer wieder an kleinen Gruppen von Jungs vorbeikommen, die sie teilweise auch ansprechen, wirkt das so, als hätten sich ein paar Antilopen in ein Löwenreservat verlaufen. Und Marieme alias Vic wird sich im Verlauf des Films selbst in eine Löwin verwandeln...
Der Film besticht mit einem packenden Soundtrack (sowohl das langsam ausgebaute Hauptthema von Jean-Baptiste de Laubier als auch der erzählerisch stimmige Einsatz von Rihannas „Diamonds“ sind großartig), einem durchdachten Farbschema (man achte nur auf die Farben Hellblau und Rot und bedenke dabei, dass die Regisseurin selbst auch die Kostüme ausgesucht hat) und durch die Bank überzeugenden jungen Darstellerinnen, wobei Karidja Touré in der Hauptrolle klar am meisten abverlangt wird. Ihre ebenso natürliche wie intensive Darbietung kann sich durchaus mit anderen inzwischen fast klassischen Auftritten wie etwa denen von Emilie Dequenne in „Rosetta“ oder von Katie Jarvis in „Fish Tank“ messen. Girl Power behauptet sich auch in einem erdrückenden Umfeld!
Fazit: „Bande de filles“ ist ein intimes, in der politischen und sozialen Wirklichkeit des heutigen Frankreich verankertes und dennoch optimistisches Porträt einer ganzen Generation.