„American Beauty“ nennt sich so einiges: da gibt es die um 1875 von Lédéchaux gezüchtete Remontant-Rose, ein 1931 veröffentlichtes Buch der Schriftstellerin Edna Ferber, ein 1970 herausgebrachtes Grateful Dead-Album, sowie eine Kosmetik-Marke der Estée Lauder Companies. Und dann gibt es da noch das Spielfilmdebüt des vormaligen Theaterregisseurs Sam Mendes aus dem Jahr 1999. Benannt nach der oben genannten Pflanze, deren Blüten im Film auch keine unwichtige Rolle spielen, vereint „American Beauty“ viele der markantesten Vorzüge seiner Namensvettern auf einer ganz eigenen Ebene, seien sie sprachlicher (Alan Balls Drehbuch), musikalischer (Thomas Newmans Score) oder ästhetischer (Conrad L. Halls Kamera) Natur. Und irgendwie verströmt dieser Film sogar etwas wie einen Duft, der sich mal unangenehm an den Geruchsrezeptoren des Zuschauers festbeißt, sich dann wieder sanft anschmiegt und manchmal mit pinzettengleicher Präzision nach ein paar Nasenhärchen greift, sie mít einem Ruck herausreißt und damit dieses fiese Kribbeln auslöst, das einem unwillkürlich die Tränen in die Augen und ein Lachen in die Mundwinkel treibt. Oder, um sich nicht zu sehr an der Symbolik olfaktorischer Sinnesorgane zu weiden: „American Beauty“ ist ein boshafter, betörender Film, pendelnd zwischen Bitter- und Heiterkeit und im einen Extrem so gelungen, sprich tragisch, wie im anderen, sprich amüsant.
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Lester Burnhams Leben ist mit Anfang Vierzig zum Stillstand gekommen. Sein Job, eingepfercht in der Wabe eines Großraumbüros, kotz ihn an, ebenso wie die anstehenden Leistungs- und Effizienz-Checks, denen er sich unterziehen soll. Seine Frau, die karrierefixierte Maklerin Carolyn, seine Tochter, die verschlossene Teenagerin Jane, und nicht zuletzt er selbst, alle halten Lester für einen Loser. Bis ihn ein Ereignis aus seiner Lethargie erweckt: in der Halbzeitpause eines College-Basketballspiels treten Jane und ihre Cheerleader-Kolleginnen auf und Lesters Verlangen nach der blutjungen, aufreizenden Angela weckt nicht nur seine Triebe, der frustrierte Vorstädter scheint aus einem zwanzigjährigen Koma zu erwachen. Während Carolyn sich in eine wilde Affäre mit dem King der Immobilienmakler Buddy Kane stürzt und Jane sich in den seltsamen Neunachbarn Ricky verliebt, beginnt Lester mit Muskeltraining in der Garage, provoziert seinen Rausschmiss aus der Firma, kauft dem dealenden Ricky ein paar Gram besten Stoff ab, entledigt sich jeder sozialen Verantwortung und fixiert sich auf sein Ziel: Sex mit der scheinbar nicht einmal abgeneigten Angela. Doch am Ende wird mehr als eine Person mit geladener Waffe auf dem Weg zum alles aus der Bahn werfenden Lester sein...
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Inspiriert von zwei Dingen, zum einem der Gerichtsverhandlung und das mediale Drumherum im Fall der Long Island Lolita Amy Fisher, die als siebzehnjährige der Frau ihres Geliebten ins Gesicht schoss, zum anderen von einer im Wind wehenden Tüte, deren Spiel er zehn Minuten lang vor dem World Trade Center beobachtete, schrieb Drehbuchautor Alan Ball gegen Ende der 1990er sein Script zu "American Beauty". Nach der frustrierenden Arbeit an einigen Sitcoms kanalisierte Ball ein gehöriges Maß an Wut durch seine Schreibe und obwohl er davon ausging, das Buch kaum verkaufen zu können, wurde „American Beauty“ zum Kritiker- und Publikumsliebling des Jahres 1999. Innerhalb der USA, wo der Film 130 Millionen einspielte, fast schon verwunderlich. Immerhin liefern Ball und Regisseur Sam Mendes nicht weniger, als die komplette Demonatge des American (Vorstadt) Dream und decken dabei ein minenreiches Feld ab, von der lebensbetäubenden Karriereaffinität der Erfolgsfrau, über die nymphomane Teenagerin, die den schnellen Sex mit der Anerkennung ihrer Außergewöhnlichkeit verwechselt, bis hin zum schwulenfeindlichen Ex-Militär. Jeder ihrer nächsten Schritte kann jener ins vollendete Verderbnis ihrer selbst und jener um sie herum sein. Präzise, beizeiten mit einer gewissen Eiseskälte, folgt „American Beauty“ seinen Figuren beim zumindest den Schein wahrenden Wandeln auf zerstörten, ungelebten oder aussichtslosen Träumen, etwa wenn Carolyn Burnham sich selbst zur Ruhe zu brüllen versucht, als ihr nach einem misslungenen Verkauftstag die Tränen ob ihrer Erfolglosigkeit kommen. Oder wenn die blonde Angela davon spricht, dass es nichts schlimmeres gibt, als „gewöhnlich“ zu sein. Oder wenn der autoritätsversessene Col. Frank Fitts auf seinen Sohn Ricky einprügelt, nachdem dieser seiner Freundin Jane ein Nazi-Relikt des Vaters gezeigt hat. Eine Kette von Situationen, die sich beliebig ergänzen ließe.
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Mittelpunkt und außerdem Erzähler aus dem off’sten Off, das man sich vorstellen kann, nämlich dem Leben nach dem Tod, ist Lester Burnham. Ungeliebt, weder beruflich noch privat anerkannt und als Ehemann und Vater respektiert, führt er ein Leben, aus dem zu flüchten er zu träge geworden ist. Mit dem plötzlichen Umbruch, dem Verlangen, es der nicht mal halb so alten Freudin seiner Tochter zu besorgen, entkommt Lester seinem Leben nicht, er schubst es mit allem, was sich darin befindet, einfach um. Sein Wandel vom zerkochten Fleischklumpen zum im Öl der Dreistigkeit, Impertinenz und Eigensucht gebratenen Steak treibt jedes Ereignis in „American Beauty“ voran. Ein Wandel, der sich schnell und radikal vollzieht, den gebückten Lester in eine aufrechte Haltung hievt und die bei einem Schauspieler von geringerer Klasse, als Kevin Spacey sie aufweist, vielleicht ein Glaubwürdigkeitsproblem mit sich gebracht hätte. Spacey allerdings, der mit seiner Mimik einmal mehr Dinge anstellt, für deren Ausdrucksfähigkeit andere ein Kunststudium absolvieren müssten, um zumindest eine Facette davon in einem Bild festhalten zu können, füllt diesen „steht-und-fällt-Part“ vortrefflich aus. Lesters desillusionierte Kommentare (»Look at me, jerking off in the shower... This will be the high point of my day«), die faszinierte Lust, die ihm beim ersten Anblick Angelas ins Gesicht steigt, seine kackfreche Abfindungsverhandlung (»Can you prove that you didn't offer to save my job if I let you blow me?«) – Spacey muss weder in Sarkasmus, noch Wolllust oder abgezockter Bosheit neue Töne finden, aber er trifft und reiht sie perfekt aneinander. Und wie er immer noch eine Nuance mehr unter Lesters gerade vorherrschendster Stimmung herausarbeitet, ist einfach Schauspiel von der Reichhaltigkeit und Geschmacksvielfalt eines luxuriösen 10-Gänge-Menüs.
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Klümpchen gibt es dennoch in der Suppe. Die zynischen Dialoge, Entwicklungen, Enthüllungen und Wendungen rund um die Charaktere, mit denen man ganze Serienstaffeln füllen könnte, geraten an manchen Stellen sehr deutlich zu den Denk- und Konstruktionmustern eines Drehbuchautoren entronnenen Einfällen. Davon bleibt keine der näher beleuchteten Figuren unangetastet und in vielen Fällen wird das offensichtliche, das zur Schau gestellte schlicht ins genaue Gegenteil verkehrt, so dass man „American Beauty“ mit seinen satirischen Überhöhungen und Zweiseitigkeiten nicht gerade mit dem Prädikat „aus dem Leben gegriffen“ auszeichnen kann, aber in dieser komprimierten Form, die zwar einige Tiefen und Breiten unerforscht lässt, liegt dennoch eine anziehende Faszination. Jede Oberfläche wird mindestens bis auf ihre direkt darunter liegende Schicht offenbart, was meist schon genügt, um die heile Vorstadtwelt als frontal und mit offen Augen gegen die Wand gefahrene Lebenslüge zu enttarnen. So bleibt der Geschmack des gesamten Gerichtes nahezu unangetastet und „American Beauty“ hinterlässt bei aller Fülle der sechs Hauptfiguren kein Völlegefühl, dazu werden die Portionen zu ausgewogen serviert und sind jederzeit gut bekömmlich. Nebencharaktere wie der Immobilienking Buddy Kane, gespielt von Peter Gallagher, und das schwule Pärchen Jim und Jim, gespielt von Scott Bakula und Sam Robards, dienen mehr als ein Schuss Würze, ohne viel eigenen Gechmack, aber laut Rezept eben notwendig, um allen Aromen zur Entfaltung zu verhelfen.
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Aus allem, was „American Beauty“ einreißt und aufbricht, entlarvt und anprangert, verspottet und bloßstellt, lässt der Film bei aller Schärfe aber auch etwas entstehen, das zwischen den vielen verbrauchten und halb zerkauten Leben die sprudelnde Quelle zum Löschen des Nachdurstes ist, die vielleicht auch wieder nur zum Versiegen bestimmt ist. Als die Familie Fitts in die Nachbarschaft zieht beginnt der achtzehnjährige Ricky, Jane Burnham mit der Videokamera zu beobachten. Was anfangs noch unheimlich, seltsam und abstoßend auf sie wirkt, entlockt der von Selbstzweifeln und der familiären Situation im Hause Burnham mit Spießermutter und Verlierervater geplagten Heranwachsenden schon bald ein Lächeln. Und während sich die mittelpunktversessene Angela vor Janes Fenster rekelt, zoomt Ricky mit seiner Kamera auf diesen leisen Anflug von einer Erkenntnis, dass es dort jemanden gibt, der an ihr, der unscheinbaren Jane Burnham, ehrliches Interesse zeigt. Diese Love-Story der Teenager, die sich unter zur Unzufriedenheit verdammten Erwachsenen ihren Weg zueinander bahnen, ist der eher leise, aber eigentliche Höhepunkt von „American Beauty“, den die Performances von Thora Birch und Wes Bentley ermöglichen. Birch ist nicht die typsiche rotzige Göre und nicht die typische Außenseiterin, sie zeigt vielmehr eine stille Verlorenheit, um so vieles ausdrucksstärker, als Wutausbrüche und Heulkrämpfe. Bentleys Ricky ist neben Spaceys Lester die zweite Figur, die ohne entsprechende schauspielerische Befähigung ins störend-unglaubwürdige kippen könnte. Ricky wirkt anfangs wie ein Freak, dealt im großen Format und filmt mit seiner Kamera tote Obdachlose und Vögel. Als er gemeinsam mit Jane die Aufnahme einer im Wind tanzenden Tüte betrachtet und über die Schönheit des Lebens und ihre Erträglichkeit für das menschliche Herz, die menschliche Seele philosophiert, setzt die Figur zum voll durchgedrückten Spagat zwischen feingeistig-schwermütigem Denker und gerissenem who cares about consequences-Dealer an und Bentley gelingt es, Ricky auf beiden Stühlen festen Halt zu geben. Sein und Birchs Spiel ist schön klischeefrei aufeinander abgestimmt, Thomas Newmans minimalistischer Score aus kleinen, sich wiederholenden Phrasen, fügt sich hier wie in sämtlichen Szenen, in denen er zum Einsatz kommt, wunderbar ein.
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Nach der ersten, in vielen Momenten höchst amüsanten Hälfte, steigert sich „American Beauty“ besonders in der zweiten Stunde in eine ungezügelte Intensität, von der man den Blick kaum abzuwenden wagt. Conrad L. Hall fängt dies alles mit ruhiger, konzentrierter Kamera ein, Mendes‘ Inszenierung nimmt an einigen Stellen genau den Schwung raus, der nachfolgenden und auf bestimmten Geschehnissen aufbauenden Ereignissen ihre Wucht verleiht. Neben dem üblichen Verdächtigen Spacey, der sklavisch in sich selbst eingeengten Annette Bening als Carolyn Burnham und den ausgezeichnet harmonierenden Birch und Bentley ist es besonders der chronisch unterschätzte Chris Cooper, der als knochenharter Col. Fitts das Geschehen dominiert und neben seiner Verabscheuungswürdigkeit als Schwulenhasser und Schläger am Ende die wohl armseeligste Kreatur des Films sein dürfte. Mena Suvari verdankt der Rolle der lasziven Angela ihren Durchbruch und ihr mit den Blüten der American Beauty bedeckter Körper gehörte wohl zu den einprägsamsten Bildern des Filmjahres 1999. Als Objekt der puren Geilheit Lesters in all ihrer betörend-blonden Unschuld ist sie höchst geeignet, empfahl sich aber, wie Birch und Bentley, auch schauspielerisch für höhere Aufgaben, die dem Trio jedoch bis heute annähernd verwehrt blieben. Sollte „American Beauty“ sie aufgrund seiner Qualitäten zu einem einsamen Karrierehöhepunkt getrieben haben, so war dies wenigstens ein besonders lohnenswerter.
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komplette Review siehe: http://christiansfoyer.wordpress.com/2009/12/09/classic-american-beauty/